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Politik

Die EU-Integration braucht mehr Tempo

16. September 2021

Deutschland und die EU fördern derzeit massiv die Länder des Westbalkans, um sie zu mehr Kooperation zu bewegen. Im DW-Interview erklärt Miguel Berger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, warum das so wichtig ist.

StS Miguel Berger bei Videokonferenz der General- und Staatssekretäre der EU
Miguel Berger ist seit Mai 2020 Staatssekretär im Auswärtigen Amt in BerlinBild: Felix Zahn/photothek/picture alliance

Deutsche Welle: Herr Berger, Sie waren Anfang August auf dem Westbalkan. Es heißt, die Länder der Region hätten das Vertrauen in die EU verloren. Haben Sie diesen Vertrauensverlust gespürt?

Miguel Berger: Die EU tut viel für die Zukunft des westlichen Balkans - zum Beispiel mit dem milliardenschweren Wirtschafts- und Investitionsplan, der unter anderem den ökologischen und digitalen Wandel und die Konnektivität in den Blick nimmt. Die EU ist und bleibt damit der engste und verlässlichste Partner der sechs Westbalkan-Staaten.

Es gibt eine gewisse Enttäuschung, aber ich habe bei meiner Reise in die Region auch die Nähe und das große Interesse an der EU erlebt. Wir, das heißt die EU, müssen aber auch klar machen, dass wir es ernst meinen mit dem Weg in die EU. Deshalb ist es so wichtig, dass die Erweiterungsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien so schnell wie möglich beginnen.

Zu Besuch in der Region waren Sie anlässlich der Amtseinführung des neuen Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt. Sein Amt wird von der Republika Srpska, dem serbisch dominierten Teil des Landes, nicht anerkannt. Kann Schmidt bei seiner Arbeit unter diesen Umständen erfolgreich sein?

Christian Schmidt ist durch die Ernennung des Lenkungsausschusses des Friedensimplementierungsrats als Hoher Repräsentant in Bosnien und Herzegowina legitimiert und genießt breite internationale Unterstützung. Wir setzen darauf, dass alle Seiten erkennen, dass es im Interesse der Menschen in Bosnien und Herzegowina und der Stabilität des Landes ist, konstruktiv mit ihm zusammenzuarbeiten.

Christian Schmidt bei seiner Amtseinführung als Hoher Repräsentant in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo am 02.08.2021Bild: Dado Ruvic/Reuters

Die letzten Jahre zeigen, dass bei vorhandenem politischem Willen Fortschritte möglich sind. Ich denke zum Beispiel an die Durchführung von Lokalwahlen in der Stadt Mostar im Dezember 2020. Bosnien und Herzegowina muss bestehende Blockaden überwinden, Reformen umsetzen und auf seinem Weg in Richtung EU vorankommen. Das haben die Menschen im Land verdient. Christian Schmidt wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Deutschland unterstützt die EU-Integration der Westbalkan-Länder durch den Berliner Prozess. Dennoch hat man es in den letzten Jahren nicht geschafft, echte Fortschritte in diese Richtung zu erreichen. Welche Verbesserungsvorschläge haben Sie, damit die Annäherung auch tatsächlich stattfindet?

Der von der Bundeskanzlerin 2014 ins Leben gerufene Berliner Prozess zur Förderung der regionalen Kooperation ist als Ergänzung zum EU-Erweiterungsprozess zu sehen. Das Tempo der EU-Integration der Region ist in der Tat nicht zufriedenstellend. Im vergangenen Jahr hat die Europäische Union deshalb das Beitrittsverfahren modifiziert, um dem Beitrittsprozess und den dafür notwendigen Reformen mehr Dynamik zu verleihen.

Auch finanziell steht die EU den Ländern des westlichen Balkans zur Seite. In Reaktion auf die schwierige Pandemielage in der Region hat sie bereits im April 2020 kurzfristig ein Unterstützungspaket in Höhe von 3,3 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Für die mittelfristige wirtschaftliche Erholung der Westbalkanländer hat die Europäische Kommission im Oktober 2020 einen beispiellosen Wirtschafts- und Investitionsplan mit einem Gesamtvolumen von bis zu bis zu neun Milliarden Euro vorgelegt.

All dies unterstreicht, dass die EU sich weiterhin in hohem Maße engagiert und vielfältige Anreize setzt, um die Reformprozesse auf dem westlichen Balkan zu fördern - und damit auch die EU-Integration der Länder dort.

Einige Think Tanks schlagen mittlerweile Zwischenlösungen für den Westbalkan vor, etwa einen gemeinsamen Markt, der an die EU gebunden ist. Ist das eine ernstzunehmende Alternative?

Die Bundesregierung sieht die Zukunft der Staaten des westlichen Balkans in der EU. Die Zwischenlösungen, die vorgeschlagen werden, sind keine wirkliche Alternative und werden weder von den Regierungen noch den Menschen in der Region gewünscht. Gleichzeitig sehen wir durch den weiteren Ausbau der regionalen Kooperation ein großes Potenzial für die Region. Fortschritte in diesem Bereich, zum Beispiel der Aufbau eines gemeinsamen regionalen Marktes bis 2024, unterstützen den Weg der sechs Westbalkanstaaten in die EU.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfeltreffen des Berliner Prozesses am 5.07.2021Bild: Stefan Boness/Ipon/imago images

Die Staats- und Regierungschefs der sechs Staaten des westlichen Balkans haben beim letzten Gipfeltreffen des Berliner Prozesses am 5. Juli auf Einladung von Bundeskanzlerin Merkel ihre Anstrengungen zur Umsetzung des gemeinsamen regionalen Marktes bekräftigt. Dies ist ein wirklich historisches Projekt, dem sich die Westbalkanstaaten im November 2020 auf dem Gipfel des Berliner Prozesses in Sofia verschrieben haben. In diesem Rahmen verhandeln sie mit Unterstützung des Regionalen Kooperationsrates RCC zur Zeit über vier wegweisende Vereinbarungen, darunter Abkommen über Reisefreizügigkeit mit Personalausweisen und über die Anerkennung von akademischen bzw. beruflichen Qualifikationen.

Das sind Abkommen, die für die Menschen in der Region wirkliche Verbesserungen bringen würden. Für Reisen zwischen Kosovo und Bosnien und Herzegowina würde es dann keine Visa mehr brauchen. Für uns ist entscheidend, die Arbeit an dem gemeinsamen regionalen Markt der sechs Staaten des westlichen Balkans im Rahmen des Berliner Prozesses voranzubringen. Dies ist so wichtig, weil dieser gemeinsame Markt, der bis 2024 aufgebaut werden soll, eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass der Wirtschafts- und Investitionsplan der EU für die Region erfolgreich umgesetzt werden kann.

Der Dialog zwischen Kosovo und Serbien scheint im Moment nicht voranzukommen. Was könnte man machen, um ihn wiederzubeleben?

Für eine Beilegung des Konflikts Kosovo-Serbien ist es höchste Zeit. Beide Länder und die gesamte Region werden durch ausbleibende Fortschritte in ihrer Entwicklung und Stabilität beeinträchtigt. Fortschritte im EU-vermittelten Dialog sind daher sehr wichtig. Der EU-Sonderbeauftragte für den Dialog, Miroslav Lajcak, und der Hohe Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, haben dabei unsere volle Unterstützung. Sie tun genau das, was jetzt richtig ist: beide Seiten zu Gesprächen zusammenzubringen.

Am Ende wird es auch schmerzhafte Kompromisse brauchen, damit die Verhandlungen in ein umfassendes, nachhaltiges und verbindliches Abkommen münden können, das beiden Ländern perspektivisch die Mitgliedschaft in der EU ermöglicht.

Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti hat das Thema Vergangenheitsbewältigung zur Vorbedingung für erfolgreiche Gespräche mit Serbien erklärt. Damit hat Deutschland eine lange Erfahrung. Hat Kurtis Art der Annäherung Aussicht auf Erfolg?

Eine wichtige Voraussetzung ist, dass sich jede Seite ihrer eigenen Verantwortung stellt. Nur auf dieser Grundlage ist Versöhnung möglich. Das habe ich auch in meinen Gesprächen in der Region betont. Aber Vergangenheitsbewältigung sollte keine Vorbedingung für Dialog sein, sonst kommen Gespräche gar nicht erst zustande. Aus meiner Sicht ist es eher so, dass ein erfolgreiches Abkommen zwischen Kosovo und Serbien die Vergangenheitsbewältigung erleichtern würde.

Am 6. Oktober steht ein neuer EU-Westbalkan-Gipfel in Slowenien an. Was sind Ihre Erwartungen?

Wir wünschen uns ein klares Signal, dass der europäische Weg der Region fortgesetzt wird. Wir hoffen deswegen sehr, dass es gelingt, die aktuellen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, um mit den bereits im März 2020 beschlossenen Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien endlich zu beginnen. Die Lösung liegt auf dem Tisch - im Juni wurde sie von 26 EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich unterstützt.

Miguel Berger, geboren 1961 in Madrid, ist seit Mai 2020 Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA) in Berlin. Zuvor leitete er die AA-Abteilung für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung. Seine diplomatische Karriere begann 1991 als Referent für die deutschstämmige Minderheit an der deutschen Botschaft in der rumänischen Hauptstadt Bukarest.