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Jamalas ESC-Song entzweit die Netzgemeinde

Stefan Dege24. Februar 2016

Die Krimtatarin Jamala reist für die Ukraine zum Eurovision Song Contest. In ihrem Lied "1944" thematisiert sie die Deportation der Krimtataren. Im Netz schlagen die Wellen hoch: Eine Provokation in Richtung Russland?

Kiew Susana Jamaladinova Jamala ESC Vorentscheid (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/V. Ogirenko

Politischer hätte die Wahl zum ESC kaum ausfallen können: Die Jazzsängerin hatte sich beim ukrainischen Vorentscheid am Sonntagabend in Kiew gegen fünf Konkurrenten durchgesetzt. Unter Tränen sang sie ihr selbstkomponiertes Lied "1944", das von der Deportation der Krimtataren unter stalinistischer Herrschaft erzählt. Jamala, die tatsächlich Susana Schamaladinowa heißt, erinnert an die Geschichte ihrer Urgroßmutter, die zusammen mit ihren fünf Kindern deportiert wurde, während ihr Mann in der Sowjetarmee gegen die Nazis kämpfte. Sie wolle keine Politik machen, beteuert die 32jährige. "Es geht um meine Familie und meine Wurzeln." Jamala weiß, dass jeder, der ihren Titel hört, sofort auch an die Annexion der Krim 2014 durch Russland denkt.

Zwei Tage danach bestätigt der Blick in Soziale Netzwerke und die Kommentarspalten diverser Internetseiten, wie brisant "1944" ist. Auf Twitter, facebook, youtube und buzzfeed laufen sich die Diskutanten warm. Selbst auf vk.com, dem russischen facebook-Pendant, streiten Kommentatoren über Jamalas Song: Wie politisch darf der Eurovision Song Contest sein? Wird der ESC instrumentalisiert? Steht Russland zu Recht am Pranger? Um solche Fragen kreist der Disput. Beim Lesen drängt sich der Verdacht auf, dass dort auch Meinungsmacher im Auftrag des Kreml am Werk sein könnten.

Glückwünsche und Hasstiraden

Nicht wenige Nutzer richten ihren Kommentar direkt an die Siegerin von Kiew. Von überschwänglichem Jubel und Glückwünschen bis zu Beschimpfungen, die Jamala jegliches Talent absprechen oder Ihr Erscheinungsbild kritisieren, reicht das Meinungsspektrum. Erstaunlich, wie ehrverletzend viele Schreiber vom Leder ziehen. Dagegen unterlegt eine Nutzerin im russischen Netzwerk vk.vom Jamalas Song mit einem Video. Es zeigt offenkundig - in bewegenden Schwarz-Weiß-Bildern - die Deportation der Krimtataren vor 71 Jahren. Nach der Schlacht um die Krim waren auf Befehl Stalins 181.000 Krimtataren wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen nach Zentralasien zwangsumgesiedelt worden. Auf Echtheit überprüfen lassen sich die Bilder freilich nicht.

Die ukrainische Sängerin JamalaBild: picture-alliance/AP Photo/S. Chuzavkov

Auch auf deutschen Websites wird gestritten. Eine Zusammenschau der wichtigsten Argumente liefert etwa tagesschau.de. "Für die Krimtararen ist es schon das zweite mal in kurzer Zeit", schreibt ein Leser namens AWACS, "erst hat Stalin sie deportiert, nun vertreibt Putin sie aus ihrem Land." Der Nutzer ADELANTE meint: "Das heutige Russland täte gut daran, sich von den Befehlen Stalins und von den im Lied thematisierten Deportationen zu distanzieren. Denn dabei hat der Gewaltherrscher eindeutig gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstoßen." Mit Blick auf den Anschluß der Krim an Russland vor zwei Jahren schreibt NIKIOKO: "Auf der Krim hat es keine Abstimmung gegeben, nur eine völkerrechtswidrige Annexion durch irreguläre russische Truppen." JON DO meint: "Die Musik passt in diesen Wettbewerb. Und dass der Text ein Hilferuf der Kunstschaffenden ist, ist: Leider berechtigt."

"Das ist Meinungsfreiheit!"

Kritiker halten dagegen. "Ein Lied, das nur dazu dient, einen aktuellen Konflikt zu befeuern", notiert FRANKD, "ist einfach völlig daneben." Die Zulassung von "1944" zum ESC sei ein falsches Signal. Eine "Instrumentalisierung des ESC" beklagt auch IRIS, vor seiner "Politisierung" warnt "NACHTWIND. "So billig kann antirussische Polemik sein", weiß AGENT LEMON und fragt: "Vielleicht singen nächstes Jahr Russen über die Belagerung von Stalingrad, Deutsche über die Bombardierung von Dresden und Österreicher über die Belagerung von Wien durch die Osmanen?" Wie auf Knopfdruck sei das, erklärt LLOGIK 67 ironisch, "es kommt eine Nachricht über die Ukraine bzw. die Krim und schon drehen die Putintrolle auf." Und RUSSLAND.IM.AUS schreibt: "Auch wenn es Ihnen nicht passt: das ist Meinungsfreiheit!"

Die Karte der KrimBild: DW

Jamalas Liedtext beginnt mit den Worten: "Wenn Fremde kommen, wenn sie in euer Haus kommen, alle töten und sagen, sie seien nicht schuld…" Es erinnert an die Gewaltexzesse des Jahres 1944. Die European Broadcasting Union (EBU), die den ESC veranstaltet, hat sich bislang noch nicht zu dem Song geäußert. Lieder mit politischer Botschaft können laut Regelwerk ausgeschlossen werden. Georgien wollte 2009 mit dem Song "We don't wanna put in" in Moskau an den Start gehen und so ein Zeichen gegen Präsident Putin setzen. Doch der Beitrag wurde von der EBU verboten. Das Gleiche könnte auch "1944" drohen. Dann müsste Jamala ihren Songtext umschreiben oder ein anderes Lied singen. Das diesjährige ESC-Finale findet am 14. Mai in Stockholm statt.

Wandbild Putins auf der KrimBild: Reuters/P. Rebrov
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