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Wer stoppt den IS?

Birgit Svensson, Erbil28. Juni 2015

Ein Jahr nach Ausrufung des Kalifats in Syrien und im Irak ist der "Islamische Staat" stärker denn je. Trotz vereinzelter Erfolge gelingt es der multinationalen Allianz nicht, den IS entscheidend zurückzudrängen.

IS-Kämpfer bei Militärparade in Syrien im Juni 2014 - Foto: Reuters
Bild: Reuters

So begeht der "Islamische Staat" (IS) den ersten Jahrestag des Kalifats: Kämpfer hängen den Kopf eines Enthaupteten an das Werkstor einer Gasfirma nahe der französischen Stadt Lyon; im tunesischen Sousse schießen sie auf Touristen am Strand; und in Kuwait sprengen sie eine schiitische Moschee. Drei Terroranschläge auf drei Kontinenten im Abstand von nur zwei Stunden. Die Botschaft ist klar: Wir sind überall und können jederzeit gezielt zuschlagen.

Als Abu Bakr al-Bagdadi vor einem Jahr das Kalifat ausrief und sich selbst zum Kalifen Ibrahim ernannte, waren die IS-Kämpfer noch auf Irak und Syrien konzentriert. Blitzartig hatten sie weite Teile des Nordiraks unter ihre Kontrolle gebracht. Die Zweimillionenstadt Mossul war dabei die fetteste Beute. Zusammen mit der in Syrien gelegenen Hochburg Rakka erschloss sich der IS ein zusammenhängendes Gebiet, das er mehr und mehr ausbaute.

Dschihadisten auf Expansionskurs

Heute ist die Landkarte im Mittleren Osten eine andere: Der IS sitzt wie ein dicker Brocken zwischen den blutig umkämpften Gebieten in Syrien und dem noch immer instabilen Irak. Und die Keimzelle des Dschihadisten-Staates dehnt sich immer weiter aus: Schon im vergangenen Oktober erklärte sich die ägyptische Halbinsel Sinai zum Kalifat, einige Tage später schlossen sich Teile Libyens an. Allen Untergangsandrohungen zum Trotz ist der IS nach einem Jahr weiter auf Expansionskurs - und stärker denn je.

Der selbsternannte Kalif Ibrahim alias Abu Bakr al-BagdadiBild: picture alliance/dpa

"Wir haben das völlig unterschätzt", gibt der irakische Parlamentarier Mithal al-Alusi zu. Vor allem habe niemand damit gerechnet, dass sich so viele Ausländer dem IS anschließen um zu kämpfen. "Wir hätten nie geglaubt, welche Dimensionen das annehmen könnte." Dass der Unmut groß war und die Front gegen den ehemaligen Premierminister Nuri al-Maliki wuchs, hätten alle gewusst, sagt er. Alusi wusste aber auch um die Unterstützer, die der IS bei seinem Feldzug im Nordirak hatte: Mitglieder der Baath-Partei des ehemaligen Diktators Saddam Hussein und ehemalige Offiziere seiner Armee. Sie wollten mit Hilfe der Dschihadisten Rache am bis 2014 regierenden Nuri al-Maliki nehmen, seien aber inzwischen in der Minderheit. Deshalb versuchten sie, sich vom IS abzuwenden und der jetzigen Regierung von Haidar al-Abadi anzunähern. Doch, so Alusi: "Die Regierung verweigert die Gespräche."

Der IS kontrolliert im Irak und in Syrien ein Gebiet von schätzungsweise 70.000 Quadratkilometern (Stand: 20.5.2015)

Nach Niederlagen wieder erstarkt

Auf internationaler Ebene haben sich mittlerweile mehrere Dutzend Nationen zusammengeschlossen, um die schätzungsweise 35.000 Dschihadisten des Kalifats zurückzudrängen. Amerikanische Kampfbomber fliegen Angriffe und verschlingen täglich 7,5 Millionen Dollar. Europäische und saudische Waffen sind ebenfalls im Einsatz. Am Boden kämpfen die irakische Armee, von Iran unterstützte schiitische Milizen, syrische Rebellen und kurdische Einheiten gegen die selbsternannten Gotteskrieger. Gemeinsam konnten sie den Islamisten Niederlagen im syrisch-kurdischen Kobane und im irakischen Tikrit zufügen.

Doch in den vergangenen Wochen hat der IS seine vorherige Durchschlagskraft zurückgewonnen: In der irakischen Provinzhauptstadt Ramadi schlugen zahlenmäßig unterlegene IS-Kämpfer erneut Armeeeinheiten in die Flucht - schon zum dritten Mal. In Syrien musste die inzwischen völlig desolate syrische Armee die Stadt Palmyra den Dschihadisten überlassen. In den letzten Tagen werden wieder heftige Kämpfe um Kobane gemeldet, und auch Tikrit steht erneut unter Beschuss des IS.

Überlegenheit der Dschihadisten

Warum gelingt es nicht, den "Islamischen Staat" entscheidend zurückzudrängen? Die gängige Antwort: Der IS ist ein extrem schwieriger, mobiler Gegner, der konventionelle Kriegsführung, Guerilla-Kampf, Terror und Propaganda beherrscht. Das sagt auch Brigadegeneral Izadin Sadus. Sein Peschmerga-Kommando liegt auf den Hügeln über Bashiqa, etwa 80 Kilometer nordwestlich der irakischen Kurdenmetropole Erbil. Seit Anfang August letzten Jahres ist alles, was unterhalb der Hügelkette liegt, Kalifat-Gebiet. Dort wohnten vordem alle irakischen Volksgruppen zusammen - Kurden, Araber, Turkmenen, Jesiden, Assyrer und Shabak - und jetzt fast ausschließlich Dschihadisten.

Für die Ausbildung von kurdischen Peschmerga-Kämpfern hat die Bundeswehr 80 Soldaten nach Erbil entsendetBild: picture-alliance/dpa/J. Kuhlmann

Als der IS von Mossul aus auf die Kurdengebiete vorrückte, zogen die Peschmerga ab, und mit ihnen die Einwohner der Städte. "Wir waren nicht genug vorbereitet und hatten mangelhafte militärische Ausrüstung", sagt Brigadegeneral Sadus. Das werde sich jetzt ändern. Mit den deutschen Waffen und den internationalen Ausbildern sei man von Tag zu Tag besser gewappnet. Trotzdem sei es noch ein ungleiches Verhältnis. Der Peschmerga-General zeigt auf die drei Kilometer entfernte Grenze zum Kalifat. "Wir haben Erdhügel, Schützengräben und wieder Erdhügel geschaffen, um unsere Stellungen zu festigen“, erklärt er. "Aber die da drüben haben Minen und TNT-Sprengsätze.“ Über 1500 Peschmerga-Kämpfer hätten bereits ihr Leben gelassen.

Schwache Gegner des IS

Warum die Bilanz im Kampf gegen den IS so mager ist, dafür gibt es einen weiteren Grund: Der "Islamische Staat" ist so stark, wie seine Gegner es erlauben. "Wir werden den Terror nur besiegen, wenn wir ihm den Boden entziehen“, schreibt der Deutsch-Iraner Navid Kermani in seinem kürzlich erschienenen Buch "Zwischen Koran und Kafka". Dabei stünden diejenigen in besonderer Verantwortung, in deren Namen die Gewalt verübt werde.

Von dieser Verantwortung jedoch ist in der Region wenig zu spüren. Vielmehr haben Unterdrückung, Demütigung, Willkür und Kriege autoritärer Herrscher über Jahrzehnte traumatisierte und gewaltbereite Generationen heranwachsen lassen. Öffentliche Hinrichtungen, Enthauptungen, Steinigungen und Händeabhacken sind nicht nur Praktiken staatlicher Bestrafung im Kalifat, sie sind es auch in Saudi-Arabien und dem Iran und waren es im Irak zu Zeiten Saddam Husseins.

Schriftsteller Kermani: "Wir müssen dem Terror den Boden entziehen"Bild: picture alliance/dpa/H. Galuschka

"Seit Saddam weg ist, haben wir Terror", sagen Foad und Ibrahim. "Zuerst waren es die Amerikaner, die verhaftet und gefoltert haben, danach Al-Kaida - und jetzt ist es der IS." Die beiden jungen Iraker wollen nicht mehr zur Armee zurückkehren, nicht mehr für ein Land kämpfen, das es de facto nicht mehr gibt. Sie verachten die Politiker, die nur an sich denken, ständig streiten und sich die Taschen mit Geld vollstopfen. Und sie wollen nicht ihr Leben lassen für einen Stellvertreterkrieg zwischen der schiitischen Regionalmacht Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien. Foad ist Schiit, Ibrahim Sunnit. Beide wollen jetzt nach Europa.

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