Wer das glaubt, wird krank
16. Januar 2013 "Die Erwartung bestimmt den Verlauf" ist Magnus Heiers Lieblingssatz. Er ist Neurologe und Wissenschaftsjournalist und beschäftigt sich mit dem Unterbewusstsein. Das, was wir erwarten, sagt er, beeinflusse unseren Krankheitsverlauf. Es führe entweder dazu, dass Symptome verschwinden oder überhaupt erst entstehen.
Wer einen Artikel darüber liest, dass elektromagnetische Strahlung von Handymasten krank machen kann, entwickle möglicherweise Kopfschmerzen - selbst dann, wenn die Handymasten gar nicht eingeschaltet sind.
Wer an einem Tumor erkrankt sei, sterbe unter Umständen schneller daran, wenn er davon überzeugt sei, dass er nur noch wenige Monate zu leben habe - selbst wenn der Tumor nach der Diagnose nicht mehr wachse. Das nennt sich Nocebo-Effekt. Heier hat ein Buch darüber geschrieben.
Angst macht Stress, und Stress macht krank
„Der Effekt tritt dann sehr stark auf, wenn Sie Angst haben - Angst vor Ihrer Krankheit, Angst vor den Therapien, die auf Sie zukommen. Dann wird es so sein, dass die Nebenwirkungen sehr viel heftiger sind“, so Heier. „Krebs-Patienten wird zum Teil massiv übel, wenn sie nur die Räume betreten, in denen sie bisher chemotherapeutisch behandelt wurden. Weil sie unterbewusst ahnen, dass jetzt diese Übelkeit kommt.“
Angst ist Stress für den Körper und kann das Immunsystem schwächen. Dieses wird angreifbarer, Infekte haben leichtes Spiel, Schmerzen entstehen, wo keine entstehen müssten.
Das bestätigen auch Studien, wie die von Medizinern der Unikliniken Regensburg und Tübingen. Winfried Häuser, Emil Jansen und Paul Enck haben Forschungsarbeiten zum Nocebo-Effekt recherchiert, die weltweit zwischen 1960 und 2011 publiziert wurden, und die Erkenntnisse dieser Studien überprüft und zusammengetragen.
Bisher wenig beachtet
Nocebo bedeutet so viel wie "Ich werde schaden", Placebo dagegen "Ich werde gefallen". Im Grunde der gleiche Effekt - nur einmal die negative und einmal die positive Seite. Beides trifft uns dort, wo wir es am wenigsten beeinflussen können: in unserem Unterbewusstsein.
Ein Placebo löst die Überzeugung aus, das einem geholfen wird, beispielsweise durch ein Medikament. Das kann bewiesenermaßen dazu führen, dass Scheinmedikamente ohne Wirkstoff, beispielweise eine reine Zuckerlösung, die gleiche Wirkung haben wie ein echtes Medikament mit Wirkstoff.
Der Placebo-Effekt ist bereits gründlich erforscht. Wer in der Online-Bibliothek des US-Gesundheitsministeriums nach Einträgen zu Placebo sucht, stößt auf fast 160.000. Zu Nocebo finden sich bei "pubmed" dagegen nur knapp 180 Einträge. Er wird weniger beachtet und in Deutschland überhaupt erst seit wenigen Jahren - obwohl er eben das macht, was niemand will: Er löst Ängste im Unterbewusstsein aus.
Zu viele Informationen
"Wenn ich bei Ihnen eine Verengung der Halsschlagader festgestellt habe - keine relevante, nur ein bisschen zu eng - dann werden Sie das, wenn Sie mal Schwindel haben, immer im Zusammenhang mit diesem Befund sehen", sagt Magnus Heier. "Dabei darf jeder mal Schwindel haben. Aber Sie bekommen diese Befunde nicht mehr aus dem Kopf. Sie verankern sich im Unterbewusstsein."
Wenn jemand Angst vor einem Tumor hat, erkrankt er zwar nicht an einem Tumor, aber möglicherweise an etwas anderem. Wer Angst vor A habe, so Magnus Heier, bekomme nicht automatisch A, aber vielleicht B - beispielsweise einen Infekt.
In Gang gesetzt wird der Nocebo-Effekt vor allem durch zu viele Informationen, die man nicht einordnen kann. Wer bei Google "Schwindel" eingibt, wird auf die schlimmsten möglichen Erklärungen treffen.
Auch Beipackzettel listen alle nur erdenklichen Neben- und Wechselwirkungen auf, selbst wenn sie nur "sehr selten" auftreten - also bei weniger als einem von 10.000 Behandelten. Dazu sind die Pharmafirmen gesetzlich verpflichtet.
Die richtige Kommunikation
Wer merkt, dass ihm mögliche Nebenwirkungen Sorgen oder gar Angst machen, sollte das Medikament nicht einfach in den Müll werfen oder die selbst gestellte Netz-Diagnose mit sich selbst ausmachen - sondern darüber reden, bestenfalls mit einem Arzt.
Allerdings kann selbst die Arzt-Patienten-Kommunikation beim Patienten Ängste auslösen, wenn der Arzt nicht aufpasst. "Inzwischen ist jedem klar, dass man durch Gespräche etwas beeinflussen kann", sagt Sasa Sopka. Er ist Anästhesist und einer der Leiter des AIXTRA an der RWTH Aachen - einem Trainingszentrum für die medizinische Ausbildung, in dem von der Operation bis zum Patientengespräch alles geübt wird.
Was die Medizinstudenten in den USA schon seit 30 Jahren trainieren, wird an deutschen Unis erst seit einigen Jahren gemacht. Die Kommunikationskurse sind in Aachen seit 2005 ab dem dritten Semester Pflicht. "Spätestens bei unseren Seminaren wird nach dem dritten oder vierten Mal klar, was man beim Patienten verändern oder auch negativ beeinflussen kann, wenn dieses Gespräch schlecht läuft", sagt Sopka.
So viel wie nötig, so wenig wie möglich
Schlecht ist es beispielsweise, wenn ein Arzt dem Patienten nicht wirklich zuhört, ihm nicht in die Augen schaut, ihn nicht ernst nimmt, ihn einschüchtert, sich überwiegend negativ ausdrückt oder leichtsinnig unheilvolle Diagnosen in den Raum wirft, ohne den Patienten überhaupt umfassend untersucht zu haben.
Das kann an Zeitmangel und Arbeitsdruck liegen oder dass Ärzte ihre Patienten möglichst transparent über die möglichen Risiken einer Behandlung oder Operation aufklären wollen.
Wenn einem etwas weh tut, so Neurologe Heier, dann sollte man natürlich zum Arzt gehen. Auch bestimmte Vorsorgeuntersuchungen seien sinnvoll. Alles andere sei mit Vorsicht zu genießen, um sich nicht selbst zu schaden: Beipackzettel, medizinische Diagnosen aus dem Internet oder aus Apotheken-Magazinen - wie unser Unterbewusstsein mit diesen Informationen umgeht, ist nicht zu unterschätzen.