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Politik

Wenn der Schutz zur Last wird

2. Januar 2018

Seit Juli 2017 gilt das neue Prostituiertenschutzgesetz, doch an der Umsetzung hapert es. Sexarbeitende sollten sich bis Ende 2017 melden, doch das war oft nicht möglich. Unterdessen reißt die Kritik nicht ab.

Prostituierte vom Straßenstrich in der Kürfürstenstraße
Straßenstrich in Berlin: Künftig nur noch mit Ausweis Bild: picture-alliance/R. Kremming

Wie unangenehm die neue Ausweispflicht für Sexarbeiterinnen sein kann, hat Johanna Weber erst kürzlich selbst erfahren: An der Kasse eines Baumarkts kramt sie in ihrem Portemonnaie, um die Kundenkarte zu finden. Doch stattdessen fällt ihr - vor den Augen aller - die Bescheinigung, dass sie als Prostituierte arbeitet, in die Hände: "Na super, dachte ich." Johanna Weber arbeitet als Domina in einem eigenen Studio. Außerdem ist sie Gründungsmitglied des Bundesverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen. Als Aktive für die Rechte von Sexarbeitenden in Deutschland ist sie es gewohnt, öffentlich über ihre Arbeit zu sprechen. "Aber die meisten Kollegen haben wegen der Stigmatisierung unseres Berufes ein riesengroßes Problem damit."

"Hurenpass" nennen viele Prostituierte den Ausweis, den sie nun während der Arbeit bei sich tragen müssen. Er ist einer der Kernpunkte des neuen "Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen" (ProstSchG)  - kurz Prostituiertenschutzgesetz. Das Gesetz ist bei Prostituiertenverbänden hoch umstritten. "Die Frauen haben einfach Angst, dass die Daten nicht in der Registrierungs-Behörde bleiben, sondern weitergereicht werden", sagt Weber. Zwar sollen die Daten nur zum Schutz vor Menschenhandel oder zur "Abwehr einer konkreten Gefahr" weiter gegeben werden, aber das ist vielen zu unsicher. Vor allem alleinerziehende Mütter in der Sexarbeit hätten Angst, dass mit ihren Daten nicht sensibel genug umgegangen werde. Sie fürchteten um das Sorgerecht für ihre Kinder. Studentinnen, die nebenher anschaffen gingen, wollten sich ungern outen, um ihren späteren Berufseinstieg nicht zu gefährden. Auch Migrantinnen, die sich die Option eines anderen Berufes offen hielten, lehnten die Anmeldung ab. 

Johanna Weber: "Riesengroßes Problem" Bild: Privat

Viele überfordert 

Schon am 1. Juli 2017 ist das Gesetz bundesweit in Kraft getreten, bis zum Ende des Jahres sollten sich alle Sexarbeitenden bei einer speziellen Behörde registrieren und einer gesundheitlichen Beratung unterziehen.  Doch an der Umsetzung scheitert es noch vielerorts. "In Berlin gibt es noch keine Stelle, wo man sich registrieren lassen kann", sagt Weber. "Das heißt: Wir müssen jetzt zum Ordnungsamt gehen und uns dort eine Bescheinigung holen, dass wir versucht haben, uns anzumelden." Ob dieser Ausweis auch in München gilt, wo Weber ebenfalls arbeitet, ist unklar. "Aber ich werde es jetzt darauf ankommen lassen; für die Unzulänglichkeit meines eigenen Bundeslandes kann ich ja nichts", sagt sie. 

Auch in anderen Bundesländern hapert es gewaltig. In Hessen ist ebenfalls nicht geklärt, welche Ämter für die Anmeldung zuständig sein sollen. Auch in Bayern zeichnen sich Probleme bei der Umsetzung ab. "Die meisten Prostituierten konnten sich noch gar nicht anmelden", sagt Sandra Ittner von der Nürnberger Beratungsstelle Kassandra. Eine der rühmlichen Ausnahmen ist Hamburg, das bereits die vorgeschriebenen Anmeldestellen und Gesundheitsberatungen auf den Weg gebracht hat. Seit Anfang November läuft die Beratung, laut der Stadt mit guter Resonanz.

Kleinbetriebe in Gefahr 

Schon vor Jahren sollte die Situation von Frauen und Männern im Sexgewerbe verbessert werden. 2002 trat deshalb das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Prostituierten" in Kraft. Sexarbeit gilt seitdem nicht mehr als sittenwidrig, Prostituierte können ihr Honorar einklagen und dürfen sich sozialversichern. Mit dem Gesetz sollte die Stigmatisierung abgebaut und ein Schritt in Richtung Normalität gemacht werden.  Diese Gedanken finden sich in dem neuen Gesetz nicht mehr.

Auch dieses Gesetz soll den Frauen helfen - vor allem denjenigen, die von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen werden. Doch aus Webers Sicht ist das eher naiv. "Wenn Menschenhändler es schaffen, dass Frauen oder auch Männer für sie anschaffen gehen, obwohl sie dies nicht wollen, dann schaffen sie es doch auch, dass diese Leute mal eben kurz zur Meldestelle gehen."

Zu viel Bürokratie: Protest von Sexarbeiterinnen vor dem BundesratBild: picture alliance/dpa/M. Gambarini

Für Weber weist das Gesetz  - neben der Meldepflicht - noch etliche andere Mängel auf. "Eigentlich soll das Gesetz zu unserem Schutz dienen, stattdessen erschwert es unsere Situation."  Vor allem Frauen, die gemeinsam und selbstbestimmt in kleineren Wohnungen arbeiteten, könnten nach den neuen Bestimmungen unter Druck geraten. Die sehen vor, dass es separate Badezimmer für Freier und Prostituierte, Alarmanlagen und die strikte Trennung von Arbeits- und Privatzimmer gibt - doch all das sei in einer kleineren privaten Wohnung schwerer umzusetzen als in einem großen Bordell. Kleinstbetriebe könnten sich die Umbauten nicht leisten und wären gezwungen, aufzugeben. Außerdem dürfen Sexarbeitende nach dem Gesetz nicht mehr in ihrer Arbeitsstätte übernachten, sondern müssten im Zweifel ein weiteres Zimmer anmieten oder ins Hotel gehen. Ein unnötiger Kostenfaktor, findet Weber. Auch die jährliche Gesundheitsberatung sei für viele Frauen unsinnig. "Was wollen die mir denn da immer wieder neu erzählen?", fragt sie sich. Der Gesetzgeber hofft dagegen, dass damit Menschen erreicht werden, die vorher unter prekären Umständen gearbeitet haben und nicht wissen, wie man sich vor Krankheiten schützt.

Sichtbar werden

Was den einen zu weit geht, geht den anderen nicht weit genug: Die Hilfsorganisation "Sowoldi - Solidarität mit Frauen in Not", die sich international  gegen Menschenhandel einsetzt, glaubt, dass ein Großteil der Sexarbeitenden in Deutschland zur Prostitution gezwungen wird. "Wir sind überzeugt, dass das neue Prostituiertenschutzgesetz in der Praxis nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen (…)", heißt es in einer Stellungnahme zum Gesetz. Die Organisation, die von Ordensschwester Lea Ackermann gegründet wurde, fordert stattdessen ein vollständiges Prostitutionsverbot und eine Kriminalisierung jeden Sexkaufes, wie es schon länger in Schweden praktiziert wird.

Trotz aller Kritik: Es gibt auch Stimmen, die das Gesetz positiv bewerten. "Vereinzelt äußern Prostituierte zwar immer noch Bedenken, mehrheitlich erhalte ich aber positive Rückmeldungen", sagt Elvira Niesner von der Beratungsorganisation Frauenrecht ist Menschenrecht der "Frankfurter Rundschau". Außerdem könne das Gesetz die Lage für finanziell bedürftige Männer und Frauen auch deutlich verbessern. Sie erhielten nach Jahren Anspruch auf staatliche Unterstützung  - weil sie nun offiziell "existierten". Manch einer denke nun auch über einen Ausstieg nach. 

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