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Wer ist Wir?

16. April 2009

Der iranischstämmige Schriftsteller Navid Kermani analysiert die deutschen Debatten über Integration, über Islam und Identität. "Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime" heißt sein autobiographisch geprägtes Buch.

Wer ist Wir?-Deutschland und seine Muslime von Navid Kermani
Wer ist Wir?-Deutschland und seine Muslime von Navid Kermani

Navid Kermani beginnt seine Erkundungen in seiner Kindheit, im westfälischen Siegen. Dort ist er 1967 als Sohn iranischer Eltern geboren worden. Die Schule und der Fußballverein waren Deutschland. Zu Hause war Iran. Er nennt das den "kleinen Grenzverkehr" seiner Kindheit, der ihn geprägt hat. "Dass es eine andere Welt gibt, dass es andere Sprachen gibt, andere Kulturen, dass man die Dinge so, aber auch so sehen kann - das brauchte ich nicht zu lernen. Das war jeden Tag präsent. Und auch, dass es verschiedene Sichtweisen gibt, die aber beide ihre Berechtigung haben", sagt Kermani.

Vielfältige Identität

Navid Kermani arbeitet heute als Schriftsteller und Essayist, Islamwissenschaftler und Theaterregisseur. So vielfältig wie seine Interessen empfindet er auch seine eigene Identität. Darum wehrt er sich heftig dagegen, Einwanderer aus islamischen Ländern auf ihre Eigenschaft als Muslime zu reduzieren. Zudem gebe es nicht "den" Islam als einheitlichen Block.

Muslime fühlen sich in den USA wohler

Von den privaten Erfahrungen schlägt der Autor den Bogen zur politischen Analyse und argumentiert, dass der vielbeschworene "Kampf der Kulturen" nicht zwischen dem Islam und dem Westen stattfindet, sondern mitten durch die muslimische Welt und mitten durch westliche geht. Denn auch in Europa werde darüber diskutiert, was unsere Kultur ausmacht und wer dazugehört. Gerade Deutschland tue sich schwer mit dieser Frage, so Kermani.

Der Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid KermaniBild: picture alliance/dpa

In den Vereinigten Staaten diskutiere man dieses Thema anders. "Deshalb haben die Amerikaner - bei allen Problemen, die sie haben - in der Integration, im Umgang mit verschiedenen Kulturen deutlich weniger Probleme", sagt er. "Das kann man auch empirisch belegen. Muslime fühlen sich zum Beispiel sehr viel wohler in den Vereinigten Staaten, trotz des 11. Septembers, als etwa in Europa." Das habe damit zu tun, dass die Vereinigten Staaten ein Konzept der eigenen Nation haben, das nicht ausschließe, sondern das integrativ wirke. "Das heißt, man kann zu Amerika dazugehören und gleichzeitig die eigene Kultur und die eigene Sprache bewahren."


Die Wurzel der Probleme liegt woanders

In Deutschland wird Integration dagegen allzu oft missverstanden als Aufgabe der eigenen kulturellen Wurzeln, so Kermani. Umgekehrt werden soziale Probleme kulturell oder religiös gedeutet - als sei der Islam die Ursache und nicht beispielsweise fehlende Bildungschancen. Das schließe muslimische Einwanderer doppelt aus.

Deutsche Islamkonferenz

Bei der Islamkonferenz - Kermani war auch dabeiBild: picture-alliance/dpa

Geradezu euphorisch feiert Navid Kermani die Deutsche Islamkonferenz, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2006 ins Leben gerufen hat. Dreißig deutsche Regierungsvertreter und Muslime debattieren darin regelmäßig über den Islam in Deutschland. Navid Kermani ist auch mit dabei. Für ihn hat die Konferenz vor allem einen hohen symbolischen Wert, da sie das Denken in Deutschland verändert habe. "In der Tagesschau, in den Tagesthemen, im Heute-Journal geht der Innenminister hin und schüttelt den Leuten die Hand. Diese Bilder, die dann produziert werden, die in die Köpfe gehen, bedeuten: plötzlich ist das nicht mehr ein Gastarbeiterproblem, es ist kein Problem des Außenministers, sondern ein Problem des Innenministers." Allein das wirke schon, sagt Kermani. Plötzlich sehe man im Fernsehen Muslime - und diese Muslime seien nicht irgendwelche Türken oder Araber, sondern Deutsche.

Folgt man Kermani, muss die Islamkonferenz sich letztendlich überflüssig machen. Ein "Dialog mit den Muslimen" verböte sich von selbst, weil Muslime genau wie zum Beispiel Atheisten auch ein Teil des "Wir" seien. Und dieses "Wir" sei nicht auf einen Punkt zu bringen, so Kermani. Es definiere sich durch die Zugehörigkeit zur Sprache und es sei auch eine geographische Kategorie. "Wer hier lebt, der gehört dazu. Und auch natürlich, wenn man es kulturell fassen möchte, wer die hier geltenden Regeln und Gesetze akzeptiert."

"Wer ist Wir?" ist keine Streitschrift, sondern ein optimistisches und versöhnliches Buch. Augenzwinkernd und nachdenklich vermittelt der Autor seinen Lesern: Deutschland kann noch viel weltoffener werden - wir schaffen das schon.

Autorin: Beate Hinrichs
Redaktion: Diana Hodali