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Politik

Westbalkan: Das schlechte alte Landkartenspiel

Norbert Mappes-Niediek
9. Mai 2021

Wo genau liegen eigentlich die nationalen Grenzen in Südosteuropa? Diese Frage konnte noch keiner der zahlreichen Pläne zur Neuaufteilung der Region beantworten.

Bosnien und Herzegowina Kirche und Moschee in Sarajevo
Wo ist die Grenze? Blick auf die bosnischen Hauptstadt Sarajevo mit ihren Kirchtürmen und MinarettenBild: Elvis Barukcic/AFP/Getty Images

Ein erster, übereilt erstellter Teilungsplan für Jugoslawien wurde 1941 rasch umgesetzt: Als die deutsche Wehrmacht den 1918 gegründeten Vielvölkerstaat überfiel und besiegte, bekamen gleich fünf benachbarte Nationalstaaten einen Teil von dessen bisherigem Territorium ab: Großdeutschland, Italien, Ungarn, Bulgarien und Albanien.

In dem Gebiet, das übrig blieb, entstand neben dem besetzten Serbien ein "Unabhängiger Staat Kroatien", der auch ganz Bosnien-Herzegowina umfasste. Im ethnischen Sinne "klare Verhältnisse" konnte die NS-Schöpfung jedoch nur durch einen Völkermord erreichen: In knapp vier Jahren wurden zwischen 320.000 und 340.000 Serben, zehntausende Roma und Juden umgebracht.

Das Denkmal für die Opfer des KZs Jasenovac in KroatienBild: picture-alliance/ I. Kralj/PIXSELL

Schon als im 19. Jahrhundert das Osmanische Reich zu zerfallen begann, stellte sich die Frage, wo die neu entstehenden Nachfolgestaaten anfangen und wo sie aufhören sollten. 1878 hatten die Großmächte auf dem Berliner Kongress neue Grenzen auf dem Balkan am Reißbrett gezogen, 1912/13 schneiderten dann sechs europäische Botschafter den neuen Staat Albanien zurecht. Albaner, Bulgaren, Griechen, Serben, Mazedonier und Montenegriner wurden dazu nicht einmal eingeladen.

Als am Ende des Ersten Weltkriegs der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zerbrach, setzten sich die USA unter Präsident Woodrow Wilson für das Nationalitätenprinzip ein: Die "Völker" sollten über ihr Schicksal selbst bestimmen. Was aber ein Volk war und was nicht, blieb offen. Der amerikanische Begriff einer "nation" als Bevölkerung eines Staates taugte nicht. Alle neu entstehenden Staaten im Osten Europas umfassten wiederum zahlreiche nationale Minderheiten.

Identität, Zentralismus, Autonomie

Vor allem in Jugoslawien, aber auch in Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Ungarn, der Tschechoslowakei und der Ukraine wurde vor und lange nach dem Zweiten Weltkrieg zwar ausgiebig um Identität, Zentralismus und Autonomie gestritten. Grenzveränderungen aber waren tabu, nachdem die Deutschen zwischen 1939 und 1945 ganz Osteuropa besetzt und neu aufgeteilt, Jugoslawien zerschlagen, Rumänien verkleinert und Ungarn, Bulgarien und Albanien vergrößert hatten.

"Wollen Sie in einem solchen Land leben?" Überschrift der Satireseite der "Mladina", 10.03.1989Bild: Mladina

Konjunktur bekam das Spiel mit den Landkarten erst wieder, als Ende der 1980er Jahre der Ostblock zerfiel. In Slowenien veröffentlichte das Magazin "Mladina" (Jugend) 1989 auf seiner Satireseite einen Vorschlag, wie sich Jugoslawien neu ordnen ließ: Zwischen Österreich, Ungarn und einem ominösen "Südjugoslawien" könnten "Vereinigte Republiken Westjugoslawiens" entstehen - aus Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina.

Satire wird Ernst

Was 1989 satirisch gemeint war, wurde zwei Jahre danach blutiger Ernst: 1991 zerfiel Jugoslawien in seine Teilrepubliken. Die Grenzen der Nachfolgestaaten zu bestimmen, erwies sich jedoch als nicht weniger schwierig, als es der Zusammenhalt Jugoslawiens gewesen war. Auf dem Boden Kroatiens gründeten Angehörige der serbischen Minderheit eine "Republik Serbische Krajina". Auch im benachbarten Bosnien entstand eine "Republika Srpska" (Serbische Republik) und eine kroatische "Republika Herceg-Bosna".

Ziel der serbischen Nationalisten war ein geschlossenes serbisches Territorium, das von der mazedonischen Grenze bis vor die Tore Zagrebs reichen sollte. Da dessen Bevölkerung auch wirklich serbisch sein sollte, wurden die dort bisher lebenden Minderheiten brutal vertrieben; und damit das neue Territorium auch wirklich einheitlich wird, in manchen Gebieten auch Mehrheiten - wenn diese nicht serbisch waren.

Die Mehrheit der Anderen

In Serbien selbst strebte derweil die albanische Minderheit nach Selbständigkeit, die in einem Landesteil, der "Autonomen Provinz" Kosovo, die große Mehrheit der Bevölkerung stellte. Während an den Kiosken von Tirana, der Hauptstadt der benachbarten Republik Albanien, Karten eines ethnischen "Groß-Albanien" verkauft wurden, das halb Montenegro, den Nordwesten Griechenlands umfassen und bis nach Niš in Zentralserbien reichen sollte, träumten radikale albanische Nationalisten davon, die Hälfte Mazedoniens einer künftigen "Republik Ilirida" einzuverleiben.

Die Präsidenten Izetbegović (Bosnien), Tudjman (Kroatien) und Milošević (Serbien) bei den Verhandlungen in Dayton/OhioBild: picture-alliance/dpa

Nach dem Friedensschluss von Dayton 1995 und dem damit einhergehenden Ende des Krieges in Bosnien sollten nach dem Willen der Großmächte die Grenzen der neuen Staaten ebenso unverletzlich sein wie vorher die Jugoslawiens. Einen Krieg - um Kosovo 1999 - und zwölf Jahre später entstand aber doch noch einmal ein neuer Staat: die Republik Kosovo (2008). Sofort begann das Landkartenspiel erneut.

Gescheiterte Teilungspläne

Serbiens damaliger Außenminister Ivica Dačić schlug vor, Kosovo zwischen Serben und Albanern aufzuteilen, eine Idee, die der Doyen des serbischen Nationalismus, der Schriftsteller und Dissident Dobrica Ćosić, schon 1968 ventiliert hatte. Als der 1992/93 für kurze Zeit Präsident der aus Serbien und Montenegro bestehenden "Bundesrepublik Jugoslawien" (1992-2003) wurde, brachte Ćosić seinen Gedanken noch einmal aufs Tapet - vergeblich.

US-Botschafter Grenell (l.) mit den Präsidenten Kosovos und Serbiens, Vučić und Thaçi in München am 14.02.2020Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Auch Minister Dačić scheiterte - am Widerstand der USA. Erst als Donald Trump 2017 US-Präsident wurde, traute sich Serbiens Präsident Aleksandar Vučić erneut mit einem Teilungsplan nach vorn: Gemeinsam mit seinem damaligen kosovarischen Pendant Hashim Thaçi schlug er nicht näher definierte "Grenzkorrekturen" vor: Der vorwiegend serbische Norden Kosovos sollte Serbien, der albanisch besiedelte Südzipfel Serbiens der neuen Republik Kosovo zugeschlagen werden.

Die Rolle des Westens

Der Vorschlag stieß im Ausland auf überraschend breite Zustimmung. Für den serbisch-albanischen Gebietstausch machten sich ein christdemokratischer EU-Kommissionspräsident (Jean-Claude Juncker) stark, ebenso sein Erweiterungskommissar von der gleichen Fraktion (Johannes Hahn), dazu eine sozialdemokratische Außenbeauftragte (Federica Mogherini) und ein grüner Staatspräsident (Alexander Van der Bellen).

Präsident Trump schickte zustimmende Briefe und einen ruppigen Sonderbeauftragten (Richard Grenell) und lud die Landkartendesigner ins Weiße Haus. In Serbiens Nachbarland Bosnien freute sich der serbische Co-Staatspräsident Milorad Dodik, der seit langem für eine Teilung des multi-ethnischen Staates eintritt. Sein kroatischer Kollege nutzte die Gelegenheit, um mehr Autonomie für seine Volksgruppe zu fordern.

Mittlerweile ist Trump nicht mehr US-Präsident. Aus dem kosovarisch-serbischen "Land Swap" wurde nichts. Und das jüngste "Non-Paper" zum Thema wird wohl auch enden wie das berühmte Hornberger Schießen. Sicher bleibt: Solange Regierungschefs um Territorien würfeln, bleiben alle konkreten Probleme der Westbalkan-Gesellschaften - vor allem Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption und Umweltverschmutzung - auf unbestimmte Zeit vertagt.

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