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Politik

Wer kämpft gegen wen in Nordsyrien?

Uta Steinwehr mit Agenturen
15. Oktober 2019

YPG, SDF, Türkei, Russland, USA, Assad: In der Gemengelage in Nordsyrien fällt es nach Beginn der türkischen Offensive nicht leicht, den Überblick zu behalten. Wir stellen die Beteiligten vor.

Syrien Tel Abyad | Syrische Kämpfer, unterstützt durch Türkei
Bild: Reuters/K. Ashawi

Die Türkei

Der Türkei ist die Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens nahe der türkischen Grenze ein Dorn im Auge. Das Land betrachtet die YPG als Verbündeten der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die wiederum für mehr Autonomie in der Türkei kämpft. Seit ein paar Jahren verwalten sich die Kurden im Nordosten Syriens selbst. Die Türkei sieht ihre Sicherheit gefährdet. Deshalb möchte Präsident Recep Tayyip Erdogan die YPG zurückdrängen.

Offiziell will das Land mit der Offensive, die am vergangenen Mittwoch startete, eine "Sicherheitszone" auf syrischem Staatsgebiet einrichten. Dort sollen zwei Millionen syrische Flüchtlinge angesiedelt werden, die sich derzeit in der Türkei aufhalten. Dieser Plan ist nicht neu; Erdogan präsentierte ihn sogar auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen.

Im syrischen Bürgerkrieg unterstützte die Türkei aktiv Rebellen, die gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad kämpften. Der äußerste Nordwesten Syriens steht unter türkischem Einfluss.

Die Verbündeten der Türkei

Die Türkei wird bei der Militäroffensive von Tausenden Kämpfern der Syrischen Nationalarmee unterstützt. Dies ist ein Zusammenschluss syrischer Rebellengruppen, die bisher als Freie Syrische Armee (FSA) bekannt waren. Darunter befinden sich auch radikale Islamisten. Die FSA hatte sich schon an früheren Militäroffensiven der Türkei gegen die YPG beteiligt. Es gibt bereits erste Berichte über Gräueltaten der Rebellen im Zuge der aktuellen türkischen Offensive, auch an Zivilisten.

Tausende Kämpfer der Syrischen Nationalarmee unterstützen die Türkei bei der OffensiveBild: picture-alliance/dpa/A. Alkharboutli

Die Kurdenmiliz YPG

Im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) waren die Kurden den USA willkommene Verbündete. Mit dem Abzug ihrer Truppen von der syrisch-türkischen Grenze vor einer Woche überließen die USA die YPG sich selbst und der Weg war frei für die Militäroffensive der Türkei.

Militärisch ist die YPG-Miliz der türkischen Armee unterlegen: Sie verfügt weder über eine starke Luftabwehr noch über eine Luftwaffe. US-Präsident Donald Trump legte am Wochenende den kurdischen Kämpfern den Rückzug nahe. Es sei sehr schwierig, eine Streitmacht zu schlagen, die - anders als die eigenen Einheiten - über eine Luftwaffe verfüge, sagte Trump.

Die SDF

Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) sind ein Zusammenschluss aus mehreren Einheiten. Den größten Anteil bildet die Kurdenmiliz YPG. Neben den Kurden sind auch arabisch-muslimische und arabisch-christliche Einheiten Teil der SDF. Ihr Einfluss erstreckt sich im Nordosten Syriens auf rund ein Viertel des Landes.

Am Samstag gab es ein Massenbegräbnis für SDF-Kämpfer, die während der türkischen Offensive ums Leben kamenBild: picture-alliance/AP Photo/B. Ahmad

Die SDF kämpften gemeinsam mit der von den USA geführten Koalition gegen den IS. Die USA bildeten die Kämpfer aus und unterstützten sie mit Waffen. Die SDF eroberten vor rund einem halben Jahr Baghus, das letzte Territorium des IS.

Die Vereinigten Staaten von Amerika 

Die USA sind Gegner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Zusammen mit den SDF und einer internationalen Koalition kämpften sie gegen die Dschihadisten des IS. 

Letztlich war es US-Präsident Donald Trump, der den Weg für die türkische Militäroffensive freimachte, als er US-Truppen aus dem nördlichen Grenzgebiet Syriens zurückzog. Mit einem Mal standen die Kurden nicht mehr unter dem physischen Schutz der Amerikaner. Auch in den Reihen der Republikaner werfen Kritiker Trump vor, die kurdischen Verbündeten im Stich gelassen zu haben. US-Verteidigungsminister Mark Esper wies solche Vorwürfe zurück.

Die Signale aus dem Weißen Haus zur Stärkung der - ehemaligen - Partner wirken allerdings widersprüchlich. Zwar setzte die US-Regierung wegen des Einmarsches Sanktionen gegen die Türkei in Kraft; die Vereinigten Staaten wären gar in der Lage, die Wirtschaft der Türkei zu zerstören, hieß es. Doch am Wochenende hatte Verteidigungsminister Esper auch angekündigt, nun sollten aus ganz Nordsyrien rund 1000 US-Soldaten abgezogen werden, nicht nur aus der unmittelbaren Grenzregion. Der Grund: Die Soldaten könnten zwischen die Fronten geraten. Und an diesem Montag warf Trump der YPG gar vor, inhaftierte IS-Kämpfer absichtlich freizulassen, um die US-Truppen im Land zu halten.

Die syrische Führung unter Assad

Die Führung in Damaskus unter Machthaber Baschar al-Assad hat zu den Kurden ein gespaltenes Verhältnis: Teilweise kooperieren sie miteinander, teilweise bekämpfen sie sich, abhängig von der Interessenlage. Als 2011 die Revolution gegen Assad begann, hatte sich die kurdische YPG-Miliz zurückgehalten.

Acht Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs beherrscht Assad weite Teile des Zentrums, Südens und Westens Syriens. Der Nordosten dagegen wird von der SDF kontrolliert. Dass nun die syrische Armee den Kurden gegen die türkische Militäroffensive zur Seite steht, könnte letztlich bedeuten, dass Assad seinen Einfluss auch in diesem Landesteil wieder auszuweiten versucht.

Ein Soldat des syrischen Regimes nach seiner Ankunft in der Stadt Tal Tamr nahe der türkischen GrenzeBild: AFP via Getty Images

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass Assads Truppen die Kurden in der Auseinandersetzung mit der Türkei unterstützen. Bereits im Dezember 2018 verlegte die syrische Armee auf Bitten der Kurden Einheiten nach Manbidsch, da ein Einmarsch der Türkei drohte.

Russland

Russland unterstützt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad - nicht nur militärisch. Dass nun das syrische Militär den Kurden im Norden beisteht, ist auch Russland als Vermittler zu verdanken.

Moskau will die Einheit Syriens bewahren. Deshalb warf Russland den USA vor, in den Kurdengebieten mit der Selbstverwaltung eine staatsähnliche Struktur aufgebaut zu haben. Es dürfte in Russlands Interesse sein, dass nun die syrische Armee in den Nordosten einrückt.

Die Terrormiliz "Islamischer Staat"

Von der Destabilisierung der Region profitieren könnte der sogenannte "Islamische Staat" (IS). Vor einem guten halben Jahr eroberten die Demokratischen Kräfte Syriens mit Baghus die letzte Bastion der Dschihadisten. Offiziell galt der IS damit als geschlagen. Doch verschwunden war die Terrormiliz nicht.

Die aktuelle Situation könnte den IS wieder erstarken lassen. Insgesamt befinden sich mehrere Tausend IS-Anhänger inklusive Ehefrauen, Witwen und Kindern in Gefangenenlagern in Nordost-Syrien - unter anderem bewacht von den SDF. Am Wochenende konnten bereits einige Hundert IS-Anhänger aus einem Lager fliehen.

Am Freitag explodierte eine Autobombe in der Stadt Kamischli - laut dem IS galt der Anschlag kurdischen KämpfernBild: Reuters/R. Said

Sollte die Terrormiliz tatsächlich wieder an Macht gewinnen, torpediert der US-Präsident mit dem Rückzug seiner Truppen seinen selbsterklärten Erfolg: Der IS war nach Trumps Ansicht endgültig besiegt, der weitere Einsatz von US-Truppen in Syrien damit nicht mehr gerechtfertigt.           

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