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Politik

Westbalkan aus der Berliner Perspektive

27. Januar 2017

Die Spannungen auf dem Westbalkan wachsen. Bestehende Grenzen werden erneut in Frage gestellt, nationalistische Töne werden lauter. Deutsche Politiker sind besorgt - unterscheiden sich aber in der Analyse der Ursachen.

Serbien Zug mit der Aufschrift  "Kosovo ist serbisch" im Bahnhof von Belgrad
Der Streit-Zug aus Belgrad: "Kosovo ist Serbien" in 20 SprachenBild: picture-alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Der Moment ist besonders ungünstig. Brexit, Flüchtlingskrise, wachsender Populismus, ein zunehmend autokratisch handelnder türkischer Präsident Erdogan, ein unbekannter und unberechenbarer US-Präsident Trump und sein strategisch denkender und machtbewusster Gegenpart Putin auf der russischen Seite - die Liste der Problemfelder in Europa will einfach nicht aufhören. Und dann kommen noch die Spannungen auf dem Westbalkan dazu.

Hashim Thaci: "Serbien plant Teilung des Kosovo"Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Kryeziu

So blockiert Kroatien den Fortschritt der Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU, während der Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, laut über die Teilung Bosniens und über neue Grenzziehungen in der Region lamentiert und sich dabei der Unterstützung aus Belgrad sicher sein kann. Aus der serbischen Hauptstadt kommen wiederum immer neue Giftpfeile und Provokationen in Richtung Kosovo: In Mitrovica im Norden des Kosovo bauten die dort lebenden Serben eine Mauer in der geteilten Stadt, während man gleichzeitig  aus der serbischen Hauptstadt Belgrad einen Zug mit der Aufschrift "Kosovo ist Serbien" - in 20 Sprachen - nach Mitrovica schickte. Der Zug wurde allerdings kurz vor der Grenze zum Kosovo gestoppt.

Kosovarische Politiker gossen ihrerseits Öl ins Feuer. Im DW-Interview warnt der Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi, offen vor einer neuen Kosovo-Krise: "Wir wissen, dass Serbien den Plan hat, Kosovo zu teilen." Serbien bediene sich im Kosovo "des Stils und der Methoden Russlands in der Ukraine", so Thaçi. Mit Belgrad kooperierende Russen seien dabei, paramilitärische Einheiten vorzubereiten, behauptet er.

Russen auf dem Westbalkan

Ob diese Behauptungen stimmen oder nicht, ist zurzeit schwer zu sagen. Konkrete Beweise für seine Anschuldigungen hat Thaçi  nicht vorgelegt. Allerdings: Dass Russland in der Region politisch anwesend und immer aktiver ist, beobachtet auch Thorsten Frei, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. "In Russland haben wir ein autokratisches System, wo machtpolitische Erwägungen sicherlich eine größere Rolle spielen als das Wohl des serbischen Volkes. Ich verkenne nicht die historischen Verbindungen, aber uns ist es doch in der Vergangenheit nicht gelungen, deutlich zu machen, dass der wichtigste Handelspartner für Serbien nicht etwa Russland ist, sondern die EU und zwar allen voran Deutschland", sagt Frei in einem Gespräch mit der DW. Es sei wichtig, sich vor Augen zu halten, so Frei weiter, dass aus Deutschland in den letzten 15 Jahren rund fünf Milliarden Euro an Zuschüssen gekommen seien, und aus Russland gar nichts - bis auf vielleicht den Zug nach Kosovo.

Anders sieht das Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete aus den Reihen der größten Oppositionspartei, Die Linke, im DW-Interview: "Es passt der Bundesregierung ganz offensichtlich nicht ins Konzept, dass Serbien EU-Kandidat und gleichzeitig enger Verbündeter Russlands ist. Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen setzt die Bundesregierung die Daumenschrauben an. Serbien soll durch Angleichung der Sicherheits- und Außenpolitik auf anti-russischen Kurs gebracht werden." Dazu gehöre auch eine vermeintliche Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo, die Serbien zwingen soll, die völkerrechtswidrig erfolgte Unabhängigkeit der Provinz anzuerkennen, sagt Dagdelen.

Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic ist für die Stabilität in der Region von entscheidender Bedeutung, dass sich die Beziehungen zwischen Serbien und der EU verbessern. Das sei aber zurzeit nicht ganz einfach, denn nach dem Vorfall mit dem Zug für den Kosovo sei es nicht klar, ob Serbien eher in Richtung des nationalistisch auftretenden Präsidenten Tomislav Nikolic gehen wolle, oder eher in Richtung des Premierministers Aleksandar Vucic, der wiederholt seine europäische Orientierung betone. Allerdings glaubt Juratovic, dass die gegenwärtigen Spannungen viel mit dem serbischen Wahlkampf zu tun haben: "Hie spielen alle eine Rolle, insbesondere, wenn es bald Wahlen gibt. Und in der Region gibt es andauernd Wahlen irgendwo. In allen diesen Ländern, wo politische Parteien nichts Konstruktives anzubieten haben, versucht man, die Spannungen künstlich zu erzeugen, um die Wahlen zu gewinnen. Und das funktioniert so schon seit Jahrzehnten." Juratovic glaubt, dass sich nach den Wahlen in Serbien das politische Klima wieder verbessern wird.

Thorsten Frei: "Grundprinizien sind nicht verhandelbar"Bild: DW/S. Padori-Klenke

Ungewisse europäische Perspektive

Einig sind sich deutsche Politiker in der Einschätzung, dass sich eine klare und überschaubare europäische Perspektive für Serbien stabilisierend auf den Westbalkan auswirken würde. In Serbien ist die pro-europäische Stimmung aber gerade dabei zu kippen. Laut jüngsten Umfragen sprechen sich nur noch 44 Prozent der Bevölkerung für einen EU-Beitritt Serbiens aus, während sogar 42 Prozent dagegen sind. Christdemokrat Frei sieht die Mitverantwortung dafür zwar auch auf Seiten der EU, betont aber, dass "die zentrale Frage ist, ob Serbien bereit ist, die wesentlichen Punkte und Werte der EU zu übernehmen." Für Frei ist aber klar, dass "diese Grundwerte nicht verhandelbar sind. Da geht es nur um die Frage, werden sie übernommen - dann gibt es den Beitritt, oder werden sie nicht übernommen - dann kann es keinen Beitritt geben."

Sevim Dagdelen: "Glaubwürdigkeit der EU wird untergraben"Bild: picture-alliance/Eventpress Stauffenberg

Für Sevim Dagdelen ist diese Haltung aber in Wirklichkeit sehr scheinheilig: "Zwingende Voraussetzung für den EU-Beitritt Serbiens soll die Anerkennung des völkerrechtswidrig für unabhängig erklärten Kosovo sein, damit die völkerrechtswidrige Praxis der EU und Nato mit neuen Grenzziehungen nach der Zerschlagung Jugoslawiens im Nachhinein geheiligt werden soll." Ihrer Meinung nach seien die Bekämpfung der mangelnden Rechtsstaatlichkeit und der Korruption in Serbien nur vorgeschobene Begründungen zwecks Propaganda. "Ziel ist es, so den Druck auf Serbien aufzubauen, sich der Erpressungspolitik der EU zu fügen", sagt Dagdelen. So wird, betont sie, "die Glaubwürdigkeit der EU weiter untergraben, da aus opportunistischen Gründen ernsthafte rechtsstaatliche Prinzipien aufgegeben werden und diese als Mittel zum Zweck zur diplomatischen Verfügungsmasse degradiert werden."

Josip Juratovic: "Serbien braucht verläsliche EU Perspektive"Bild: Getty Images/AFP/D. Gannon

Für Josip Juratovic ist Serbien der zentrale Akteur für die Entwicklungen auf dem Westbalkan. Deswegen befürwortet er ausdrücklich eine Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen Brüssel und Belgrad. Eine Isolierung Serbiens wäre verheerend für ganz Europa, betont Juratovic. "Deswegen soll man die demokratischen Kräfte stärker unterstützen, sowohl in Serbien, als auch in allen anderen Ländern der Region. Sie brauchen eine klare europäische Perspektive, und zwar eine, die nicht ins Unendliche hinausgezögert wird." Wichtig ist dabei aber auch, allen klar zu machen, dass weder Deutschland noch die EU der Region irgendetwas aufzwingen können oder wollen. "Wir leben in einer Demokratie. Wir sind hier und wollen helfen, aber jemand soll diese Hilfe auch nehmen wollen. Wir können niemanden dazu zwingen", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Südosteuropa im Auswärtigen Ausschuss.

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