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Wer stoppt den jüdischen Terror?

Peter Hille3. August 2015

Ein Baby verbrannt, ein Mädchen erstochen. Nach der Gewalt vom Wochenende steht Israel unter Schock. Die Regierung verspricht, jüdischen Terror zu bekämpfen. Doch der Hass auf Araber und Schwule reicht bis ins Parlament.

Wird einem Richter vorgeführt: der Messerattentäter von Jerusalem (Foto:picture alliance)
Bild: picture-alliance/photoshot

Wiederholt sich in Israel gerade auf fatale Art und Weise die Geschichte? "Gewalt zerstört die Grundlage der israelischen Demokratie. Sie sollte verurteilt, ausradiert und isoliert werden", lautete die Grundüberzeugung von Israels ehemaligem Premier Itzchak Rabin.

Nur kurze Zeit, nachdem diese Worte über den Platz der Könige in Tel Aviv hallten, trafen zwei Kugeln aus einer Beretta-Pistole Rabin in Bauch und Brust. Mit der Ermordung des Premierministers stürzte der jüdische Terrorist Yigal Amir Israel 1995 in eine tiefe Krise.

Heute fühlen sich viele Israelis an diese Zeit erinnert. Wie damals scheint der Graben zwischen Ultrarechten und Liberalen im Land größer, breiter, ja schier unüberwindbar geworden zu sein.

Am Donnerstag griff ein ultraorthodoxer Jude Teilnehmer der Jerusalemer Schwulenparade mit einem Messer an, ein 16-jähriges Mädchen erlag am Sonntag seinen Verletzungen. In der Nacht auf Freitag steckten mutmaßlich radikale jüdische Siedler das Haus einer palästinensischen Familie bei Nablus in Brand. Ein Kleinkind verbrannte. Der Bruder und die Eltern des Babys schweben in Lebensgefahr.

Trauerfeier für Ali Dawabscha: Der Anderthalbjährige starb beim Brandanschlag auf sein ElternhausBild: Reuters/A. O. Qusini

Hass auch in den Reihen der Regierung

"Es gibt keinen einzigen israelischen Politiker, von ganz links bis ganz rechts, der diese Verbrechen, diese schrecklichen Morde gutgeheißen hat", sagt Gideon Aran, Professor für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Allerdings hätten einzelne Politiker der extremen Rechten zuvor den Hass der Radikalen mit rassistischen, antiarabischen oder homophoben Parolen immer wieder angefacht.

"Es gibt nur wenige "Verrückte", die so etwas tun", sagt Aran. "Aber es gibt eine Allianz, eine versteckte, oft unbeabsichtigte Verbindung auf emotionaler Ebene zu den vernünftigeren, konventionelleren Rechten. Das reicht bis in die Regierungskoalition hinein."

"Hexenjagd" nach "Bestienparade"

Die Koalition steht so weit rechts wie wohl noch nie eine Regierung in der fast siebzigjährigen Geschichte des Landes. Zwar hat Premierminister Benjamin Netanjahu angekündigt, "mit aller Kraft gegen das Phänomen des Hasses, des Fanatismus und des Terrorismus von jeglicher Seite zu kämpfen".

Doch auch ihm wird vorgeworfen, antiarabische Ressentiments zu schüren. So hatte Netanjahu am Tag seiner Wiederwahl am 17. März vor Arabern gewarnt, die "in Scharen an die Urnen strömten" und damit internationale Kritik geerntet.

Nicht nur andeutungsweise, sondern deutlich formuliert sein Koalitionspartner, die Partei "Jüdisches Heim" antiarabische sowie homophobe Positionen. Die heutige Justizministerin Ayelet Shaked hatte 2014 mit Zitaten eines israelischen Autors auf ihrem Facebook-Auftritt für Furore gesorgt. Als "kleine Schlangen" wurden darin palästinensische Kinder bezeichnet, die Bombardierung von Zivilisten wurde gerechtfertigt.

Eine "bizarre, undemokratische Hexenjagd" nannte ihr Parteigenosse, der Knesset-Abgeordnete Bezalel Smotrich nun den Aufschrei, der als Reaktion auf die Attacke auf die Schwulenparade durch israelische Medien ging. Er hatte sie zuvor als "Bestienparade" bezeichnet.

Die rote Linie der Radikalen

Allerdings: selbst in gewaltbereiten ultrareligiösen Kreisen wird der Überfall auf jüdische Teilnehmer der "Gay-Pride"-Parade fast ausschließlich verurteilt. "Die Rechtsradikalen in Israel unterscheiden sehr genau zwischen Gewalt an Juden und Nicht-Juden", so der Soziologe Aran. "Sehr viele würden niemals gegen einen Juden tätig werden. Das ist die rote Linie, die jahrelang nicht mehr überschritten wurde."

Die Messerattacke auf die Schwulenparade in Jerusalem vom Sonntag spalte deshalb das Lager der radikalen Haredi, der Ultraorthodoxen. "Die Mehrheit jedoch verurteilt die Tat und fühlt sich schuldig und verantwortlich, zumindest den öffentlichen Äußerungen nach."

Gideon Aran von der Hebräischen Universität in JerusalemBild: privat

Ähnlich sehe es im Lager der Siedler und orthodoxen Nationalisten aus. "Die große Mehrheit unter ihnen verurteilt das Verbrechen, den Mord an dem Baby in Duma. Aber es gibt auch hier einige, die die Täter unterstützen", so Aran. Er glaubt, dass die Siedlerbewegung durch die Gewalttaten geschwächt wird, weil sich gemäßigtere Rechte von ihr abwenden könnten.

Appell des Onkels

Zudem hat die israelische Regierung angekündigt, künftig gegen jüdische Terroristen ähnlich hart vorgehen zu wollen wie gegen palästinensische. Am Sonntag bechloss das Kabinett, dass auch jüdische Verdächtige ohne Anklage und Verteidigung festgehalten werden dürfen.

Am Montag gab es bereits eine erste Festnahme. Nach Agenturberichten wurde im Norden Israels der erst 20-jährige Chef einer ultranationalistischen jüdischen Gruppe gefasst. Er wird beschuldigt, ein "nationalistisches Verbrechen" begangen zu haben.

Demonstration gegen Gewalt auf dem Rabin-Platz in Tel AvivBild: Reuters/B. Ratner

Gegen Gewalt und Hass waren am Wochenende bereits Tausende in Israel auf die Straße gegangen. Im Zentrum Tel Avivs sprach auch Nasser Dawabscha, der Onkel des getöteten Babys auf einer Kundgebung.

"Wir fordern das Ende des Leids unseres Volkes. Wir wollen, dass die Feuer aufhören zu brennen", sagt er vor einer Menschenmenge. Der Ort der Demonstration war der ehemalige Platz der Könige. Er heißt heute nach Itzchak Rabin, der dort 1995 kurz vor seiner Ermordung von der Hoffnung auf Frieden gesprochen hatte.