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Politik

"Der Westbalkan gehört zum Haus Europa"

21. Januar 2022

Staatsministerin Anna Lührmann spricht sich im DW-Interview für eine bessere EU-Aufnahmeperspektive des Westbalkans aus. Vor allem gegenüber Albanien und Nordmazedonien müsse die EU Wort halten.

 Anna Lührmann Europa Albanien
Anna Lührmann, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, zuständig für Europa und KlimapolitkBild: Ani Ruci/DW

"Klare EU-Perspektive für den Westbalkan"

13:04

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DW: Frau Staatsministerin, Sie kommen gerade zurück aus Tirana und Skopje, eine Ihrer ersten Auslandsreisen im neuen Amt als Staatsministerin für Europa und Klima. Was für Eindrücke haben Sie mitgebracht?

Anna Lührmann: Ich habe gute Eindrücke mitgebracht. Ich bin bewusst kurz nach Amtsantritt in die Region gereist, um dort die Beitrittsperspektive zur Europäischen Union zu unterstreichen und war auch sehr neugierig zu sehen, was mich da erwartet. Ich bin von einer warmen Sonne begrüßt worden - und von ganz viel Enthusiasmus von den Menschen vor Ort.

Es ist eine nicht ganz unkomplizierte Region. Einen Tag vor Ihnen war der türkische Präsident Erdogan in Tirana. Der albanische Premier Rama hat die Worttreue des türkischen Präsidenten gelobt und dabei den Unterschied zur EU angedeutet. Zu Unrecht?

Mir ist es sehr wichtig, dass wir als Europäische Union im Wort stehen gegenüber Albanien und Nordmazedonien. Deswegen sollten die Beitrittsverhandlungen so schnell wie möglich eröffnet werden. Wir setzen uns mit ganzer Kraft dafür ein, dass die letzten Hürden aus dem Weg geräumt werden. Und ich bin sehr guter Dinge, dass wir da auch bald vorankommen.

Sie haben in Tirana betont: Der Weg der Integration läuft über Reformen. Was haben Sie Ihren Gesprächspartnern gesagt? Wo muss Albanien noch liefern?

Wir wissen alle, dass die Mitgliedschaft in der EU in der Tat an viele Voraussetzungen geknüpft ist. Die Länder, sowohl Albanien als auch Nordmazedonien, haben sehr, sehr große Fortschritte gemacht, vor allen Dingen auch im Bereich der Justizreform und insbesondere in Albanien. Es ist wirklich wichtig, dass dieser Schritt der Justizreform gerade auch mit dem Vetting-Prozess (Überprüfung aller albanischen Richter und Staatsanwälte auf fachliche Eignung, Integrität und Vermögensverhältnisse - Anm.d.Red.) zügig weitergeht. Dafür wird auch die Hilfe der Opposition gebraucht. Und das habe ich angesprochen, aber auch generell erst mal Albanien dazu beglückwünscht, wie entschlossen dort Reformen in den letzten Jahren umgesetzt worden sind.

Auch in Skopje gab es eine interessante Koinzidenz. Sie waren gerade da, als die neue Regierung ins Amt kam und kurz nach Ihnen kam der ebenfalls neue bulgarische Premier nach Skopje. Ist das ein Durchbruch, eine Hoffnung?

Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass auch die neue bulgarische Regierung und die neue mazedonische Regierung sich klar aufeinander zubewegen. Wir hoffen sehr, dass diese bilateralen Themen, die existieren, auch in diesem bilateralen Format zeitnah gelöst werden.

Die ermutigenden Signale aus Bulgarien wurden etwas gedämpft dadurch, dass die Opposition und auch der Präsident den forschen Weg des neuen Premiers sehr stark kritisiert haben. Welche Art von Unterstützung bieten Sie Bulgarien an, am Kurs des Premiers festzuhalten?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir als Europäische Union als Ganzes - und dazu gehört auch Bulgarien - im Wort stehen gegenüber Albanien und Nordmazedonien. Wir sind bereit, diese Prozesse, die stattfinden müssen, zu unterstützen, aber in erster Linie ist es ein bilateraler Prozess, und ich glaube, dass für die neue bulgarische Regierung ganz klar die Priorität auch darauf liegt, mit ihrer eigenen Reformagenda voranzukommen. Und der große Wunsch besteht, die Geschichte den Historikern zu überlassen.

Sie sind ja auch zuständig für die deutsch-französischen Beziehungen. Frankreich hatte in den vergangenen Jahren Vorbehalte beim EU-Integrationsprozess des Westbalkans. Sehen Sie in Paris Änderungen in dieser Frage?

Ja, Frankreich hat ein sehr klares Signal gesendet mit dem Programm für die Ratspräsidentschaft (Frankreich hat im ersten Halbjahr 2022 die EU-Ratspräsidentschaft inne - Anm.d.Red.), dass sie auch die Aufnahme-Perspektive für die Länder des Westbalkans für zentral halten. Es wird eine Konferenz geben für den Westbalkan. Macron hat in seiner Rede in Straßburg noch einmal das Thema erwähnt und auch klargemacht, dass es diese Beitrittsperspektive gibt. Von daher sind die Signale aus Paris hier auch sehr ermutigend.

Welche neuen Akzente haben Sie sich vorgenommen in Ihrer Westbalkan-Politik? Was möchten Sie nach vorne stellen?

Ich bin Staatsministerin für Europa und Klima. Und für die neue Bundesregierung ist es ganz zentral, dass wir in allen Bereichen unserer Außenpolitik auch unsere Europapolitik, Klimapolitik in den Mittelpunkt stellen, sowohl in bilateralen Beziehungen als auch in Brüssel. Und das habe ich auch während meiner Reise sehr deutlich gemacht, dass wir Anstrengungen unternehmen werden, um die Länder des Westbalkans weiter zu unterstützen beim Ausbau erneuerbarer Energien, bei Energieeffizienz, aber auch beim Naturschutz. Das ist ja gerade in Albanien auch ein großes Thema.

Anna Lührmann im Interview mit der Leiterin von DW Europa, Adelheid FeilckeBild: Anila Shuka/DW

Die vorherige Bundesregierung wurde in der Region dafür kritisiert, dass sie sehr stark auf die Stabilokraten gesetzt hat und weniger werteorientiert war. Werden Sie in diesem Punkt eine Veränderung vornehmen?

Die Bundesregierung hat ja ganz klar gesagt, dass wir hier eine wertegeleitete Außenpolitik in den Mittelpunkt unseres Tuns stellen. Und das heißt natürlich auch, klar Missstände zu benennen, wenn sie existieren, aber auch Stabilität und positive Prozesse zu unterstützen. Ganz klar. Ich habe zum Beispiel während meiner Reise bewusst, obwohl sie sehr, sehr kurz war, nicht nur die Regierung getroffen und die Opposition, sondern auch die Zivilgesellschaft. Und das ist sicherlich eine Sache, die wir auch weiter fortsetzen wollen: Zusammenarbeit auch mit der Zivilgesellschaft, Unterstützung einer freien, unabhängigen Presse, weil das eben auch Demokratien wirklich lebendig macht.

Sie wollen sich auch für die Fortsetzung des Berliner Prozesses einsetzen. Wo wollen Sie neue Akzente setzen, um diesen Prozess wieder zu beleben?

Die Zusammenarbeit mit der Jugend, mit dem Westbalkan-Jugendnetzwerk, dem Regional Youth Cooperation Office, ist eigentlich ein ganz wunderbare Sache. Von dort kommen ja auch immer wieder neue Impulse. Und da sehen wir eben auch, dass es wichtig ist, für die jungen Menschen in den Ländern des westlichen Balkans eine Perspektive zu schaffen, die auch darin besteht, dass es für sie leichter wird, auch innerhalb der Region mobil zu sein und innerhalb der Region Bildungs- und berufliche Chancen zu haben. Und das sind sicherlich Bereiche, in denen wir weiter arbeiten müssen.

Der langen Wartetour auf dem Weg in die EU haben einige Länder der Region die Initiative Open Balkans entgegengesetzt. Wie bewerten Sie diese Initiative?

Erst einmal habe ich Verständnis dafür, dass es einen großen Wunsch gibt, in der Region zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig müssen Initiativen, die regionale Zusammenarbeit stärken wollen, wirklich auch inklusiv sein, also auch Länder wie Kosovo beteiligen. Das ist für uns zentral. Und dafür eignen sich die Instrumente des Berliner Prozesses sehr gut. Es gab ja auch bereits eine Einigung in Sofia, im vergangenen Jahr, dass es einen gemeinsamen Markt geben soll. Und diese Einigung muss jetzt endlich auch umgesetzt werden.

Ein wichtiges Thema auf dem Westbalkan ist die hybride Kriegsführung, der Einfluss von Akteuren wie Russland. Was setzen Sie dem entgegen?

Die EU-Perspektive. Für uns ist es ganz zentral, dass wir jetzt deutlich machen müssen, dass diese Länder Teil des europäischen Hauses sind und wirklich auch dazugehören. Auch aus geostrategischen Erwägungen. Wir reden ja viel in Europa, gerade über europäische Souveränität. Und wenn wir als Europäerinnen und Europäer souverän sein wollen, müssen wir es schaffen, auch wirklich Stabilität und Zusammenarbeit in den westlichen Balkan zu bringen, der ja im europäischen Haus eigentlich schon drin ist, ohne formal dabei zu sein. Und deswegen liegt mir das sehr am Herzen. Ich glaube, das ist auch die Antwort darauf, dass andere Akteure da eher destabilisierend unterwegs sind.

Anna Lührmann, 38, ist seit Dezember 2021 Staatsministerin im Auswärtigen Amt und zuständig für Europa und Klimapolitik. Die Grünen-Politikerin war von 2002 bis 2009 Bundestagsabgeordnete und von 2018 bis 2021 Juniorprofessorin für Politikwissenschaften an der Universität Göteborg. Seit 2021 ist sie wieder Bundestagsabgeordnete.