Anutin Charnvirakul: Wer ist Thailands neuer Premier ?
9. September 2025
Das Parlament in Bangkok hat in einer Sondersitzung am 5. September einen Unternehmer und langjährigen Politiker zum neuen Premier gewählt. Anutin Charnvirakul ist der Erbe von Sino-Thai, einem der größten Bauunternehmen Thailands. Bevor der heute 58-Jährige in den 1990er-Jahren in die Politik einstieg, war er Präsident des Unternehmens.
Seitdem hatte er mehrere hochrangige Positionen inne, darunter sechs Jahre lang als stellvertretender Premierminister, von 2019 bis 2023 als Gesundheitsminister und zuletzt - bis dieses Jahr - als Innenminister.
Seine Amtszeit als Gesundheitsminister fiel mit der COVID-19-Pandemie zusammen. In dieser Rolle leitete er auch die Kampagne zur Legalisierung von Marihuana in Thailand, das 2022 als erstes Land in Asien Cannabis vollständig entkriminalisierte.
Dies brachte ihm in den Medien den Spitznamen "Cannabis-König" ein. Aber trotz dieser Kampagne ist Anutin nicht für liberale Politik bekannt, sondern gilt als überzeugter Royalist und Führer der konservativen Bhumjaithai-Partei.
Mit Unterstützung der Opposition gewählt
Anutins Ernennung erfolgte, nachdem Paetongtarn Shinawatra von der Pheu-Thai-Partei im vergangenen Monat nach einem Gerichtsurteil als Premierministerin abgesetzt wurde.
Anutin gewann die Abstimmung dank der Unterstützung der oppositionellen People's Party – der Nachfolgerin der progressiven Move-Forward-Partei. Diese hatte bei der letzten Wahl 2023 die meisten Stimmen erhalten, wurde aber später von demselben Gericht verboten, das auch Paetongtarn absetzte.
Die People's Party hatte sich bereit erklärt, Anutins Kandidatur zum Premierminister zu unterstützen – unter der Bedingung, dass er das Parlament innerhalb von vier Monaten auflöst und Neuwahlen ausruft.
Die Partei ist nicht Teil von Anutins Regierung, sondern hofft, dass diese nur von kurzer Dauer ist und zu einer Verfassungsreform führt. Sie hofft auf ein starkes Ergebnis bei den Wahlen, wann immer diese stattfinden.
Auch wenn sich dieser Schritt letztlich als klug erweisen könnte, bezeichnete Thitinan Pongsudhirak, Politikwissenschaftler und Professor an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok, ihn als eindeutig "ungewöhnlich".
"Wir hatten noch nie eine Partei mit der größten Anzahl an Abgeordneten, die für einen Premierminister aus einer anderen Partei stimmt und dennoch nicht Teil der Regierung wird – denn Regierung bedeutet Macht. Ich denke, sie will zeigen, dass sie die Partei der Zukunft ist", sagte Thitinan gegenüber der DW.
Thailands dringendste Probleme
In einer Rede an die Nation erklärte Anutin nach seiner Ernennung, er werde sich darauf konzentrieren, die dringendsten Probleme Thailands zu lösen – darunter die steigenden Lebenshaltungskosten, die Spannungen an der Grenze zu Kambodscha sowie Bedrohungen durch Drogen- und Menschenhandel und Betrugsdelikte, die "das Wohlergehen der Nation gefährden".
Angesichts der Unruhen und Spaltungen, die gegenwärtig die Politik des Land belasten, könnte es für den neuen Premierminister jedoch schwierig werden, gesetzgeberische Fortschritte zu erzielen.
"Als Minderheitsregierung könnte unsere Arbeit nicht so reibungslos oder schnell verlaufen wie die einer Mehrheitsregierung, insbesondere im Parlament", sagte Anutin selbst. "Daher appelliere ich an alle Mitglieder des Repräsentantenhauses, ihre Differenzen beiseitezulegen und das Interesse des Volkes in den Vordergrund zu stellen".
Thailands Wirtschaft ist träge – laut Weltbank wird für 2025 ein Wachstum von nur 1,8 % prognostiziert. Auch die Grenzspannungen mit Kambodscha sind weiter ungelöst. Thitinan sagte, Anutin befinde sich "zwischen Baum und Borke".
Aber Anutins Ernennung könnte die Lage entspannen. Kambodschas Premierminister Hun Manet gratulierte Anutin zu seinem "durchschlagenden Sieg" und erklärte, er freue sich darauf, die bilateralen Beziehungen "wieder zu normalisieren, gegenseitiges Vertrauen wiederherzustellen und die gemeinsame Grenze zwischen unseren beiden Königreichen in eine Zone des Friedens, der Zusammenarbeit, der Entwicklung und des gemeinsamen Wohlstands zu verwandeln."
Bislang bleibt der Waffenstillstand zwischen Kambodscha und Thailand aber weiter fragil.
Will Anutin länger an der Macht bleiben?
Nach Einschätzung des Experten Thitinan ist der neue Premier Anutin, "kein Politikgestalter". Er werde wahrscheinlich eher einen improvisierten Ansatz in der Grenzfrage und im Haushalt verfolgen, während er sich auf Neuwahlen vorbereite – idealerweise innerhalb von vier Monaten.
"Wenn er clever ist, wird er versuchen, länger zu bleiben", prognostizierte Thitinan. Die Zusammensetzung des Kabinetts deute nicht darauf hin, dass Anutin Schlüsselpositionen nur kurzfristig besetzen wolle.
Die neuen Leiter der thailändischen Finanz-, Energie- und Außenministerien seien erfahrene Politiker und Führungskräfte aus der Wirtschaft. "Es wirkt fast so, als würden sie nach einer Wahl übernehmen wollen. Er wird versucht sein, die Regierung zu verlängern", sagte Thitinan.
Napon Jatusripitak, Politikwissenschaftler am ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur, vermutet ebenfalls, dass Anutin sich bei Neuwahlen als aussichtsreicher Kandidat präsentieren wolle.
"Wenn die Absicht, das Parlament innerhalb von vier Monaten nach der Regierungserklärung aufzulösen, wirklich besteht, werden sich die Prioritäten des Kabinetts zwangsläufig an der Logik der Wahlvorbereitung orientieren", sagte er gegenüber der DW.
Das würde bedeuten: gezielte Haushaltsausgaben zur Finanzierung des Wahlkampfs, Versetzungen von Beamten zur Stärkung der lokalen Netzwerke der Bhumjaithai-Partei und schnelle wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Unterstützung in der Bevölkerung sichern sollen.
"Anutin könnte versuchen, sich - nun als Premier- für die nächste Wahl zu positionieren – insbesondere bei Teilen der städtischen Mittelschicht Thailands, einer Wählergruppe, die Bhumjaithai bisher nie erfolgreich erreicht hat", meint der Politikwissenschaftler.
Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Heim