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KonflikteUkraine

West-Bauteile in Putins Drohnen: Versagen die Sanktionen?

8. Oktober 2025

Trotz aller Embargos gelangen westliche Bauteile weiter in russische Raketen und Drohnen. Der ukrainische Präsident Selenskyj erhebt schwere Vorwürfe gegen den Westen. Doch lassen sich die Lieferketten überhaupt stoppen?

Ukraine Charkiw 2025 | Fragmente von Shahed-Drohnen
Von ukrainischen Soldaten abgeschossene Drohnen in der Region Charkiw. In vielen russischen Drohnen sollen zahlreiche westliche Komponenten verbaut sein Bild: Viacheslav Madiievskyi/Ukrinform/ABACA/picture alliance

Die Ukraine erlebt derzeit kaum eine Nacht, in der sie nicht massiv von Russland aus der Luft angegriffen wird. Allein in der Nacht zu Sonntag sollen fast 500 Drohnen und 50 Raketen auf Ziele tief im ukrainischen Landesinneren abgefeuert worden sein. In vielen dieser Flugkörper stecken offenbar Bauteile westlicher Herkunft. Darauf wies der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang der Woche in einer Videoansprache hin. Es geht um Mikrochips, Sensoren, Konverter und andere Hightech-Komponenten, die trotz Sanktionen ihren Weg nach Russland finden.

Über 100.000 im Ausland hergestellte Komponenten, so Selenskyj, seien allein nach dem Angriff am Sonntag sichergestellt worden. Sie kämen ursprünglich aus den USA und Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Staaten, China oder Taiwan.

Der Präsident kritisierte seine westlichen Verbündeten dafür scharf: Fast alle dieser Bauteile stünden auf internationalen Sanktionslisten und dürften gar nicht nach Russland exportiert werden. "Wenn bestimmte Länder ihre offensichtlich verwerflichen Pläne zur Lieferung wichtiger Komponenten für die Produktion von Raketen und Drohnen an Russland einstellen, wird die russische Bedrohung drastisch sinken", schrieb Selenskyj dazu auf X. 

Verschlungene Wege trotz Sanktionen

"Dazu muss man sagen, dass Exportkontrollen für viele dieser Güter schon ganz am Anfang des russischen Großangriffs, also im Frühjahr 2022, eingeführt wurden", erklärt Benjamin Hilgenstock, Sanktionsexperte an der Kyjiw School of Economics (KSE). "Diese wurden später nachgeschärft und ausgeweitet auf andere Produktgruppen, aber im Grunde existieren sie schon für die gesamte Zeit dieses Krieges."

Insgesamt 18 gegen Russland gerichtete Sanktionspakete hat allein die Europäische Union in den vergangenen dreieinhalb Jahren verabschiedet. Erst im Juli 2025 verschärfte sie die Exportverbote für sogenannte Dual-Use-Güter deutlich  – das sind Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden könnten.

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Und dennoch "gelangen diese Komponenten weiterhin auf verschlungenen Wegen nach Russland", so Hilgenstock. Meist sei gleich eine ganze Reihe von Zwischenhändlern involviert, etwa in China, den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Türkei, Kasachstan oder Ländern im Kaukasus. "In vielen Fällen verkauft eine westliche Firma ihr Bauteil völlig legal an einen Geschäftspartner in einem anderen Land. Dieser wiederum veräußert es dann weiter und so weiter und so fort und irgendwann landet es dann bei jemandem, der es nach Russland verkauft und verschifft."

Begrenzte Zugriffsmöglichkeiten

Dieses Problem ist schon lange bekannt, deshalb hat etwa die EU auch bereits damit begonnen, Zwischenhändler in Drittstaaten zu sanktionieren, die Produkte nach Russland weiterveräußern. Nur: "Das ist natürlich ein Katz-und-Maus-Spiel, weil man relativ leicht einen neuen Zwischenhändler drei Türen weiter auf demselben Flur ins Leben rufen kann", gibt Benjamin Hilgenstock zu bedenken. Er und seine Kollegen vom KSE haben bereits im Januar 2024 in einer Studie viele der Schwachstellen im internationalen Sanktionsregime analysiert.

Über 70 Prozent der weltweiten Computerchip-Produktion findet mittlerweile in Ost- und Südostasien stattBild: picture alliance/dpa

Erschwerend hinzu komme, "dass viele dieser Teile gar nicht im Westen produziert werden. Sie mögen von westlichen Firmen stammen, werden aber oft offshore in Fabriken in Südostasien gefertigt. Physisch durchlaufen diese Komponenten also zu keinem Zeitpunkt das Territorium der EU". Dies mache es für europäische Ausfuhrkontrollbehörden wie den Zoll quasi unmöglich, die Exportwege solcher Bauteile zu überprüfen.

Mehrere Schwachstellen, aber kein Versagen

Das System biete Russland also erhebliche Schlupflöcher, um trotz aller Embargos an dringend benötigte Güter zu kommen. Dennoch, sagt Hilgenstock, heiße das nicht, dass die Sanktionen insgesamt nicht funktionierten. "Man kann nicht erwarten, dass wir die Ausfuhr jedes einzelnen Computerchips nach Russland verhindern", so der Politikwissenschaftler. "Aber wir wissen, dass Russland für diese Teile inzwischen dramatisch höhere Preise bezahlt als jeder andere Staat der Welt. Und das ist an sich schon ein Erfolg, weil es bedeutet, dass Russland für dasselbe Geld weniger und oft minderwertigere Ware bekommt – und sich alles verzögert."

 

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Und doch gebe es immer noch Möglichkeiten, die Durchsetzung dieser Sanktionen zu verbessern. So müssten etwa die Hersteller dieser Güter stärker in die Verantwortung genommen werden, ihre Vertriebsnetzwerke zu kontrollieren und sicherzustellen, dass diese nicht in Russland landeten. "Im Finanzbereich etwa gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten sehr konkrete Anforderungen, was Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung betrifft", erklärt Benjamin Hilgenstock. "Das hat dazu geführt, dass international tätige Banken erhebliche Ressourcen in interne Kontrollmechanismen investiert haben - um zu wissen, mit wem sie Geschäfte machen und wer hinter deren Partnern steht. Und an den gleichen Punkt müssen wir hier auch gelangen. Aber das ist ein Prozess, und der dauert." 

Der slowakische Premier Robert Fico und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orban sind nicht die einzigen, die bei weitergehenden Sanktionen gegen Russland bremsenBild: Omar Havana/AP Photo/picture alliance

Zumal für eine derartige Verschärfung auch der politische Wille vorhanden sein müsse. "Da gibt es schlicht und einfach auf europäischer Ebene nicht wirklich einen Konsens, weiterzugehen." Dabei seien es nicht einmal nur die 'üblichen Verdächtigen', also Ungarn oder die Slowakei, die sich gegen eine Verschärfung des Sanktionsregimes stellten. "Auch andere Länder, darunter Deutschland, sind nicht unbedingt immer einverstanden mit weitergehenden Sorgfaltspflichten für die Unternehmen", moniert Hilgenstock. Sein Fazit: "Da bestehen noch Lücken - und diese Lücken könnte man schließen."

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik