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Was kosten faire Arbeitsbedingungen?

Naomi Conrad, Berlin7. Mai 2014

Überstunden, Hungerlöhne und marode Fabriken: Ein Jahr nach dem Unfall in Bangladesch wird darüber diskutiert, wie Mindeststandards in Entwicklungsländern garantiert werden können. Die Regierung setzt auf Unternehmen.

Bangladesch Textilfabrik Jahrestag Rana (Foto: DW/Mustafiz Mamun)
Angehörige der Näherinnen, die beim Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes gestorben sindBild: DW/M. Mamun

Vor ein paar Tagen, erzählt Achim Lohrie, habe Tchibo einen Test gemacht: Die Mitarbeiter hätten Bettwäsche aus Biobaumwolle in die Regale geräumt, direkt neben ein vergleichbares konventionelles Produkt - also Bettwäsche ohne Biobaumwolle. Die beiden Produkte würden ähnlich aussehen, so der Direktor für Unternehmensverantwortung der Firma, die neben Kaffeeprodukten ein immer wechselndes Sortiment von Unterhosen, T-Shirts und eben auch Bettwäsche betreibt. Lediglich beim Preis habe es einen Unterschied gegeben: Die Biowäsche habe zwei Euro mehr gekostet. Das Ergebnis des Versuchs ist laut Lohrie ernüchternd: Die Verkaufszahlen bei dem konventionellen Produkt seien "deutlich höher" gewesen. "Die zwei Euro tun dem Verbraucher weh." Zumindest, fügt Lohrie hinzu, wenn Konsumenten eine Alternative hätten.

Neben ihm nickt Tanja Gönner, die Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die beiden haben am Dienstagabend (06.05.2014) in Berlin mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller darüber diskutiert, wie in Entwicklungsländern faire Arbeitsbedingungen zu garantieren sind. Eingeladen hat die Zeitung "Tagesspiegel". Ende April 2013 starben mehr als 1000 Beschäftigte in der baufälligen Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, als diese einstürzte. Viele weitere wurden verletzt. Die meisten von ihnen waren Näherinnen, die für internationale Modeunternehmen T-Shirts und Hosen nähen und dafür oft einen Hungerlohn bekommen. Das soll sich nicht wiederholen: Da sind sich die drei einig.

Regierung für Selbstverpflichtung

Entwicklungsminister Müller setzt auf die Unternehmen: Die Textilindustrie habe die Aufgabe, Mindeststandards zu garantieren. In der Nahrungsindustrie etwa sorge der Verkäufer dafür, dass bestimmte Standards eingehalten werden. "Das ist die schärfste Waffe", so Müller. Auch die Textilwirtschaft müsse diesen Weg gehen. Um die deutsche Modebranche dazu zu bringen, Mindeststandards in der Produktion einzuhalten, hat Müller Ende April einen Runden Tisch einberufen. Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und NGOs sollen unter anderem die Einführung eines neuen Textil-Siegels für die Modebranche diskutieren. Dieses soll dem Verbraucher garantieren, dass in der Produktion etwa ein fairer Mindestlohn gilt und Überstunden honoriert werden, aber auch Brandschutzmaßnahmen eingehalten werden.

Ein Hilfefonds soll die Opfer entschädigen - doch bislang sei nur ein Drittel der Gelder eingezahlt worden, sagt MüllerBild: Reuters

Die Idee der Selbstverpflichtung für Unternehmen stößt bei der Opposition allerdings auf Widerstand. "Ohne dass der Gesetzgeber eingreift, wird die Wirtschaft immer der Profitmaximierung Vorfahrt vor den Menschenrechten geben", erklärte etwa Niema Movassat, Entwicklungspolitiker der Linksfraktion, nach dem ersten Treffen des Runden Tisches. Die Grünen äußerten sich ebenfalls skeptisch.

Handeln Unternehmen erst nach tragischen Ereignissen?

Auf Nachfrage, warum denn diese Selbstverpflichtung der Unternehmen jetzt funktionieren sollte, angesichts ähnlicher Versuche in der Vergangenheit, antwortet Müller vage: Der Wille sei da, das Bewusstsein der Unternehmer habe sich entwickelt. Und: Auch der Verbraucher könne nach Standards fragen. Manchmal bedürfe es eines "tragischen Ereignisses" wie Rana Plaza, um Unternehmen zum Handeln zu bewegen, kritisiert Lohrie. Tchibo habe im vergangenen Jahr ein internationales Brandschutzabkommen unterzeichnet. Damals hätten sich nur wenige Unternehmen ebenfalls verpflichten wollen. Doch sechs Wochen später stürzte die Textilfabrik zusammen und riss Tausende von Näherinnen in den Tod - und die Modehäuser wachten auf.

Allerdings war zuerst internationaler Druck nötig, damit die Textilunternehmen, die in Rana Plaza produzieren lassen, einen Hilfsfonds einrichteten. Die Unternehmen hätten bislang lediglich ein Drittel der vereinbarten Mittel eingezahlt, sagt Müller. Das nennt er "skandalös" und "unverantwortlich." In Rana Plaza seien außerdem die ersten 700 der insgesamt rund 3000 Fabriken auf Brandschutz und Statik überprüft worden, sagt Lohrie. Erste Fabriken seien bereits geschlossen worden.

Textilindustrie in Bangladesch - Verbesserungen in Sicht?

06:06

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"Wettbewerb nicht auf Rücken der Arbeiter"

Doch nicht nur Brandschutzabkommen seien nötig, sondern auch ein Mindestlohn und geregelte Arbeitszeiten. Lohrie fordert einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn in allen Entwicklungsländern. "Dann würde der Wettbewerb nicht auf dem Rücken der Arbeiter stattfinden." Stattdessen müssten Unternehmen etwa mit verbesserter Logistik gegeneinander konkurrieren. Wichtig sei auch, dass Unternehmen die Anzahl ihrer Lieferanten reduzieren und diese als strategische Partner betrachteten. Dann könnten sie besser planen und mehr in Bausicherheit investiere.

Letztlich aber, betont Müller, liege in erster Linie die Verantwortung bei den produzierenden Ländern. Wenn die Regierung vor Ort nicht bereit sei, Mindeststandards zu implementieren, "dann können wir viel erzählen". Gönner nickt: Oft seien die notwenigen Gesetze in den Lieferländern tatsächlich vorhanden. "Aber ist man in der Lage, sie umzusetzen?"

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