Westbalkan: Aus für Al Jazeera erschüttert Medienbranche
17. Juli 2025
Der Medienanbieter Al Jazeera Balkans (AJB) hat den Betrieb eingestellt. Die letzte Nachrichtensendung wurde am Samstag (12.07.2025) ausgestrahlt, seitdem wird das Programm mit zuvor aufgezeichnetem Material noch bis Ende Juli fortgesetzt. Anschließend wird AJB nach Angaben der Zentrale der Firma in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo abgeschaltet.
Der Grund für die Schließung sei finanzieller Natur, heißt es in den Medien. Das Ende des Senders sei von der Al Jazeera-Geschäftsführung [auf Deutsch auch "Al Dschasira" geschrieben] in Katars Hauptstadt Doha entschieden worden. AJB war seit 2011 in der "gemeinsamen Sprache" Bosnien und Herzegowinas, Kroatiens, Montenegros und Serbiens aktiv: Serbokroatisch oder Kroatoserbisch oder Serbisch/Kroatisch/Bosnisch (BKS). Zudem sendete AJB auch nach Kosovo, Nordmazedonien und Slowenien.
Medien in Bosnien berichten auch von einer Reihe "schwerwiegender interner Unregelmäßigkeiten". Demnach hätten Wirtschaftsprüfer aus Doha "verdächtige Transaktionen" festgestellt. Daraufhin sei die Ablösung der AJB-Geschäftsführung vorgeschlagen worden - was diese aber abgelehnt hätte.
Das bosnische investigative Portal istraga.ba schreibt unter Berufung auf Quellen aus Katar: "Hätten AJB-Geschäftsführer Edhem Foco und Generaldirektor Tarik Djodjic zugestimmt, von der Spitze von AJB zurückzutreten, wäre das Unternehmen nicht geschlossen worden. (...) Aber nachdem der Vorschlag aus Doha abgelehnt wurde, beschlossen die Eigentümer, ihr Programm auf dem Balkan vollständig einzustellen."
Dementis und unbeantwortete Fragen
AJB-Direktor Tarik Djodjic äußerte sich auf eine Anfrage der DW zu den Gründen für die Schließung des Medienunternehmens nicht. AJB-Geschäftsführer Edhem Foco dementierte die Vorwürfe von istraga.ba gegenüber der populären bosnischen Webseite klix.ba und erklärte, AJB habe "beste Bewertungen" von Prüfern aus Doha erhalten.
Laut Foco hatte Katar Anfang Juli die Entscheidung getroffen, AJB zu schließen. Anzeichen dafür habe es bereits in den Jahren zuvor gegeben: "Jedes Jahr, wenn im Mai der Haushalt aufgestellt wurde, wurde darüber nachgedacht, ob AJB erhalten werden könne. Irgendwie haben wir es bisher immer geschafft zu überleben. Dieses Jahr ist die Situation so, dass das keine Option mehr war", sagte Foco.
"Niemals positive Ergebnisse"
AJB erhielt jährlich fast 20 Millionen Dollar aus Doha - habe aber "niemals positive Ergebnisse erzielt", schreibt die Tageszeitung Dnevni Avaz aus Sarajevo. Trotz der Investitionen hätten interne Untersuchungen auf intransparentes Management und möglichen Missbrauch hingewiesen, was schließlich zur vollständigen Einstellung des Programms geführt habe.
Die kroatische Webseite teleskop.hr berichtet, dass "große Geldsummen" von AJB an eine Firma namens "Foto Art" geflossen seien, die unter anderem an AJB-Koproduktionen beteiligt war. Teleskop.hr fragt, warum überhaupt eine externe Firma wie Foto Art beauftragt wurde, AJB habe selbst über die nötigen Kapazitäten verfügt.
Immer weniger internationale Medien
AJB schließt zu einem Zeitpunkt, an dem auch andere internationale Medien unter Druck stehen. Mitte März hatte US-Präsident Donald Trump eine Anordnung zur Schließung der internationalen US-Medienanbieter Voice of America (VOA) und Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL)unterzeichnet. Seit 15. März sind alle VOA-Mitarbeiter beurlaubt. RFE/RL dagegen klagte erfolgreich gegen seine Schließung und arbeitet seit Ende März auf Basis einer einstweiligen Verfügung eines Bundesgerichts in Washington weiter.
Die Präsidentin der Europäischen Journalistenföderation, die kroatische Journalistin Maja Sever, warnt, die Schließung der AJB sei ein großer Verlust für die Öffentlichkeit und die Demokratie in der Westbalkan-Region. "Dies ist nicht nur ein weiterer Angriff auf Journalisten und den Journalismus - es ist auch ein Angriff auf die Demokratie. Deshalb müssen wir uns alle fragen: Wer wird als Nächstes von Populismus, Sparpolitik und Ignoranz angegriffen", sagt Sever.
Sie erinnerte auch an die kürzlich erfolgte Entlassung von 26 Mitarbeitern des Fernsehsenders N1, einer Tochtergesellschaft von CNN International für den Westbalkan. Zur Begründung hieß es, es gehe um einen "Umbau". "Stellen Sie sich vor, wie viele Affären, Korruption und Diebstähle ohne diese Journalisten verborgen geblieben wären", kommentierte Sever die Entlassungen.
Keine Kontrolle politischer Akteure
Lejla Turcilo, Professorin am Institut für Kommunikation/Journalismus der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Sarajevo, warnt, die Entwicklung des regionalen Medienmarkts sei aus mehreren Gründen problematisch: "Für die hiesige Medienbranche bedeutet das eine erhebliche Einschränkung des Pluralismus und der Vielfalt an Quellen und Perspektiven, die den Bürgern im Kontext des Verständnisses lokaler und globaler Ereignisse zur Verfügung standen", so Turcilo.
Rund 200 Mitarbeiter der AJB verlieren nun ihren Job. "Es ist schwer vorstellbar, dass der regionale Medienmarkt so viele Fachkräfte aufnehmen kann. Das betrifft nicht nur Journalisten, sondern auch ihre Familien und wirkt sich auch auf die Gesellschaft aus", so die Medienwissenschaftlerin gegenüber der DW. Sie warnt, dass die Schließung einflussreicher Medien wie Voice of America und Al Jazeera Balkans auch die gesellschaftliche Kontrolle politischer Akteure verringern werde - "insbesondere der politischen Institutionen."
Destabilisierung der Medienbranche
"Obwohl alle Medienunternehmen, die nun geschlossen werden, von Anfang an mit einer bestimmten, auch politischen Agenda oder als verlängerter Arm der Politiker und Staaten gegründet wurden, aus denen sie kamen, waren sie dennoch höchst professionell und verantwortungsbewusst und legten sehr hohe ethische und professionelle Standards an. Vor diesem Hintergrund ist dies ein äußerst schwieriger Moment für die Medienszene", so Lejla Turcilo.
Boro Kontic, Direktor der NGO Medienzentrum Sarajevo, erklärte gegenüber der DW, die Schließung von AJB und VOA sei ein Zeichen für eine bedrohliche Destabilisierung der Medienlandschaft auf dem Westbalkan: "Diese Medien bildeten hier das Rückgrat der Professionalität und redaktionellen Unabhängigkeit."