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PolitikEuropa

Westbalkan: 20 Jahre uneingelöstes EU-Beitrittsversprechen

Thomas Brey
21. August 2023

Vor 20 Jahren gab die EU der Westbalkan-Region das Versprechen des Beitritts. Eingelöst wurde es bisher nicht. Brüssel ist beitrittsmüde, und den politischen Eliten in den Kandidatenländern mangelt es an Reformwillen.

EU Westbalkan Gipfel in Berlin, Familienfoto
Im Wartesaal: Familienfoto beim Westbalkan-Gipfeltreffen in Berlin am 3.11.2022Bild: Lisi Niesner/REUTERS

Als sich die Staats- und Regierungschefs der EU im Juni 2003 im griechischen Badeort Porto Carras trafen, hatten sie mit dem gerade befriedeten Westbalkan Großes im Sinn. Die Union unterstütze den Beitritt von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien zur Union "vorbehaltlos" hieß es im Abschlussdokument: "Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in Europa." Dieses "Versprechen von Thessaloniki", benannt nach der nahegelegenen Hafenstadt, ist auch nach zwei Jahrzehnten immer noch ohne Einlösung.

Die aktuelle Brisanz: Im Juni vergangenen Jahres fällten die EU-Staats- und Regierungschefs trotz der schlechten Erfahrungen mit den Westbalkan-Staaten die nach eigener Darstellung "historische" Entscheidung, die Ukraine und ihre Nachbarrepublik Moldau offiziell zu EU-Beitrittskandidaten zu befördern. 

Zum Jahrestag ein Abendessen

Am heutigen Abend (21.08.2023) ist der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in Athen Gastgeber eines Abendessens zu dem die Staats- und Regierungschefs der sechs Westbalkan-Länder gemeinsam mit der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angeführten EU-Spitze geladen sind. Anlass ist eben jenes "Versprechen von Thessaloniki" von vor 20 Jahren. Der wichtige und einflussreiche albanische Regierungschef Edi Rama ist nach griechischen Medienberichten nicht geladen, weil Albanien und Griechenland gerade wieder heftig über die kleine griechische Minderheit Albaniens streiten.

Nicht eingeladen zum Jubiläumsessen: Albaniens Regierungschef Edi RamaBild: Albania Premiership Press Office

Hier wird an einem Beispiel deutlich, warum die Länder der Westbalkan-Region nicht schon längst EU-Mitglieder sind. Immer wieder nutzen EU-Mitglieder in Südosteuropa bilaterale Probleme, um Sand ins Getriebe des Beitrittsprozesses zu streuen. Mal stellt Bulgarien die mazedonische Sprache in Frage und will die nominelle Erwähnung einer winzig kleinen bulgarischen Minderheit in die nordmazedonische Verfassung erzwingen. Zuvor hatte Griechenland nach jahrzehntelanger Blockade die Namensänderung von Mazedonien in Nordmazedonien durchgesetzt, damit sich der Nachbarstaat von der griechischen Provinz Makedonien unterscheidet. Mal versucht Kroatien, seine bilateralen Probleme mit einzelnen EU-Kandidaten wie Serbien, Montenegro oder mit dem potenziellen Beitrittskandidaten Bosnien-Herzegowina zu lösen, indem es seinen Mitgliedsstatus ausnutzt, zum Beispiel durch Veto-Androhungen.

Zustimmung zur EU schrumpft dramatisch 

Die lange Hängepartie beim EU-Beitritt hat besonders in Serbien, dem größten und strategisch wichtigsten Land der Region, tiefe Spuren hinterlassen: Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage im Sommer 2023 unterstützten nur noch 44 Prozent der Befragten einen EU-Beitritt ihres Landes, 47 Prozent waren dagegen. In einer anderen Umfrage des Instituts Demostat vom Juni 2023 befürworteten nur 23 Prozent der Bürger die Forderungen Brüssels, Serbien müsse sich als EU-Kandidat den Sanktionen gegen Russland anschließen. Dagegen sagten 42 Prozent, ihr Land solle gute Beziehungen mit Russland anstreben, auch wenn dadurch ein EU-Beitritt unmöglich werde.

Prorussische Demonstration serbischer Ultranationalisten in Belgrad am 24.03.2022 mit serbischen und russischen FahnenBild: VLADIMIR ZIVOJINOVIC/AFP/Getty Images

Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machten im vergangenen Jahr einen großen Anlauf zu einem Kompromiss im jahrzehntelangen Dauerstreit zwischen Serbien und seiner früheren, mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz Kosovo. Auch die EU-Kommission warf ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale, um zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. EU-Außenkommissar Josep Borrell jubelte nach Dauerverhandlungen sogar: "We have a deal!" Doch das Gegenteil war der Fall. Beide Seiten eskalierten den Konflikt, der in diesem Jahr wiederholt in bewaffnete Auseinandersetzungen zu eskalieren drohte.

Demokratiedefizite und Reformstau

Auch nach zwei Jahrzehnten sind die Reformbaustellen in den Staaten der Region dieselben wie damals. Zensierte und zentralisierte Medien, Instrumentalisierung der Justiz, Zerstörung unabhängiger staatlicher Institutionen, dramatische Großkorruption und organisierte Kriminalität. Allerdings: Wie sollte die EU gegen diese Missstände vorgehen, wenn sie selbst in ihren eigenen Reihen Mühe hat, die Knebelung von Medien, Justiz und Opposition wie beispielsweise in Polen oder Ungarn zu unterbinden?

Beste Freunde: Ungarns Premier Viktor Orban (li.) und Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic, hier bei einer Ordensverleihung in Belgrad am 16.09.2022Bild: Darko Vojinovic/AP//picture alliance

Daher ist es offensichtlich kein Zufall, dass der ungarische Regierungschef Viktor Orban den westlichen Balkan im Allgemeinen und Serbien im Besonderen als Partner ausgewählt hat. Serbiens alles entscheidender Präsident Aleksandar Vucic macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den Regierungsstil und das illiberale politische Konzept des ungarischen Premiers Orban. Die beiden Spitzenpolitiker pflegten in den letzten beiden Jahren bei über 40 Treffen engste Kontakte. Vucic erwartet von Ungarn, den Druck aus Brüssel für rechtsstaatliche Reformen abzufedern. Orban wiederum erwartet von Serbien, ihm auf dem Weg zu einem Schlüsselspieler in der Region zu helfen.

Die ausgebliebene Annäherung der Westbalkan-Staaten an Brüssel wurde ersetzt durch immer neue Konferenzrunden: Beispielhaft dafür stehen die seit 2014 jährlichen Balkan-EU-Gipfeltreffen unter dem Slogan "Berliner Prozess". Oder das erst in diesem Juni von Österreich ins Leben gerufene Format "Freunde des Westbalkans".