Der Pianist Nils Frahm sitzt nicht nur am Flügel. Er bearbeitet ihn auch gerne mal mit Klobürsten. Dazu nutzt er viel elektronisches Equipment. Experimentell, kreativ, mit einfachen, immer wiederkehrenden Harmonien.
Anzeige
Wenn das Klavier allein nicht reicht
Pianisten wie Nils Frahm sitzen nicht nur am Flügel. Sie bearbeiten das komplette Instrument und nutzen dazu Sequenzer und Synthesizer. Experimentell und kreativ, mit einfachen, immer wiederkehrenden Harmonien.
Bild: picture-alliance/dpa/KEYSTONE/D. Steinmann
Nils Frahm: Überwinder aller Genregrenzen
Nils Frahm schafft es, Klassik-, Jazz- und Elektrofans gleichermaßen zu begeistern. Denn er führt die Musikrichtungen zusammen. Das macht der Berliner Komponist und Pianist seit Jahren erfolgreich. Melodisch, minimalistisch, kreativ. Im Mittelpunkt steht das Klavier. Das aber wird auch schonmal anders bespielt als üblich. Das Piano als Multitasking-Instrument - diese Idee fasziniert viele Musiker.
Bild: picture-alliance/dpa/KEYSTONE/D. Steinmann
Hauschka: Sammelsurium im Flügel
Wenn Hauschka sein Instrument präpariert, ist kein Gegenstand vor ihm sicher. Sein Flügel sieht aus wie eine Sammelbox mit vielen kleinen Dingen. Auf den Saiten liegen Teelichter oder Tischtennisbälle. Werden die Saiten angeschlagen, springen die Bälle und verursachen einen einzigartigen Sound. Das Klavier ist verkabelt und von Mikros umgeben. Die Sounds werden live elektronisch verarbeitet.
Bild: DW/Conny Paul
Grandbrothers: Klavier trifft Computer
Die Instrumente der Grandbrothers: Klavier, Mixer, Sampler und Laptop. Und eine Konstruktion aus 20 elektromechanischen Hämmerchen, die, vom Laptop gesteuert, auf die Saiten und den Klavierkorpus klopfen. Der Klang, der dabei entsteht, wird elektronisch weiterverarbeitet, geloopt, transponiert. Bei dem Duo aus Düsseldorf verschwimmt die Grenze zwischen Klavier und Elektronik.
Bild: Benedikt Schnermann
Ephrem Lüchinger: Tüftler aus der Schweiz
Bei einer Studiosession hat der Komponist und Pianist verschiedenste Sachen mit dem Flügel ausprobiert: draufgeschlagen oder mit diversen Materialien präpariert. Die dabei entstandenen Aufnahmen hat er auseinandergenommen, gesamplet, neu arrangiert. Auf seiner Platte "Are you prepared?" klingt das Klavier mal wie ein Schlagzeug, mal wie eine Geige, mal wie ein Bass - oder wie ein ganzes Orchester.
Bild: Mischa Scherrer
John Cage: Erfinder des "Prepared Piano"
John Cage hat schon in den 1950er Jahren die Grenzen des musikalisch Machbaren ausgelotet. So hat er etwa ein Stück komponiert, das nur aus Stille besteht. Er war der erste, der Dinge in Flügel eingebaut und damit experimentiert hat. Elektronische Spielereien faszinierten ihn. Das Stück "Imaginary Landscape" schrieb Cage unter anderem für Konservendosen, Gong und Plattenspieler.
Bild: Getty Images
Philip Zoubek: Freejazz - aber grenzenlos
Als studierter Jazzpianist findet er selbst im Freejazz keine Herausforderung. Und so lotet auch er die gesamte Bandbreite seines Flügels aus. Ganz ohne Elektronik - "Prepared Piano" pur. Die Musik: experimentelle Tonreihen mit den verschiedenen Klangfarben, die das Klavier hergibt. Nicht zum Mitsingen, Tanzen oder Träumen, sondern zum Staunen darüber, welche Töne aus einem Flügel kommen können.
Bild: Peter Trümmers
Steve Reich: Urvater des Minimal Sound
Seine früheren Werke sind minimalistisch und experimentell. Seine Spezialität sind Interferenzen, die entstehen, wenn zwei Pianisten gleichzeitig in einer Schleife dasselbe spielen. Im Februar kam es in der Kölner Philharmonie zu einem Eklat, als der Cembalist Mahan Esfahani das 17-minütige Werk "Piano Phase" auf dem Cembalo spielte. Die Zuhörer waren überfordert, das Konzert wurde abgebrochen.
Bild: picture-alliance/dpa
Philip Glass: Tabus sind am interessantesten
Vom indischen Sitar-Spieler Ravi Shankar lernte Philip Glass, wie hypnotisch Musik sein kann, wenn man sie wiederholt und nur wenig verändert. Einfache Akkorde, Tonfolgen und Arpeggien kreisen umeinander, gespielt auf den verschiedensten Instrumenten, vor allem Klavier und Orgel. Auch bei Glass braucht man zuweilen starke Nerven und einen großen Sinn für die Tonkunst hinter den Kompositionen.
Bild: picture-alliance/ZB
8 Bilder1 | 8
Nebelwolken auf der Bühne. Scheinwerferstrahlen wandern durch den Nebel. Diffuses Licht beleuchtet das Arrangement: Ein Flügel, eine Orgel, ein Synthesizer, ein Fender Rhodes-Piano, Laptops, Sequenzer. Mittendrin ein Mann. Im Takt wippend schraubt er an Knöpfen, drückt Tasten, setzt sich mal an den Flügel, mal an das E-Piano. Er schwitzt. Aus den Boxen tönen elektronische, rhythmische Klänge. Das Publikum beobachtet den Mann fasziniert, ist ganz in seinen Bann gezogen. Zu den elektronischen Tönen kommen glockenklare Klavierklänge dazu. Nils Frahm ist in seinem Element. Er improvisiert, findet immer neue Ideen, die er sofort umsetzt. Alles live auf der Bühne.
Genregrenzen werden gesprengt
Bei Nils Frahm verschwinden die Grenzen zwischen klassischer Klavierkunst, aktuellen Elektrosounds und Popmusik. Frahm selbst sagte mal, der Begriff "ein Teller Buntes" würde seine Musik schon ganz gut beschreiben. Er möchte die Genres verwischen, die Grenzen zwischen Musikstilen auflösen. Was ihm gelingt.
Seit dem Film "Victoria" ist der Künstler einem breiteren Publikum ein Begriff. Frahm komponierte die Musik zu dem deutschen Film, der bei der Berlinale 2015 einen Silbernen Bären bekommen hat und in einem einzigen Kameratake gedreht wurde. Die Macher des Montreux-Jazz-Festivals wurden auf den Musiker aufmerksam und luden ihn im vergangenen Sommer ein. Nach seinem Live-Set feierte ihn das Publikum.
Seit Jahren schon ist Frahm auf ziemlich unterschiedlichen Festivals ein gern gesehener Gast. Nicht nur auf Klassik- oder Jazz-Veranstaltungen. Auch auf Elektro-Festivals wie dem Electro-Underground-Festival "Dimensions" in Kroatien. Oder beim "Traumzeit"-Festival in Duisburg. Sogar beim "Melt"-Festival, wo man eher Indie-Klänge gewohnt ist. Er spielt in London, in Paris, selbst in den USA.
Ein Stück Filz
Die Idee, Klaviersounds zu modifizieren, hat er zu Hause in seiner Berliner Altbauwohnung gehabt - und eher dem Zufall zu verdanken. Damit sein Klavierspiel für die Nachbarn nicht zu laut wurde, hat er Filz zwischen die Saiten geklemmt. Der Sound, der dadurch zustande kam, war so außergewöhnlich, dass Frahm beschlossen hat, damit zu arbeiten. Für ihn wurden damit neue Möglichkeiten eröffnet, das Klavier zu nutzen, die Bandbreite wurde größer. Er produzierte direkt eine Platte mit dem Titel "Felt" (dt. Filz).
Das war allerdings nicht seine erste. Die war nämlich schon 2005 erschienen, mit dem lustigen Titel "Streichelfisch", und sie war rein elektronisch. Denn neben dem klassischen Klavier hat ihn die elektronische Musik ebenfalls fasziniert. Er produziert eine Platte nach der anderen, alleine und mit anderen Musikern. Dabei werden die Sprünge zwischen den Genres immer kleiner.
Als Grenzgänger nicht allein unterwegs
Seine Zusammenarbeit mit dem isländischen Musiker Ólafur Arnalds hat große Beachtung gefunden. Auch Arnalds "präpariert" sein Klavier gerne. Zusammen haben die beiden seit 2012 mehrere CDs und EPs herausgebracht, die auch von anderen Kollegen geremixed werden. Es ist Ambient von der schönsten Sorte, Klangteppiche, die langsam ihre Farben und Harmonien verändern. Ruhige Musik, gefällige Harmonien, die sich immer wiederholen, in jeder Wiederholung aber einen anderen Charakter bekommen.
Nun hat sich Nils Frahm einem weiteren Projekt gewidmet. Gemeinsam mit zwei alten Kumpels bildet er das Trio Nonkeen. Die drei kennen sich seit der Kindheit, musizierten damals schon zusammen und nahmen ihre Werke auf Kassettenrekordern auf. So haben sie es in den letzten Jahren auch gemacht, haben viele Sessions miteinander gehabt, alles gesammelt und schließlich aus dem neuen und teilweise auch uralten Material ein Album zusammengeschraubt: "The Gamble". Damit gehen Nonkeen jetzt auf Tour. Am 16. April geht's im Berliner Radialsystem los.
Und hier die passende Spotify-Playlist der DW PopXport-Redaktion mit zehn ausgesuchten Musikstücken: