1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auf Expedition

Kerstin Palme
4. November 2014

Wer auf der Suche nach neuen Arten auf Expedition geht, will gut vorbereitet sein: Was einpacken? Wie reisen? Was tun, wenn etwas schief geht? Unser interaktives Special hat die Antworten.

Ich packe meinen Rucksack und fahre an einen Ort, an dem noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist. Forscher müssen auf vieles gefasst und gegen vieles gewappnet sein, wenn sie sich in die verborgenen Winkel der Welt aufmachen. Schließlich kann niemand ganz genau wissen, was hinter dem nächsten Baum, auf dem nächsten Hügel, im nächsten Gewässer wartet. Krankheiten lauern da, schlechtes Wetter, wilde Tiere oder - wie im Fall des Reptilien- und Amphibienforschers Dirk Embert - eine politische Kehrtwende. Ein Feldbericht:

„Von Cochabamba aus flog uns ein Hubschrauber in die Bergkette Mosetenes”, erinnert sich Dirk Embert. Die Reise führte ihn und zehn weitere Wissenschaftler im September 2003 zu einem der letzten weißen Flecken der Landkarte, nach Bolivien, in die Voranden. Diese Reise wäre für ihn und sein Forscherteam beinahe zur Todesfalle geworden. “Wir stellten unsere Zelte auf über 2000 Meter auf und begannen gleich mit der Forschung“, erzählt der heutige WWF-Mitarbeiter. Neue Tier- und Pflanzenarten wollten sie entdecken, den weißen Flecken mit Farbe füllen. Für Komfort war während des vierwöchigen Abenteuers kein Platz. Die einzigen kulinarischen Höhepunkte etwa sollten aus etwas Trockenfleisch und einem Stück Schokolade am Tag bestehen.

Weil es zu diesem Zeitpunkt weder Straßen, noch Wanderrouten oder Kartenmaterial von der Bergkette gab, ebenso wenig wie Handy-, Radio- oder Fernsehempfang, war die Gruppe über den Zeitraum auf sich allein gestellt. Einen Kontakt zur Außenwelt gab es nicht. Nur eine Verabredung: Nach vier Wochen in den Bergen sollte der Hubschrauber wiederkommen und die Forscher abholen.

Der Hubschrauber kam nicht. „Am vereinbarten Tag machten wir noch Scherze“, so Embert. „Endlich hatten wir Zeit, die tropischen 25 Grad zu genießen und in der benachbarten Lagune schwimmen zu gehen.“


Als der dritte Tag vergangen war, ohne dass ein Hubschrauber in Sicht gekommen wäre, verlor auch der letzte Expeditionsteilnehmer seinen Sinn für Humor. Die Vorräte waren nur auf vier Wochen, vielleicht ein wenig mehr, ausgelegt. Reis- und Bohnensäcke waren so gut wie leer. Wenn der Helikopter tatsächlich nicht käme, müsste man gemeinsam aufbrechen und versuchen die nächste Siedlung zu erreichen. In einer weitgehend unbekannten Gegend wäre dieses Unterfangen eine echte Wanderung ins Ungewisse: eine, vielleicht zwei Wochen unterwegs, ohne Lebensmittelvorräte, nur mit Kompass und Machete im Rucksack, angewiesen auf das eigene Gespür. „Erst als die Lage am fünften Tag unverändert blieb und die Situation immer angespannter, waren wir verzweifelt genug, um aufzubrechen und damit unser ganzes Forschungsmaterial, einschließlich wissenschaftlicher Funde, zurückzulassen.“


Kurz bevor das Forscherteam den beschwerlichen Weg antreten wollte, tauchte am Horizont doch noch der Hubschrauber auf – deutlich sichtbar waren diverse Einschusslöcher – der Pilot am Rande des Nervenzusammenbruchs. Was war passiert?

Während Embert und seine Kollegen auf der Suche nach Schlangen, Salamandern und Fröschen den Wald durchkämmt hatten, fand im nur 200 Kilometer entfernten La Paz ein Regierungsumsturz statt. Wie hätte das Forscherteam auch davon erfahren sollen? Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada hatte einen Bürgeraufstand ausgelöst, weil er Erdgas zu Spottpreisen an US-amerikanische Ölkonzerne verkauft hatte. Das Militär übernahm gewaltsam die Führung, bei dem Umsturz starben mindestens 60 Menschen. Er ging als „Schwarzer Oktober“ in die Geschichte ein.

Und der Pilot? Er war der einzige im ganzen Land, dessen Hubschrauber in den höchsten Regierungssitz der Welt einfliegen konnte – La Paz liegt auf weit über 3000 Metern Höhe. In den Tagen, an denen die Forscher ohne Nachricht in den Bergen warteten, musste er einen Minister nach dem anderen aus der Gefahrenzone fliegen. Die Rettung der Forscher hätte gar nicht stattfinden dürfen. Doch mit einer Notlüge rettete der Pilot ihr Leben. Eine wichtige Reparatur an seiner Maschine müsse vorgenommen werden, sagte er seinen Vorgesetzten. Während die den Helikopter in der Werkstatt wähnten, flog der Pilot zurück auf den Gipfel und brachte Dirk Embert und seine Forschergruppe zurück ins Tal.