Westafrikas verschwundene Steuergelder
26. Mai 2018"West Africa Leaks" ist das Ergebnis monatelanger Recherchen von 14 Journalisten aus der Region. Gemeinsam mit Kollegen des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ) haben sie Dokumente ausgewertet, durch die schon Skandale wie die "Paradise Papers" ans Licht kamen. Ihre Erkenntnis: Einflussreiche Politiker, Privatpersonen und Unternehmen sollen in Westafrika Geschäfte gemacht und die Gelder im Ausland in Sicherheit gebracht haben. Mindestens 13 Ländern sind Steuergelder in Millionenhöhe entgangen.
Zum Beispiel Niger: Das Land, eines der ärmsten der Welt, lebt vor allem von Viehzucht. Im April 2009 begannen die Arbeiten für Westafrikas größten Schlachthof nahe der Hauptstadt Niamey. 40.000 Tonnen Fleisch sollten hier pro Jahr produziert werden. Neun Jahre später gibt die Baustelle ein trauriges Bild ab. Moussa Aksar, Chefredakteur der Zeitung L'Evenement, hat sich dort umgesehen. "Das ist eine riesige Baugrube, überwuchert mit Buschwerk", klagt er im DW-Gespräch. "Schlangen haben sich angesiedelt, aber nicht ein einziges Bauwerk wurde hochgezogen."
Mittendrin: Mächtige Politiker
Gut 16 Milliarden CFA-Francs stellte die damalige Regierung laut Vertrag für den Bau des Schlachthofs zur Verfügung. Zunächst wurde ein Teil des Geldes an eine australische Firma auf den Virgin Islands überwiesen. Monate später schlitterte das Land in die Krise, 2010 putschte das Militär. Es dauerte in Jahr, bis der jetzige Präsident Mahamadou Issoufou an die Macht kam. In dieser Übergangszeit sei der Rest des Geldes abgeflossen, sagt Journalist Aksar - wohin, sei nicht klar. Gebaut wurde damals schon nicht mehr. Durch den fehlenden Schlachthof verlieren viele Nigrer auch Einkommen. Der Gewinn für die Viehzüchter hätte laut dem damaligen Premierminister Seini Oumarou jährlich knapp 30 Milliarden CFA-Francs betragen sollen.
Bei ihren Recherchen kam den westafrikanischen Journalisten die internationale Zusammenarbeit zugute. Wenn sich die Beschuldigten gegenüber lokalen Medien nicht äußern wollten, half manchmal ein Anruf aus den USA. "Das ist eine wirkungsvolle Strategie, wie Journalisten Druck ausüben und Rechenschaft von Politikern einfordern können, die das nicht gewohnt sind", sagt Will Fitzgibbon, ICIJ-Koordinator von West Africa Leaks.
Eine Reihe prominenter Namen taucht laut ICIJ in den gesichteten Papieren auf. Zum Beispiel Hamadoun Touré aus Mali, der sich im Juli zum neuen Präsidenten Malis wählen lassen will. Er soll Eigentümer einer Offshore-Firma mit Sitz auf den Seychellen sein. Und Noel Akossi Bendjo, Bezirksbürgermeister in der ivorischen Metropole Abidjan, wird als Besitzer einer Firma auf den Bahamas angegeben.
Präsidentenfreundin in zweifelhafter Mission
Es gibt oft keine Belege, dass die Firmen illegalen Geschäften dienten. Trotzdem vermuten die Investigativjournalisten, dass sie für Geschäfte dienten, die im Konflikt mit den öffentlichen Funktionen der Betroffenen standen - etwa im Fall Bendjo: "Das Unternehmen wurde 1997 gegründet", sagt der ivorische Journalist Anderson Diebri im DW-Interview. "Im gleichen Jahr wurde Bendjo Generaldirektor der ivorischen Raffinierungsgesellschaft SIR". Bendjo droht nun öffentlich mit einer Klage. Anderson Diebri sieht dem gelassen entgegen. "Wir haben die Beweise", sagt er. "Wir warten auf die Klage, dann wird die Justiz entscheiden."
Auch die Liberianerin Clavenda Bright Parker soll ein Unternehmen auf den Seychellen besitzen. Sie selbst gibt vor, davon nichts zu wissen. Die Pharmazeutin ist eine Jugendfreundin der früheren Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf. Die Brisanz dieses Falls liegt auch hier in den verschiedenen Funktionen von Bright Parker. "Wir wollen Antworten auf die Frage, warum eine Person mit wenig Erfahrung im Minensektor Aktionärin und Direktorin einer Firma in einem Steuerparadies war und gleichzeitig einem Minenunternehmen geholfen hat, mit Ministern über wichtige Lizenzen zu verhandeln", sagt Koordinator Will Fitzgibbon. "Es gibt einfach nicht viele Gründe, warum eine liberische Unternehmerin mit einer Firma auf den Seychellen in Verbindung stehen sollte."
Westafrikanische Regierungen nehmen laut ICIJ eine ambivalente Rolle ein. Regierungen seien oft Teil der Verschwörung, sagt Will Fitzgibbon. Dem Senegal könnten bis zu neun Millionen Dollar Steuereinnahmen vom kanadischen Baugiganten SNC-Lavalin entgangen sein. Der Konzern selbst gibt vor, seine Unternehmungen "im Rahmen der Gesetze steuereffizient zu gestalten". Tatsächlich hat der Senegal vor Jahren einen Vertrag mit Mauritius abgeschlossen, der es internationalen Unternehmen ermöglicht, ihre Unternehmungen im Senegal über Mauritius abzuwickeln - und so ganz legal Steuern zu umgehen.
Das war unter dem früheren Präsidenten Abdoulaye Wade. Die Regierung seines Nachfolgers Macky Sall habe erklärt, den Vertrag zu bedauern, der ihr selbst schade, sagt Fitzgibbon. Dennoch sei es bisher nicht gelungen, ihn aufzulösen. Das hänge auch mit den internationalen Machtstrukturen zusammen: "Das Offshore-System beutet in vielerlei Hinsicht schwache Staaten aus. Als wohlhabendes Land oder als milliardenschweres Unternehmen fällt es leichter, aus diesem System Profit zu schlagen." Arme Länder stünden so unter einem gewaltigen Druck. Um dieses System zu durchbrechen, müssten auch große Unternehmen ihre Geschäfte überdenken, fordert er - auch dort, wo sie sich in einem legalen Rahmen bewegen.
Mitarbeit: Fréjus Quenum