Der Dieselskandal nimmt kein Ende, in Deutschland kommen die ersten Fahrverbote. Das Verkehrschaos rund um die Großstädte und auf den Autobahnen wird immer schlimmer. Ist der Individualverkehr ein Auslaufmodell?
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Für Jugendliche, die in großen Städten wohnen, hat der Besitz eines eigenen Autos keine große Bedeutung mehr - das ist das wichtigste Ergebnis einer Studie des Autoexperten Stefan Bratzel von der Wirtschaftshochschule in Bergisch Gladbach. Die Bedeutung von privatem PKW-Besitz und die emotionale Bindung zum Auto seien bei den 18 bis 25-Jährigen zunehmend rückläufig. Die Zeit für den Durchbruch alternativer Verkehrskonzepte scheint also reif zu sein.
"In Städten wendet sich die Jugend emotional vom Auto ab", sagt Bratzel im DW-Gespräch, "das öffnet die Tür für den öffentlichen Nahverkehr und für alternative Mobilitätskonzepte wie Carsharing, Bikesharing und andere Projekte". Während die urbane Jugend bereit zum Umdenken sei, werde sich außerhalb der Ballungsgebiete so schnell nichts ändern. "Auf dem Land sieht die Situation allerdings noch ganz anders aus, da wird es noch lange nicht ohne das eigene Auto gehen", so Bratzel.
Leipzig präsentiert integrierte Mobilität
Bus und Bahn mit Fahrrad und Auto digital vernetzen will beispielsweise Leipzig. Im gesamten Stadtgebiet stehen 28 "Mobilitätsstationen" in der Nähe zentraler Haltestellen, um den Umstieg zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zu erleichtern. Über eine Chipkarte werden Buchung und Zugang zu Fahrrädern und Carsharing-Fahrzeugen sowie deren Bezahlung geregelt.
Die VW-Tochter MOIA will mit dem Pooling-Prinzip, einer Art Sammeltaxi, die Mobilität in Hamburg neu ausrichten. Fahrerlose, elektrisch angetriebene VW-Busse werden von den Kunden per Smartphone mit einer App gebucht. Der Zustieg erfolgt an virtuellen Haltestellen, zu denen man maximal 250 Meter laufen muss. Eine Testphase läuft seit längerem, der offizielle Start des Projektes ist im nächsten Jahr geplant.
Deutsche Bahn, Volkswagen und städtische Verkehrsbetriebe
Carsharing mit autonom fahrenden Fahrzeugen strebt die Deutsche-Bahn-Tochter IOKI an. Je nachdem, wo IOKI eingesetzt wird, können die Fahrzeuggrößen variieren. Noch in diesem Jahr soll die Integration in den Hamburger Nahverkehr beginnen. Jedoch gibt es auch Praxistests in kleineren Gemeinden. So wurde im niederbayerischen Bad Birnbach vor einem halben Jahr ein selbstfahrender Elektro-Kleinbus in Betrieb genommen, der bisher mehr als 10.000 Passagiere ans Ziel gebracht hat.
Als Ergänzung zu U-Bahn, Tram und Bus, Rad und Car-Sharing schickt der städtische Mobilitätsanbieter in München ab Mitte Juni den "MVG Isar-Tiger" ins Rennen. Dafür kooperiert er mit einem Startup aus Berlin. Die Fahrzeuge stehen per Handy-App "on demand", also auf Abruf, bereit. Gasbetriebene VW-Caddys sollen zum Einsatz kommen, zunächst innerhalb eines Pilotprojekts in einem Testgebiet zwischen der Innenstadt und dem Münchner Westen.
Anschub durch politische Regulation fehlt
Um die neuen Mobilitätsangebote vorwärts zu bringen, fehlt bislang die massive Unterstützung seitens der Politik. "Diese politische Regulation muss dazu beitragen, dass der private Autoverkehr beschränkt wird", sagt Stefan Bratzel, "nur dann können sich diese neuen Mobilitätskonzepte wirklich ausbreiten". Der private Autoverkehr müsse in diesen Mobilitätskonzepten eine eigene, bescheidenere Rolle finden. Auf jeden Fall sei Eile geboten. "Der gesamte Lieferverkehr, der immer mehr durch die Amazonisierung des Handels in den Städten hinzukommt, wird irgendwann zu einer vollkommenden Verkehrstaublockade führen. Das gilt es zu verhindern, das geht nur mit einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Regulation", so Bratzel.
Auch die großen deutschen Autobauer investieren seit Jahren viel Geld in neue Mobilitätsdienste - ein starker Beleg dafür, wie robust der Trend zu neuen Konzepten ist. Daimler und BMW haben ihre entsprechenden Angebote erst im März zusammengelegt und sind mit rund 40 Millionen Kunden zumindest in diesem Punkt auf Augenhöhe mit dem in Europa umstrittenen US-amerikanischen Fahrdienstleister Uber.
BMW und Daimler stellen sich den Internetriesen zum "Krieg der Welten"
"Als Pioniere des Automobilbaus werden wir nicht anderen das Feld überlassen, wenn es um die urbane Mobilität der Zukunft geht", kommentierte Daimler-Chef Dieter Zetsche den Zusammenschluss. "Mit der geplanten Zusammenlegung unserer Mobilitätsdienste setzen wir ein Zeichen in Richtung neue Wettbewerber und bündeln unsere Kräfte", ergänzte BMW-Chef Harald Krüger. Die bisher konkurrierenden Carsharing-Anbieter der beiden Autokonzerne, Car2go und Drive-Now, sowie die Mobilitäts-Dienste Mytaxi, Moovel, Park-Now und Parkmobile sollen künftig auf einer gemeinsamen Plattform arbeiten. Daimler und BMW werden je 50 Prozent an dem Gemeinschaftsunternehmen halten. Die Zustimmung der Kartellwächter wird noch in diesem Jahr erwartet.
Auch die großen Internetriesen aus dem Silicon Valley wollen in diesem Spiel mitmischen. Das sei ein "Kampf der Welten" zwischen den etablierten Automobilherstellern und den Big-Data-Playern, sagt Bratzel. "Uber, Google und Apple sind da nur einige Namen, die in die Mobilitätsbranche wollen. In China heißen die Player Tencent und Alibaba oder Baidu."
Die digitalen Konkurrenten schickten sich an, ihr Portfolio von den Geschäfts-Bereichen Entertainment, Musik und beim E-Commerce auf Dienstleitungen zum Thema Mobilität auszudehnen. "Diese Player haben viel Erfahrung mit großen Datenmengen und mit Kundenkontakten. Die Automobilhersteller fangen gerade erst an, in diesen Bereichen Kompetenzen zu entwickeln." Für den Experten steht fest: "Es wird ein harter Kampf um die gefragtesten Mobilitätsplattformen der Zukunft."
Wozu noch ein Auto kaufen?
100 Jahre haben Bus, Bahn, Autos den Verkehr geprägt. Doch was wird aus Dieselantrieb, Ottomotor und dem Lenkrad, wenn sich E-Mobilität und autonomes Fahren etablieren? An Visionen mangelt es nicht.
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Willkommen im Stau! Nur Abgase können sich hier frei entfalten
Die Deutschen hängen an ihren Verkehrsstrukturen. Kein Wunder. Auto-Erfinder Gottlieb Daimler und Nicolaus August Otto, Miterfinder des Verbrennungsmotors, stammen aus Deutschland. Die Flotte von Daimler, BMW, Audi, VW und Porsche hat Weltruhm erlangt. Die Autobahn wurde zuerst hier gebaut. Doch die Transportsysteme der Zukunft werden grüner und flexibler, versprechen Verkehrsforscher.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Jansen
Die Stadt von morgen
Seit 2008 leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land - Tendenz steigend. Urbane Zonen werden CO2-neutral, klimaangepasst, digitalisiert und automatisiert sein, sagen Forscher der Fraunhofer Morgenstadt-Initiative. Verkehrsmittel werden durch Vernetzung effizienter genutzt. Das Sharing wird Schule machen. Mobilität wird Dienstleistung. Ein eigenes Autos braucht keiner mehr.
Smart - Zeitalter der Digitalisierung
Das Internet macht die weltweite Vernetzung möglich. Ganze Städte und auch Verkehrssysteme werden aufeinander abgestimmt. Für den Straßenverkehr bedeutet das: Ampeln schalten automatisch je nach Verkehrslage um. Sensoren übertragen Daten und sorgen dafür, dass Fahrzeuge nirgendwo anecken. Unfälle können so vermieden, Service, Wartung, Versicherungen, Parkuhren und Knöllchen überflüssig werden.
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Sicher und traditionell vor digital und autonom
Werden Amazon, Google und Co. den arrivierten Autobauern den Rang ablaufen und Fahrer bald auf dem Rücksitz Platz nehmen? - Eine Frage, die Alle brennend interessiert. Das autonome Fahren hat jedoch jüngst einen Rückschlag erlitten. Die Tests des US-Unternehmens Uber wurden eingestellt, nachdem ein Roboterwagen eine Frau nachts überfahren hatte.
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Wohin mit der Wut?
Die Straßen verstopft, die Ampeln auf rot, der Hintermann ein Drängler und nur noch wenig Zeit, den Termin pünktlich einzuhalten. Das stresst. Hupen, andere bedrängen, brüllen, beschimpfen? Aggressionen und Provokationen könnten der Vergangenheit angehören, setzt sich das autonome Fahren durch. Dann können sich die Passagiere zurücklehnen und über die alten Zeiten lachen. Ganz entspannt.
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Ohne Smartphone kein Fortkommen
Per App das Taxi ordern oder ein anderes Fortbewegungsmittel organisieren. Der Transport wird schon jetzt immer öfter öffentlich und gemeinschaftlich und über das Internet gesteuert. Bezahlt wird die Dienstleistung - natürlich - über´s Smartphone.
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Auslaufmodell
Die Zukunft des Autos ist elektrisch. Nur wann ist es soweit? Die Konzerne kündigen beständig Milliardeninvestitionen an. Doch mangelnde Lademöglichkeiten, geringe Reichweiten und hohe Kosten schrecken Kunden ab. Außerdem gibt es Bedarf an Alternativen zum E-Auto: Hybride, die mit Strom oder Sprit fahren, mit Wasserstoff oder synthetischem Treibstoff angetriebene Varianten.
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Gelb macht auf grün
Briefe klimafreundlich zustellen, dass machen Postmitarbeiter per pedes und per Rad. Doch um Pakete zu überbringen, brauchen sie Fahrzeuge. Die Deutsche Post (DHL) und die TU Aachen erfanden selbst welche: Die CO2-freien StreetScooter rollen mit Strom aus regenerativer Energie an. Durch Elektroantrieb keine Treibhausgase zu produzieren, das ist eine der Herausforderungen der Zukunft.
Bild: DW/A. Setiawan
Eierlegende Wollmilchsau
Es ähnelt dem Smart, ist aber ein Pedelec auf vier Rädern. Das Podride ist 1,80 Meter lang, verfügt über eine geschlossene Fahrerkabine mit komfortablem Sitz, fährt auf Schnee und Eis, meistert steile Hänge und rucklige Pisten, bietet Stauraum und eine Heizung. Der Fahrer lenkt das Gefährt über zwei Hebel neben dem Sitz und tritt in die Pedale, um die Hinterachse und den E-Motor anzutreiben.
Bild: PodRide
Autonomes Fliegen
Viele kluge Köpfe - eine Idee. Das fliegende Auto haben einige Unternehmen im Visier, darunter der Fahrdienstvermittler Uber und der Luftfahrtkonzern Airbus. Dieser raketenähnliche Prototyp soll einen Passagier 9150 Meter hoch beamen können und eine Geschwindigkeit von 480 Kilometern pro Stunde erreichen. Der Batteriewechsel ähnelt dem Boxenstopp in der Formel I: Kurz landen und weiter geht´s.
Bild: picture-alliance/dpa
E-mobil in der Luft
Der Ce-Liner wird von zwei elektrischen Triebwerken am Heck angetrieben. Die Flügel in C-Form sind aerodynamisch sehr effizient. Der Verein Bauhaus Luftfahrt hat ein Flughafen- und Flugzeugkonzept entwickelt. Innerstädtische Flughäfen sind in Zukunft raumsparend auf mehreren Ebenen angeordnet. Auf der obersten Ebene heben die Maschinen ab, darunter parken die batteriebetriebenen Ce-Liner.
Bild: Bauhaus-Luftfahrt e.V.
Autofrei mit Panoramablick auf den Gipfel
Das Schweizer Bergdorf Stoos hat 150 Einwohner und mehr als 2000 Gästebetten. In nur vier Minuten bringt diese futuristisch anmutende Panoramabahn Lebewesen und Material auf den Berg und überwindet dabei 1740 Meter und eine Höhendifferenz von 744 Metern. Mit einer Neigung von bis zu 1110 Promille ist sie die steilste Standseilbahn der Welt. Ob sich auf ähnliche Art der Himalaja erkunden lässt?
Bild: Reuters/A.Wiegmann
Die Mobilitätsrevolution ist voll im Gange
Die Welt ohne eigenes Auto? Kann sich das jemand vorstellen? Der PKW symbolisierte bisher Wohlstand und Unabhängigkeit. Doch die Zeichen der Zukunft stehen auf smart mobility. In nur wenigen Jahren wird das Auto ausschließlich Mittel zur Fortbewegung für mehrere Nutzer sein und zu einem Mix aus Mobilitätsangeboten gehören - prognostizieren die Verkehrs-Vordenker.