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Politik

Bulgariens Mobbing gegen Nordmazedonien

Gudrun Steinacker
20. November 2020

Bulgarien verlangt vom Nachbarland Nordmazedonien, es solle sich zu seinen vermeintlichen bulgarischen Wurzeln bekennen. Das ist ein rein innenpolitisches Manöver, meint die ehemalige Diplomatin Gudrun Steinacker.

Bulgarien, Sofia | EU-Westbalkan Gipfel, 10.11.2020
EU-Westbalkan-Gipfel in Sofia: Premierminister Nordmazedoniens Zoran Zaev (li.), Bundeskanzlerin Angela Merkel und der bulgatische Premierminister Bojko BorissowBild: Regierung R. Nordmazedonien

Der bulgarische Langzeit-Premier Bojko Borissow erinnerte kürzlich daran, dass seine Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) 2006 mit deutscher Hilfe aus der Taufe gehoben wurde. Es ist unklar, was er mit diesem Hinweis bezweckte. Doch auch wegen dieser deutschen Mitverantwortung für die politische Situation in Bulgarien muss die Bundesregierung ihren derzeitigen Vorsitz in der EU nutzen, um die bulgarische Regierung zu bewegen, sich zu ihrer Verantwortung für Europa zu bekennen.

Derzeit macht sie exakt das Gegenteil - in völlig uneuropäischer Weise übt sie Druck auf das Nachbarland Nordmazedonien aus. Es soll erklären, dass die mazedonische Nation bulgarische Wurzeln hat und die mazedonische Sprache ein westbulgarischer Dialekt ist. Weil Nordmazedonien sich aus gutem Grund weigert, das zu tun, hat Bulgarien den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Nachbarland vorerst blockiert.

Gurdrun Steinacker, Botschafterin a. D. Bild: DW/P. Stojanovski

Es ist zu befürchten, dass es sich bei dieser Kampagne um ein innenpolitisches Manöver handelt. Denn Bulgarien hat es versäumt, seine Hausaufgaben im Kampf gegen Korruption und Kriminalität zu erledigen. Es geht um ein jahrzehntealtes Problem. Bereits Ende 2006 war klar, dass der EU-Beitritt Bulgariens zum 1. Januar 2007 nichts an dem korrupten und kriminellen Sumpf ändern würde, in dem Bulgarien unter dem sozialistischen Premier Sergei Stanischew versank - jener Mann, der inzwischen seit vielen Jahren Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas ist.

Man suchte im Westen nach einer Alternative und hoffte, das Treiben der maßgeblich aus dem ehemaligen kommunistischen Geheimdienst entstandenen wirtschaftlichen und kriminellen Eliten mit einer neuen Partei in den Griff zu bekommen. Das ist bis heute nicht gelungen.

Borissows GERB wurde mit Hilfe der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) in München gegründet. Der Name der Partei, der mit seinem Akronym auf Bulgarisch "Wappen" bedeutet, war eine Erfindung von HSS-Beratern. Bayern hatte viel in die Reform der bulgarischen Polizei investiert und dabei gute Verbindungen aufgebaut. Man hoffte, dass der durchsetzungsstarke Tswetan Tswetanow, damals rechte Hand des populären Oberbürgermeisters von Sofia, Bojko Borissow, für Recht und Ordnung sorgen würde.

Das Ergebnis nach elf Jahren ist bescheiden. GERB ist seit 2009 fast ununterbrochen an der Macht. Tswetanow, selbst in Korruption verwickelt, ging nicht den Weg, den man sich in der HSS erhofft hatte. Die verjüngten Eliten sind dieselben, Korruption, auch im Zusammenhang mit EU-Geldern, blüht.

Schon seit Monaten protestieren die Bürger Bulgariens gegen Borissow und sein System - erschüttert hat es die Regierung in Sofia nicht wirklich. Dennoch ist ein Sieg von GERB bei der Parlamentswahl im kommenden März nicht sicher. Borissow, persönlich wohl amtsmüde, will bis zur Wahl durchhalten und GERB die Macht sichern.

Für diesen Machterhalt benötigt Borissow Verbündete. Seine jetzigen Koalitionspartner sind die "Vereinten Patrioten", ein Bündnis ultranationalistischer und rechtsextremer Parteien unter Führung des Verteidigungsministers und Vize-Premiers Krassimir Karakatschanow, seines Zeichens ehemaliger Informant des kommunistischen Geheimdienstes. Die Vereinten Patrioten haben eine stabile Wählerschaft von etwa zehn Prozent. Sie spielen eine erhebliche Rolle für den Machterhalt von GERB.

Daher sind es vor allem innenpolitische und wahltaktische Gründe, welche die bulgarische Regierung zur Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien veranlassen. Vor allem die Behauptung, das Mazedonische sei nur ein Dialekt des Bulgarischen, ist absurd. So wie das heutige Bulgarisch Mitte des 19. Jahrhunderts als Standardsprache aus verschiedenen Dialekten entstand, wurde auch das Mazedonische nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Basis von Dialekten standardisiert. Mazedonisch ist eine späte Nationalsprache, aber damit in Europa nicht allein. Auch das heutige Norwegisch wurde erst im 20. Jahrhundert standardisiert.

Die Forderungen Bulgariens an Nordmazedonien sind anmaßend und unwissenschaftlich - ein leicht zu durchschauendes innenpolitisch motiviertes Unterfangen. Das Mobbing Nordmazedoniens durch Bulgarien muss beendet werden.

Botschafterin a.D. Gudrun Steinacker, Wien, war von 1991-1995 Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Norwegen, von 2006-2009 Stellvertreterin der deutschen Botschafterin in Bulgarien und deutsche Botschafterin im heutigen Nordmazedonien von 2011-2014.