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Qualvoll verdurstet im Terror-Kalifat des IS

5. Juli 2019

Die Vorwürfe gegen die deutsche IS-Anhängerin Jennifer W. wiegen schwer. Sie soll dabei zugesehen haben, wie ein fünfjähriges jesidisches Mädchen in Falludscha verdurstete. Jetzt sagt die Mutter des Kindes aus.

Symbolbild: Jesiden auf der Flucht
August 2014: Im Nordirak fliehen Jesiden vor den Gräueltaten des ISBild: picture-alliance/Y. Akgul

Drei, höchstens vier Meter liegen im Gerichtsaal zwischen der IS-Rückkehrerin Jennifer W. auf der Anklagebank und der jesidischen Mutter Nora T. im Zeugenstand. Blicke wechseln die beiden Frauen nicht. Gerade so, als würden sie sich nicht kennen.

Doch nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft verbindet die 28-jährige Deutsche und die 47-jährige Jesidin aus dem Norden Iraks eine grausame Geschichte: Nora T. soll die Mutter jenes kleinen Mädchens sein, das die IS-Anhängerin aus dem norddeutschen Städtchen Lohne nach eigener Aussage verdursten ließ. Damals, im Sommer 2015, im irakischen Falludscha.

Der irakische Ehemann von Jennifer W. soll die Kindersklavin bei 45 Grad Hitze in der prallen Sonne angekettet haben. Zur Strafe, weil die Fünfjährige ins Bett gemacht hatte. Jennifer W. ließ das geschehen, wie sie in einem abgehörten Gespräch selber geschildert hat. Mord durch Unterlassung heißt das in der Sprache der deutschen Justiz. Bei einer Verurteilung könnte auch noch Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinzukommen.

Jesiden im Nordirak

12:03

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Wichtigste Zeugin der Anklage

Die beiden Frauen treffen vier Jahre nach dem Tod des Mädchens im Strafjustizzentrum München aufeinander. Bei der Sicherheitskontrolle am Eingang tragen die Beamten schusssichere Westen. Wer zwei Etagen höher in den Saal B277 will, wird noch einmal kontrolliert. Der Terror-Prozess gegen Jennifer W. erregt international viel Aufmerksamkeit. Hier geht es weltweit zum ersten Mal in einem Gerichtsverfahren um die Verbrechen, die der IS an den Jesiden verübte. Die Vereinten Nationen sprechen von Völkermord.

Nora T. tritt in München als wichtigste Zeugin auf. Vier Tage hat der Vorsitzende Richter Reinhold Baier für diese Befragung angesetzt. Für die Bundesanwaltschaft hängt viel von ihrer Aussage ab. Denn als im vergangenen Dezember Anklage gegen Jennifer W. erhoben wurde, konnte sie sich nur auf die Aussagen der IS-Anhängerin selbst stützten. Bei einer Fahrt im verwanzten Auto eines Undercover-Polizisten hatte sie im Juni 2018 selbst vom grausamen Tod einer fünfjährigen Kindersklavin erzählt.

Jennifer W. zwischen ihren RechtsanwältenBild: Getty Images/S. Widmann

Die Angeklagte zeigt keine Emotionen, als Nora T. auf die behutsamen und geduldigen Fragen des Richters antwortet. Oft schwammig und unklar. Vieles bleibt im Dunkeln. Die Zeugin erzählt über ihre vergebliche Flucht vor dem heranrückenden IS im Jahr 2014.

Sie berichtet, wie ihre Familie auseinander gerissen wurde und dass sie bis heute nicht weiß, wo ihr ältester Sohn ist. Wie sie zum Übertritt zum Islam gezwungen wurde, weil sie sonst umgebracht worden wäre. Und wie sie mit ihrer Tochter als Sklavin verkauft wurde. Immer wieder. Bis sie schließlich im Sommer 2015 ins Haus von Abu Maawi bei Falludscha kam, der gerade frisch verheiratet war.

"Die Frau kam aus Deutschland"

Jennifer W. verzieht auch keine Miene, als Nora T. vom Leben in diesem Haus erzählt. Einem Leben geprägt von Angst, Sklavenarbeit und Gewalt. Vor allem wegen der kleinen Rania habe es immer wieder Schläge gegeben. Rania – das ist der Name, den IS-Mann Abu Maawi dem kleinen Mädchen gegeben hatte, weil er den Namen der "Ungläubigen" nicht benutzen wollte.

Besonders die Frau Abu Maawis habe sich immer wieder von der Fünfjährigen gestört gefühlt, berichtet die Jesidin. Dann schlug Abu Maawi zu, auch ins Gesicht, mit "harter Hand". Einmal musste das kleine Mädchen offenbar vier Tage im Bett verbringen, um sich zu erholen.

"Wut und Trauer sind meine Triebfeder"

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Schließlich fragt Richter Baier die Mutter, wie sie sich denn mit der Frau verständigt habe. Arabisch habe die nicht gut gekonnt, antwortet Nora T. Und ergänzt: "Die Frau hat gesagt, sie kommt aus Deutschland." Auch da bewegt sich nichts im Gesicht von Jennifer W.

Die Befragung gestaltet sich schwierig. Nora T. ist eine einfache Frau. Sie war nur vier Jahre in der Schule. Mit Zahlen kann sie nicht viel anfangen. Oft gibt es Missverständnisse. Und immer wieder verlässt sie die Erinnerung. Auf mehrfache Nachfrage des Richters sagt sie zum Beispiel aus, dass sie sich nicht daran erinnern kann, wann sie ihre Tochter zum letzten Mal lebend gesehen hat. Es bleibt offen, ob das an den traumatischen Ereignissen liegt.

Nora T. spricht den kurdisch-irakischen Dialekt Kurmandschi. Die Übersetzerin, die nicht fließend deutsch spricht, muss immer wieder nachfragen, weil sich Nora T. wegen eines Sprachfehlers undeutlich artikuliert.

"Die schlimmste Geschichte von allen"

Jennifer W. selbst schweigt vor Gericht beharrlich. Ausgesagt haben bisher ein Polizist aus Norddeutschland, der Bilder von Hingerichteten auf ihrem Handy und Bauanleitungen für Bomben auf ihrem Computer fand. Ebenso eine Freundin aus gemeinsamen Tagen im Terrorkalifat, die Jennifer W. als selbstbewusst beschrieb, als hochintelligent und als Frau, die sich "nicht leicht unterdrücken lässt". Und ausgesagt hat auch die Mitarbeiterin der jesidischen Hilfsorganisation Yazda, die vor zwei Jahren Nora T. in einem Flüchtlingslager im nordirakischen Dohuk fand.

2015: Kurdische Peschmerga entdecken im Nordirak ein jesidisches MassengrabBild: Getty Images/J. Moore

Die Yazda-Mitarbeiterin hatte schon viele schlimme Geschichten von versklavten Jesidinnen gehört. Die Geschichte von Nora T. sei die schlimmste von allen gewesen, gab sie Ende Juni vor dem Oberlandesgericht München zu Protokoll.

Ihre Organisation habe inzwischen die Aussagen tausender Frauen dokumentiert, erklärt Yazda-Rechtsexpertin Natia Navrouzov. Dabei würden auch Informationen über ausländische Kämpfer und IS-Anhänger gesammelt. "Wenn wir sie identifizieren und wissen, wo sie sind, teilen wir das den verantwortlichen Behörden mit. So wie wir es im Fall von Jennifer W. gemacht haben."

Härtere Gangart des Generalbundesanwalts

Frauen, die aus dem Terror-Kalifat nach Deutschland zurückkehrten, blieben lange relativ unbehelligt. Der bloße Aufenthalt einer Frau bei der Terrormiliz reichte nicht für einen Haftbefehl. Auch Jennifer W. lebte nach ihrer Rückkehr 2016 zunächst in Freiheit. Erst, als sie im Sommer 2018 in das IS-Gebiet zurückreisen wollte, wurde sie festgenommen.

Generalbundesanwalt Peter FrankBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Generalbundesanwalt Peter Frank hat eine härtere Gangart angekündigt. Er ist grundsätzlich der Auffassung, dass Frauen wie Jennifer W. die Terrororganisation IS von innen stärken, wenn sie Kämpfer heiraten und für das selbsternannte Kalifat Kinder zur Welt bringen.

Dennoch brauchen die deutschen Staatsanwälte Beweise für eine aktive Mittäterschaft. Dazu zählt zum Beispiel die Verbreitung von IS-Propaganda. Oder die Teilnahme an Vertreibungen und Plünderungen. So wie bei Sabine S., die an diesem Freitag in Stuttgart zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde.

Emotionaler Kern des Prozesses

In München wird die jesidische Zeugin Nora T. noch an mindestens zwei weiteren Tagen aussagen. Dann wird Richter Baier zum emotionalen Kern des Prozesses kommen. Zum Tod des kleinen Mädchens Rania, dem der IS-Mann Abu Maawi erst den Namen und dann das Leben nahm.

Dann wird der Richter Nora T. auch fragen müssen, ob sie in der Angeklagten, die keine vier Meter von ihr entfernt sitzt, die Ehefrau des Täters erkennt. Spätestens dann werden sich die Blicke von Jennifer W. und Nora T. begegnen müssen.

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