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Wenn bei Kindern der Krebs zurückkehrt

Gudrun Heise
4. Oktober 2020

Etwa 2000 Kinder erkranken jährlich in Deutschland neu an Krebs, die meisten in den ersten sechs Jahren. Bei 20 Prozent kommt es zu Rückfällen. Für diese Kinder gibt es kaum geeignete Medikamente und Therapiemethoden.

Kinderkrebsstation der Universitätskinderklinik Leipzig
Bild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Sie sind noch sehr jung, und sie sind meistens sehr tapfer - Kinder mit Krebs. Leukämie ist eine der häufigsten Diagnosen. "Es ist vor allem die akute lymphatische Leukämie, abgekürzt, ALL", erklärt Olaf Witt, Direktor am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg, einer Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Heidelberg. "Bei ALL liegt die Überlebenschance bei 80 Prozent, bei einigen Formen sogar bei 90 Prozent.

Die Behandlung von einem neu diagnostizierten Tumor besteht in den meisten Fällen aus Chemotherapie und Bestrahlung. Das kann mehrere Monate dauern, manchmal sogar bis zu einem Jahr.

Vor etwa 60 Jahren konnten nur circa 20 Prozent der Kinder geheilt werden. Dank verbesserter Therapiemöglichkeiten stiegen die Überlebenschancen bis in die 90er Jahren auf 80 Prozent. "Seitdem aber stagnieren die Zahlen", sagt Witt. Das liege daran, dass für die meisten Tumorarten in den letzten zehn bis zwanzig Jahren keine wesentlich neuen und prinzipiell anderen Therapieansätze für Kinder entwickelt worden seien.

Leukämie ist die häufigste Krebsart bei Kindern

Schlechte Prognose bei einem Rückfall

"Ihr Kind hat Krebs": Diese Diagnose ist wohl einer der schlimmsten, die ein Arzt Eltern mitteilen muss. Oftmals noch schlimmer ist es, wenn der Krebs nach intensiver Therapie zurückkehrt. "Es gibt keine wirksamen Therapien, mit denen wir die resistenten Tumoren behandeln können, die bei einem Rückfall auftreten", sagt Witt. 

Bei etwa einem Fünftel aller an Krebs erkrankten Kindern kommt der Krebs zurück. "Wenn ein Tumor die erste, sehr intensive Therapie überlebt hat und quasi gegen die Behandlung resistent ist, dann hat er sein biologisches Verhalten verändert. Dann hat der Krebs gelernt, mit den Medikamenten umzugehen, weiterzuleben und sich zu vermehren", erläutert Witt. Das mache die Situation ungleich schwieriger.

"Deswegen gehen die Heilungschancen bei Rückfällen, insbesondere von Hirntumoren und soliden Tumoren, gegen Null. Die Kinder haben dann noch eine mittlere Lebenserwartung von neun Monaten." Bei einer Leukämie stehen die Chancen besser. Bei einem Rückfall gibt es noch Therapieoptionen mit Aussicht auf Heilung. 

Die meisten krebskranken Kinder sind sehr tapferBild: picture-alliance/ZB/W. Grubitzsch

Nebenwirkungen und Spätfolgen

Bei den klassischen Therapeutika sind die Nebenwirkungen und die Spätfolgen weitestgehend bekannt. Bei einer Chemotherapie kann beispielsweise das Herz in Mitleidenschaft gezogen werden oder die Fruchtbarkeit kann beeinträchtigt sein. "Bei der Bestrahlung wissen wir, dass diese Therapie Langzeitauswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Gehirns haben kann. Je jünger das Kind zum Zeitpunkt der Bestrahlung ist, umso ausgeprägter können diese Auswirkungen sein. Konzentrations- und Lernfähigkeit sind eventuell schlechter, den Intelligenzquotienten und auch allgemeine Gedächtnisleistungen kann eine Bestrahlung bei Kindern erheblich verschlechtern."

Der Teufel steckt im Detail

Es fehlen Medikamente, die speziell auf Kinder zugeschnitten sind, denn bei ihnen sind die Bedingungen ganz andere als bei Erwachsenen. Zunächst spielt die Dosierung eine große Rolle, damit das Medikament optimal wirken kann. Ein Erwachsener mit einem Körpergewicht von 70 oder 80 Kilogramm benötigt eine ganz andere Dosis als ein Kleinkind von etwa zehn Kilogramm.

Gerade für Kinder ist es gefährlich, wenn der Krebs zurückkommtBild: Imago Images/Science Photo Library

Auch andere Punkte müssen berücksichtigt werden. "Bei Kindern haben wir die Besonderheit, dass Kinder, Kleinkinder oder Säuglinge keine großen Tabletten schlucken können und oft auch nicht wollen", weiß Witt. Pharmaunternehmen müssen also kinderspezifische Formulierungen und Zubereitungsarten entwickeln, damit die Kinder das Medikament einnehmen und die Inhaltsstoffe entsprechend wirken können. "Das ist sehr aufwändig und auch sehr teuer. Es betrifft schließlich nur eine kleine Gruppe der Bevölkerung", gibt Witt zu Bedenken. Oft gehe es bei der Entwicklung von Medikamenten für Kinder eben auch um praktische Details. 

Medikamente als Wirtschaftsfaktor

Krebsmedikamente entwickeln die Pharmaunternehmen in erster Linie für Erwachsene, und diese Mittel können nicht eins zu eins bei Kindern eingesetzt werden. "Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass die Entwicklung von Medikamenten sehr wirtschaftlich getrieben ist", sagt Witt. "Wir als Kinderonkologen müssen schauen, ob zielgerichtete Medikamente für Erwachsene bei Kindern die gleiche Wirkung haben. Von unserer Seite ist da sehr viel Forschung nötig, und letztendlich müssen die Pharmafirmen ein Interesse daran haben, Medikamente für die Kinderkrebsmedizin zu entwickeln", erläutert Witt. "Das ist eine schwierige Situation."

Nur etwa ein Prozent aller Krebskranken sind Kinder und Jugendliche. "Die Pharmafirmen können die Entwicklungskosten, die sie für ein Medikament aufbringen müssen, eher über die erwachsenen Patienten wieder reinholen als das mit speziellen Krebsmedikamenten für Kinder möglich ist", so Witt.

Die Entwicklung von Krebsmedikamenten ist langwierig und kostenintensivBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Der große Unterschied

Während in der Krebsmedizin für Erwachsene momentan einige hundert klinische Studien laufen, sind es im Bereich der Kinderonkologie gerade mal 20. Gründe für diese geringe Zahl sind unter anderem hohe bürokratische Hürden und ethische Bedenken, Kinder klinischen Studien zu unterziehen, und auch hier spielen Entwicklungskosten eine Rolle. 

Dennoch können moderne zielgerichtete Medikamente auch bei Krebserkrankungen im Kindesalter wirksam sein, wenn die molekularen Angriffspunkte dieselben sind. Hierfür gibt es mittlerweile viele Beispiele, sodass die klinische Prüfung an Kindern zu Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser "erwachsenen" Medikamente sinnvoll und erforderlich ist.

Die INFORM-Studie

Anfang 2015 startete das Deutsche Krebsforschungszentrum in Zusammenarbeit mit vielen kinderonkologischen Kliniken in Deutschland das INFORM-Register (INdividualized Therapy For Relapsed Malignancies in Childhood"), das mittlerweile durch das KITZ koordiniert wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen in einer Studie, inwiefern Erbgutinformationen von Tumoren dabei helfen können, eine bessere Therapie für Kinder zu finden. Dabei stehen die Krebsarten im Mittelpunkt, bei denen es am häufigsten zu Rückfällen kommt. Dazu gehören Hirntumoren und Sarkome, bösartige Tumoren, die vom Stützgewebe ausgehen, also von Knochen, Muskel und Knorpel.

Karl Kapahnke war zweimal an Leukämie erkrankt, aber er hat es geschafft.Bild: privat

Die INFORM-Studie schließt Kinder und Jugendliche ein, die einen Rückfall ihrer Krebserkrankung erlitten haben und für die es keine aussichtsreiche Standard-Therapie mehr gibt. "Ungefähr hundert kinderonkologische Zentren aus Deutschland, aber auch aus 12 anderen europäischen Ländern, schicken uns Material. Mit neuen, molekularen Verfahren können wir dann das Erbgut eines Tumors aufschlüsseln. Wir können sehen, wo es im Erbgut Veränderungen gibt, die man mit zielgerichteten Medikamenten angreifen kann", erklärt Witt.

Auch Immuntherapien seien recht erfolgsversprechend. "Es gibt eine Reihe von Antikörpern, die insbesondere bei Leukämien und Lymphomen sehr wirksam sind. Das ist eine sehr positive Entwicklung, die es in den letzten Jahren gegeben hat", sagt Witt.

Die Achillesferse des Tumors

Die INFORM-Studie hat bereits Erfolgsmeldungen zu verbuchen. So gab es in Heidelberg Fälle, die als austherapiert galten. Schon einigen Kindern haben die Wissenschaftler helfen können, einen neu aufgetretenen Tumor in ihrem Körper zum Teil vollständig zurückzudrängen. In der Regel sind das Kinder, bei denen wir Veränderungen in bestimmten Genen finden, die als sogenannte starke onkogene Treiber funktionieren und für die es nach dem "Schlüssel-Schloss-Prinzip" passende, hochselektive Medikamente gibt. 

Im Moment ist es noch eine geringe Zahl an jungen Patienten, bei denen dieser Ansatz gelingt. "Damit solche Therapien bei vielen Erkrankten funktionieren", so Witt, "müssen wir noch sehr viel in die Forschung investieren".

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