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Politik

Wer ist Irans nächster Präsident Raeissi?

19. Juni 2021

Ebrahim Raeissi verkörpert einen strengeren Kurs als sein Vorgänger. Dennoch war der Sieg des 60-jährigen Hardliners keine Überraschung. Er könnte den Iran für lange Zeit prägen - über die Präsidentschaft hinaus.

Ebrahim Raeissi vor der iranischen Flagge
Turban, Bart, schwarzes Gewand: Raeissi gibt sich schon äußerlich als Kleriker zu erkennenBild: Ebrahim Noroozi/AP/picture alliance

Ebrahim Raeissi hat derart deutlich gewonnen, dass ein zweiter Wahlgang überflüssig wird - und doch haftet dem Sieg der Makel einer womöglich historisch niedrigen Wahlbeteiligung an. Beobachtern zufolge war die Präsidentenwahl im Iran von Anfang an auf Raeissi zugeschnitten: Allzu aussichtsreiche programmatische Gegenkandidaten wurden nicht zugelassen, ihm nahestehende Konkurrenten haben ihre Kandidatur zurückgezogen, um Raeissis Erfolg nicht zu gefährden. Im Vorfeld des Urnengangs wurden Fotomontagen im Netz geteilt, die auf sarkastische Weise zeigen sollten, wie viel Auswahl den Wählerinnen und Wählern blieb: zu sehen war vier Mal Ebrahim Raeissi.

Nun steht auch offiziell fest: Raeissi löst Anfang August den gemäßigteren Hassan Rohani ab, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte. Bei seiner ersten Kandidatur 2017 war er noch am Amtsinhaber gescheitert. Für den in der geistlichen Führungsriege bestens vernetzten Erzkonservativen könnte das Präsidentenamt noch nicht der Gipfel seiner Karriere bedeuten.

Die religiösen Wurzeln des Ebrahim Raeissi

Vor 60 Jahren wurde Raeissi in eine streng religiöse Familie in der zweitgrößten iranischen Stadt Maschad geboren. Für schiitische Muslime ist sie einer der wichtigsten Pilgerorte: Dort befindet sich das Grabmal des bedeutenden Imams Reza. Hüter des Schreins ist eine Geld- und einflussreiche Stiftung, die Raeissi von 2016 bis 2019 leitete. Raeissi durchlief selbst eine umfangreiche theologische Ausbildung und hält den Rang eines Hodschatoleslam - das ist der zweithöchste Klerikerrang, direkt hinter Ajatollah.

Raeissi (rechts) und sein Nachfolger bei der Stiftung des Reza-Schreins, Ajatollah Ahmad Marvi, kennen sich seit langemBild: MIZAN

Raeissis Karriere begann direkt nach der islamischen Revolution von 1979, als er im Alter von gerade einmal 20 Jahren zum Generalstaatsanwalt von Karadsch, der Nachbarstadt Teherans, ernannt wurde. Es war die erste von vielen Positionen in der Justizbehörde: Später sollte er Richter werden, 2019 stieg er zum Leiter der Justizbehörde auf.

Schwere Vorwürfe von Menschenrechtlern

Eine Episode aus seiner Zeit als stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts in Teheran haftet Raeissi jedoch bis heute an: 1988 war er laut Amnesty International als Mitglied der "Todeskommission" an außergerichtlichen Hinrichtungen beteiligt. Der Menschenrechtsorganisation zufolge wurden dabei mindestens 5000 Regimegegner ermordet - die tatsächliche Zahl könne noch weit höher liegen, weil viele Freigelassene erneut festgenommen und heimlich exekutiert worden sein könnten, heißt es in einem 2018 veröffentlichten Amnesty-Bericht. Die US-Regierung unter Donald Trump, aber auch die EU haben ihn in diesem Zusammenhang 2019 mit Sanktionen belegt.

Mit Schuhen und Fotos machten Aktivisten 2018 bei den UN in Genf auf die Hinrichtungen von 1988 aufmerksamBild: Siavosh Hosseini/Nur Photo/picture alliance

Dass Raeissi nun zum Präsident gewählt wurde, anstatt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt zu werden, sei eine "bittere Erinnerung daran, dass Straflosigkeit im Iran herrscht", erklärte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard anlässlich seiner Wahl.

Wohl Fortführung der Atom-Wiederannäherung

Unabhängig von den gegen ihn ausgesprochen Sanktionen haben westliche Regierungen Grund zur Hoffnung, dass Raeissi die unter Trumps Nachfolger Joe Biden angestoßenen Wiederbelebungsmaßnahmen für das Atomabkommen von 2015 weiter fortführen dürfte. Zwar kritisierte er das Abkommen, gelobte während des Wahlkampfs jedoch, sich daran halten zu wollen: "Wir werden das Abkommen respektieren, die Bedingungen dafür stellen aber wir, nicht die USA", sagte Raeissi.

Irans Außenminister Mohammad Dscharif (l.) im Austausch mit Beamten der Internationalen AtomenergiebehördeBild: STR/AFP/Getty Images

2015 hatte Iran sich zu einer weitgehenden Einstellung des eigenen Atomprogramms bekannt, im Gegenzug sollten westliche Sanktionen fallen. Kaum drei Jahre später kündigte US-Präsident Trump das unter seinem Vorgänger Obama verhandelte Abkommen jedoch auf und verschärfte den Sanktionskurs weiter. Dadurch haben sich die wirtschaftlichen Probleme des Iran drastisch verschärft, parallel wurden die iranischen Uran-Anlagen schrittweise wieder hochgefahren. Die Verhandlungen zur Rückkehr zu dem Abkommen könnten sogar schon vor Raeissis Amtsantritt im August abgeschlossen werden.

Innenpolitische Herausforderungen

Nicht zuletzt wegen der scharfen Sanktionen übernimmt Raeissi ein Land in desolater Lage, zuletzt lag die Inflation bei 40 Prozent. Die Lage zu verbessern, dürfte für den Erfolg seiner Präsidentschaft mit entscheidend sein. Zuletzt stellte er sich als Kämpfer gegen die Korruption und Problemlöser dar: "Die Leiden unserer Bevölkerung wegen des Mangels sind real", sagte er bei der Stimmabgabe in Teheran.

Beobachter erwarten einen noch schärferen Kurs gegen den Erzfeind Israel, aber möglicherweise auch gegen die ohnehin eingeschränkte Meinungsfreiheit im Land: Bereits als Justizchef war er mit dafür verantwortlich, dass der populäre Messengerdienst und WhatsApp-Konkurrent Signal im Iran seit einigen Monaten nicht mehr erreichbar ist. Die Betreiber erklärten im Januar, die Zensurbehörde hätten die Verbindung komplett gekappt, nachdem es dem verschlüsselten Dienst gelungen sei, eine erste Zensurmaßnahme zu umgehen.

Berufen für Höheres?

Als bedeutsames Signal gilt vielen Beobachtern das Wohlwollen von Ajatollah Ali Chamenei: Im Wahlkampf bezeichnete er Raeissi als "vertrauenswürdigen und erfahrenen Mann". Während der Präsident für das politische Tagesgeschäft verantwortlich ist, werden viele langfristigere Leitlinien vom geistlichen Obersten Führer vorgegeben. Chamenei, der ebenfalls aus Maschad stammt, bekleidet die Position seit dem Tod seines Vorgängers Ruhollah Chomeini 1989.

Raeissi und Chamenei gelten als vertraut - das Foto galt Anhängern im Wahlkampf als Argument für RaeissiBild: Morteza Nikoubazl/NurPhoto/picture alliance

Auch Chamenei war zuvor Präsident gewesen und musste bei seiner Ernennung vom Hodschatoleslam zum Ajatollah hochgestuft werden. Chamenei wird im Juli 82 Jahre alt - und Raeissi befindet sich nun in der besten Position, sich als möglicher Nachfolger in Stellung zu bringen.

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