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PolitikEuropa

Wer leistet noch Seenotrettung im Mittelmeer?

27. Februar 2023

Nicht erst seit dem Tod der Migranten in Kalabrien steht Seenotrettung in Italien im Fokus. Die rechte Regierung von Giorgia Meloni macht privaten Organisationen die Arbeit schwer - doch die denken nicht ans Aufgeben.

Ende 2021 lief das Rettungsschiff "Sea Eye 4" mit über 800 Flüchtlingen im Hafen von Trapani auf Sizilien ein
Ende 2021 lief das Rettungsschiff "Sea Eye 4" mit über 800 Flüchtlingen im Hafen von Trapani auf Sizilien ein. Derartige Rettungsaktionen will die italienische Regierung künftig verhindern.Bild: Gabriele Maricchiolo/NurPhoto/imago images

Das Mittelmeer ist ein lebensgefährlicher Ort. Das gilt insbesondere für Migranten, die sich eine bessere Zukunft in Europa erhoffen - und dieser auf oft nicht hochseetauglichen Booten entgegenfahren.

Am vergangenen Wochenende ist ein Boot mit angeblich mindestens 150 Menschen an Bord vor der kalabrischen Küste zerschellt- mindestens 62 Menschen kamen dabei ums Leben. In den ersten Wochen des Jahres haben die gefährlichen Überfahrten zugenommen, und damit auch die Probleme der privaten Seenotretter.

Italien hat aufgrund seiner Lage im zentralen Mittelmeer eine besondere Verantwortung: Migranten, die in Italien erstmals EU-Boden betreten, haben dort Anspruch auf ein Asylverfahren.

Nach Angaben des Innenministeriums in Rom kamen zwischen dem 1. Januar und 24. Februar 2023 bereits 14.104 Migranten in Italien an - ein deutlicher Anstieg gegenüber den beiden Vorjahren, in denen im selben Zeitraum 5345 (2022) bzw. 4304 (2021) Migranten verzeichnet wurden. Ein Großteil der Migranten erreicht Italien aus eigener Kraft ohne die Hilfe von Seenotrettern.

Welche Maßnahmen hat Giorgia Meloni ergriffen?

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sah sich angesichts des Unglücks in Kalabrien darin bestärkt, "irreguläre Migration zu stoppen, um weitere Tragödien zu vermeiden". Die Regierungskoalition unter Führung der rechtsextremen Fratelli d'Italia hat um den Jahreswechsel ein Dekret verabschiedet, das den privaten Seenotrettungs-Organisationen die Arbeit erschwert.

Die wohl folgenreichste Regelung greift sofort nach der Bergung von Menschen in Seenot: Rettungsschiffe müssen einen solchen Einsatz nun unverzüglich melden und werden einem italienischen Hafen zugewiesen. Das heißt, sie können nicht wie bisher kurz nacheinander mehrere Rettungseinsätze im selben Gebiet fahren und erst dann einen Hafen anlaufen. Vor allem aber werden oft weit entfernte Häfen in der italienischen Nordhälfte zugewiesen.

Ein Beispiel: Als die "Ocean Viking" Mitte Februar einen Rettungseinsatz vor der libyschen Küste absolvierte, wurde sie anschließend nach Ravenna geschickt. Der Adria-Hafen liegt auf der Karte näher an London als an Libyen.

Weiterhin setzt die italienische Regierung auf Bußgelder, die für Betroffene nur schwer juristisch abzuwenden sind. Ministerpräsidentin Meloni vertritt zudem die Ansicht, dass die Flaggenländer der Rettungsschiffe - in der Regel die Herkunftsländer der Rettungsdienste, also mehrfach auch Deutschland - den Geretteten Asylverfahren anbieten müssten, und nicht die Länder, in denen die Menschen zuerst ankommen. Die Forderung ist juristisch umstritten, da die Rettungseinsätze in internationalen Gewässern stattfinden und die Schiffsbesatzungen nicht im Auftrag ihrer Regierungen handeln.

Wie reagieren private Seenotretter auf den Druck?

Kurz nach Bekanntwerden des Dekrets veröffentlichten 18 private Seenotrettungs-Organisationen und weitere Unterstützer einen gemeinsamen Brandbrief, in dem sie ihre "tiefste Sorge mit Blick auf den jüngsten Versuch einer europäischen Regierung, Hilfe für Menschen in Seenot zu behindern", ausdrückten.

Das Dekret verletze "internationale Seefahrts-, Menschrechts- und europäische Gesetze und sollte daher eine deutliche Reaktion der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments sowie der Mitgliedsstaaten und Institutionen nach sich ziehen".

Diese Migranten harrten im August 2022 tagelang auf der "Open Arms Uno" aus, weil kein Hafen Einfuhr gewährteBild: Juan Medina/REUTERS

"Es ist klar, dass Hilfsschiffe nicht ewig weitermachen können, wenn sie aufgehalten, mit Strafzahlungen belegt oder zu weiten Umwegen gezwungen werden", sagt Veronica Alfonsi, Präsidentin des italienischen Ablegers der spanischen Organisation Proactiva Open Arms, auf DW-Anfrage. "In den vergangenen sieben Jahren haben wir jedoch auch verfassungswidrige Gesetze und europäische Tatenlosigkeit bekämpft und sind dabei sehr widerstandsfähig geworden. Wir bleiben auf See."

Vorerst lahmgelegt ist hingegen das Schiff "Geo Barents" von Ärzte Ohne Grenzen: Das Schiff wurde vergangene Woche für 20 Tage auf Sizilien festgesetzt, weil die Regierung der Crew Verstöße gegen die neuen Vorschriften vorwirft. Auch eine Geldbuße von bis zu 10.000 Euro steht im Raum. Nach Angaben einer Sprecherin steht eine Entscheidung über juristische Gegenmaßnahmen unmittelbar bevor.

Es kommen aber gelegentlich auch neue Organisationen hinzu: So baut die deutsche NGO Sarah Seenotrettung (Search and Rescue for All Humans) derzeit ein eigenes Schiff. Erst seit Dezember 2022 dabei ist das Schiff "Life Support" der italienischen Emergency. Zuvor hatte die Organisation medizinische Hilfe und kulturelle Vermittlung angeboten.

Mit größeren Schiffen sind zur Zeit außerdem die Organisationen Mission Lifeline, Open Arms, ResqShip, Sea-Eye sowie Sea-Watch im zentralen Mittelmeer präsent; das Schiff von SOS Humanity ist gerade in einer Winterwerft. Zu dem guten halben Dutzend Rettungsschiffe kommen noch mehrere kleinere Boote sowie zwei Flugzeuge von Sea-Watch zur Luftaufklärung.

Hätte die jüngste Tragödie unter anderen politischen Vorzeichen verhindert werden können?

Veronica Alfonsi von Open Arms schreibt, das Schiffsunglück vor dem kalabrischen Ort Steccato di Cutro sei "keine Tragödie, sondern das Resultat präziser politischer Entscheidungen". Sie fordert eine Aufarbeitung des Einsatzes der Küstenwache, die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf das Boot aufmerksam gemacht worden sei: "Zwei Patrouillenboote sind ausgelaufen, um nach dem Boot zu suchen, dann aber wegen schlechten Wetters umgekehrt. Diese Vorgänge müssen untersucht werden, denn man überlässt niemals ein Boot den Wellen auf Gedeih und Verderb, unter keinen Umständen."

Das verunglückte Boot war im türkischen Izmir gestartet. Allerdings sind bislang die Behörden nicht sonderlich gut auf die neue Route eingestellt, erklärt Alfonsi gegenüber der DW: "Zuletzt probierten Hunderte, vor allem Afghanen und Iraner, diese Route, weil sie als sicherer gilt - was natürlich nicht stimmt. Kalabrien hat dieses Phänomen zuletzt beobachtet und versucht zu helfen, ist dafür aber nicht ausgestattet. Es gibt dort keine strukturierte Rettungsmission der Regierung - wie es ja auch im zentralen Mittelmeer keine gibt." Ihre Organisation werde nun evaluieren, ob sie auf der neuen Route aktiv werde.

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