Westbalkan: Keine konkreten Zusagen der EU
18. Dezember 2024Seit einem EU-Gipfel im griechischen Thessaloniki im Jahr 2003 wiederholt die inzwischen auf 27 Mitgliedsstaaten angewachsene Union ihr Mantra: Die Staaten auf dem westlichen Balkan, hervorgegangen aus den zerfallenden Jugoslawien und aus Albanien gehören zu Europa und sollen ebenfalls in den Klub aufgenommen werden. Geschafft hat den Sprung in die EU nur Kroatien 2013. Die übrigen sechs - Serbien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Albanien - arbeiten in unterschiedlichen Stadien des langwierigen Beitrittsprozesses seit vielen Jahren auf ein konkretes Datum für ihre Aufnahme hin.
"Jetzt müssen wir diesen Prozess mit ganz neuem Tempo zu einem Ende führen, sodass sich die Beitrittsperspektive in einen realen Beitritt verwandelt", sagte der scheidende deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Brüssel. Dort findet wie jedes Jahr der Westbalkan-Gipfels der EU statt. Das sagt Olaf Scholz nicht zum ersten Mal. Bereits vor zwei Jahren sprach er von Tempo und Beschleunigung.
Ungeduld wächst
Geschehen ist aus Sicht vieler Westbalkan-Politiker wenig. Edi Rama etwa, der Premierminister von Albanien, nannte den Beitrittsprozess abwechselnd unfair oder neurotisch. Heuchlerisch findet es der Albaner gar, dass die Ukraine und im Schlepptau Moldau im Eiltempo durch den Beitrittsprozess geschleust werden, um ein geopolitisches Zeichen im Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor zu setzen. Edi Rama setzt Hoffnung in die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas aus Estland. Sie werde sich bestimmt für den Westbalkan einsetzen. Schließlich sei sie selbst in einer kommunistischen Diktatur aufgewachsen, habe die Freiheit erkämpft und sei schließlich der EU beigetreten. Der Westbalkan hat in der Einschätzung des albanischen Premiers ähnliches durchgemacht. Ganz verzückt schmeichelte Edi Rama der ehemaligen estnischen Regierungschefin nach ihrem ersten Treffen in ihrer neuen Funktion. "Danke für das freundlichen Lächeln im trüben grauen Wetter hier am Morgen in Brüssel", sagte Rama.
EU ist nicht geschlossen
Die Meinungen in der Europäischen Union darüber, wie schnell welcher Staat des Westbalkans aufgenommen werden soll, sind durchaus unterschiedlich. Österreich, das enge historisch gewachsene Verbindungen zum Balkan pflegt, hat eine "Freundesgruppe" für die sechs Beitrittskandidaten gegründet. In anderen Staaten, die weiter weg liegen, Irland oder Spanien etwa, ist der Ehrgeiz nicht so groß. Spanien hat, wie andere EU-Staaten auch, das Kosovo bis heute nicht als Staat anerkannt.
Das Kosovo wird von Serbien nach wie vor als abtrünnige Provinz betrachtet. Dieser Streit zwischen Serbien und dem Kosovo ist trotz Vermittlungsbemühungen der EU einer Lösung nicht nähergekommen. Im Gegenteil, teils gewaltsame Auseinandersetzungen und Terroranschläge belasten die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien schwer. Sie blockieren auch Fortschritte im Beitrittsprozess. Die Präsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani, beklagte beim Gipfeltreffen in Brüssel wortreich, dass Serbien Fortschritte attestiert würden, obwohl es doch außenpolitisch mit Russland verbandelt sei. Kosovo hingegen haben alle Reformen und Forderungen der EU erfüllt und trage selbstverständlich auch die Ukraine-Politik der EU mit. "Wir sind das Europa-freundlichste Land auf der ganzen Welt, aber unser Beitrittsantrag ist irgendwo in einer Schublade in Brüssel verschwunden", sagte Präsidentin Osmani.
Probleme untereinander
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mahnte, was er auch schon öfter gemacht hat, dass der Streit zwischen Nachbarn auf dem Westbalkan nicht den Beitrittsprozess überlagern dürfe. Das gelte auch für Mitgliedstaaten der EU, die durch ihre bilateralen Probleme mit einzelnen Beitrittsländern den Prozess insgesamt beeinträchtigen. Gemeint ist hier wohl Bulgarien, das aus verschiedenen kulturhistorischen Gründen ein Problem mit dem Beitrittskandidaten Nordmazedonien hat.
Beim Gipfeltreffen wurden diese Probleme jedoch nicht erwähnt, sondern mit dem allgemeinen Bekenntnis, dass der Westbalkan zur EU gehören werde, irgendwann zugedeckt. Im Übrigen sei der Beitrittsprozess ja von den Leistungen der Beitrittswilligen abhängig. Jedes Land werde einzeln und unabhängig von seinen Nachbarn beurteilt. Deshalb gebe es auch keine Koppelung der Beitritte, heißt es aus der EU-Kommission.
Montenegro ante portas?
Darauf hofft der kleinste der Beitrittskandidaten Montenegro mit seinen nur 670.000 Einwohnern. Der montenegrinische Präsident Jakov Milatovic sagte beim Gipfel, sein Land habe alle Verhandlungskapitel abgeschlossen und sei seit Jahren bereit beizutreten. "Wir sind auf dem vordersten Platz und möchten das 28. Mitgliedsland der EU werden. Das wäre auch ein klares Signal an die übrigen Bewerber, dass der Beitrittsprozess noch lebendig ist", sagte Jakov Milatovic.
Konkrete Zusagen bekam aber auch Milatovic nicht. Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas meinte lediglich, sie wolle innerhalb ihres Mandates in den nächsten fünf Jahren wirkliche Fortschritte machen. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor fast drei Jahren ging ein Ruck durch die EU. Der Westbalkan als Bollwerk gegen russischen Einfluss wurde schlagartig wichtiger.
"Erweiterung der EU ist auch wichtig für die Sicherheit in ganz Europa", sagte der Präsident von Montenegro. Das zumindest hätte man in den EU-Hauptstädten jetzt verstanden. Um den Westbalkan enger an die EU zu binden, die ohnehin wichtigster Handelspartner der Region ist, soll ein "Wachstumsplan für den Westbalkan" vereinbart werden. Der Plan soll Investitionen in Infrastruktur und Arbeitsplätze in der Region sichern.
Kein Datum genannt
Der ehemalige EU-Ratspräsident Charles Michel hatte bei seinem letzten Balkangipfel noch über 2030 als dem Jahr gesprochen, in dem die nächsten Beitritte stattfinden sollten. Diese Jahreszahl hat sein Nachfolger im Amt, Antonio Costa, nicht wiederholt. "Beim Gipfel ging es ja nicht um die Einzelheiten der Erweiterung als solche", so Antonio Costa nach den Beratungen. Es ging mehr um das strategische Große und Ganze. "Wir haben die Frustration in der Region wahrgenommen. Aber jetzt gibt es ein neues Momentum", so Costa.
Bevor konkrete Schritte möglich sind, müsse sich die Europäische Union erst einmal selbst fit für die Aufnahme von neuen Mitgliedern machen, mahnen EU-Diplomaten immer wieder. Die Abstimmungsverfahren und Institutionen seien für eine Gemeinschaft mit 33 Mitgliedsstaaten oder gar mit der großen Ukraine zu langsam und schwerfällig. Reformen fordert der französische Präsident Emmanuel Macron seit Jahren ein. Passiert ist allerdings wenig. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, dass sie demnächst mit einem Vorschlag aus der Deckung kommen will. Wiedervorlage beim nächsten Westbalkan-Gipfel der EU im Dezember 2025?