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Politik

Endlich grünes Licht für Westbalkan

Barbara Wesel
24. März 2020

Nach mehreren Fehlversuchen will die EU nun Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien aufnehmen. Es gelte zu verhindern, dass andere Mächte ein politisches Vakuum füllen, heißt es aus der Bundesregierung.

Nord-Mazedonien Video-Konferenz Nikola Dimitrov und Michael Roth
Nordmazedoniens Außenminister Nikola Dimitrov und Staatsminister Michael Roth in der Video-KonferenzBild: DW/B. Georgievski

"Es ist ein Zeichen politischer Nähe in Zeiten physischer Distanz", sagt der deutsche Europaminister Michael Roth. Wie alle trifft auch er derzeit wichtige Entscheidungen mit seinen EU-Kollegen per Videokonferenz. Aber wenn jetzt aus Brüssel nach drei fehlgeschlagenen Anläufen für Nordmazedonien und Albanien endlich grünes Licht für den Start der Verhandlungen kommt, verdiene das gerade während der Corona-Krise besondere Würdigung.

Der westliche Balkan sei "der Innenhof" der EU, erklärt Michael Roth, den man dauerhaft in Frieden und Rechtsstaatlichkeit stabilisieren wolle. Einen besonderen Dank sprach der Minister dabei Nordmazedonien aus, weil das Land während der Vorbereitung zu den Beitrittsverhandlungen nach einem jahrzehntelangen Namensstreit friedliche Beziehungen mit Griechenland hergestellt hat.

Zwar sei dies erst der Beginn eines langen, beschwerlichen Weges, aber wenn die EU in der Region ein politisches Vakuum entstehen lasse, dann werde das von anderen Mächten gefüllt.

Krise der Geduld

Man habe in Skopje eine "Krise der Geduld", hatte der nordmazedonische Europaminister Bujar Osmani im Februar gesagt. Denn der schon dreimal verschobene Start der Beitrittsverhandlungen war längst zu einem "Serien-Thriller" der EU-Erweiterungspolitik geworden.

Das kleine Mazedonien war 2018 nach langem Zank mit dem großen Nachbarn Griechenland über seinen Schatten gesprungen und hatte sich in Nordmazedonien umbenannt, um nationalistische Gefühle in Athen zu beschwichtigen. Da ging es um alte Geschichte, Alexander den Großen und die Frage, wer historisch und überhaupt Anspruch auf den Namen "Mazedonien" erheben dürfe.

Statt aber diese Anstrengung zu würdigen, ließ die EU die Regierung in Skopje auflaufen. Das gleiche passierte erneut ein Jahr später - da war die Umbenennung sogar schon offiziell und im Oktober 2019 holten sich Nordmazedonien und Albanien erneut eine Abfuhr, weil plötzlich Frankreich, Dänemark und die Niederlande den Start der Beitrittsgespräche blockierten.

Proteste gegen die Umbenennung in Nordmazedonien im Sommer 2018 in der Stadt BitolaBild: Getty Images/AFP/M. Zlatevska

Da war das Entsetzen bei anderen EU-Mitgliedern ziemlich groß und die Bundesregierung fürchtete, es sei viel politisches Porzellan zerschlagen worden.

"Sie haben verstanden, dass sie einen historischen Fehler gemacht haben", sagte Bujar Osmani im Gespräch mit der DW. Er habe nach der letzten Ablehnung im vergangenen Herbst eine Woge der Solidarität erlebt, weil viele EU-Länder gespürt hätten, dass Nordmazedonien unfair behandelt worden sei. Und außerdem sei er absolut sicher, "dass wir alle Anforderungen der EU erfüllt haben".

Am ausgestreckten Arm verhungert

Der christdemokratische Europaabgeordnete Michael Gahler formuliert das Gefühl der Ungerechtigkeit noch drastischer: "Wir haben sie 25 Jahre lang am ausgestreckten Arm verhungern lassen", umso wichtiger sei es jetzt, die Verhandlungen mit Nordmazedonien endlich beginnen zu lassen. "Da steht die ganze Glaubwürdigkeit des Beitrittsprozesses infrage", denn gerade die Regierung in Skopje hätte alles getan, was von ihr verlangt worden sei.

Um den Widerstand in Frankreich und bei den anderen zu überwinden, hatte die EU-Kommission einige Änderungen im Verfahren vorgeschlagen. Jetzt sei sichergestellt, dass bei politischen Rückschritten die Beitrittsgespräche auch wieder gestoppt werden könnten. Außerdem müssten die Reformen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Umsetzung überprüfbar sein.

Man habe seit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien in der EU viel gelernt, sagt Gahler. Schon Kroatien habe es schwerer gehabt und mehr Beweise für seinen Reformweg erbringen müssen.

Der Europaabgeordnete glaubt darüber hinaus, dass der Weg von Albanien und Nordmazedonien sich künftig trennen müsse. Was bisher als Paket betrachtet worden sei, werde im Laufe der Beitrittsverhandlungen auseinanderdriften.

Zwei Präsidenten, die ihre Länder in die EU führen wollen: Ilir Meta (Albanien, l.) und Stevo Pendarovski (Nordmazedonien)Bild: picture-alliance/AA/F. Abdula

Gerade die Niederlande hatten 2019 Einwände gegen den albanischen Beitrittswunsch erhoben, weil sie schlechte Erfahrungen mit der organisierten Kriminalität und Gangs aus Albanien gemacht hatten. Hier seien die Anforderungen an die Justizreform und den Kampf gegen kriminelle Banden besonders hoch.

Es geht um das politische Narrativ in der Region

Majda Ruge vom European Council on Foreign Relations sieht im Startschuss für die Beitrittsgespräche "besonders in Zeiten von Corona … eine gute Nachricht". Denn Serbien habe sich gerade an die Spitze derer gestellt, die die EU als unfähig darstellen und betont seine engen Beziehungen zu China.

Deshalb sei es für die Europäer jetzt wichtig, den Staaten in der Region aktiv zu zeigen, dass für sie die Zukunft in Europa liegt und nicht etwa im Fernen Osten oder in Russland.

Für Nordmazedonien sei es endlich das Signal für die Reformer im Land, dass die EU ihre Zusagen nach Jahren des Wartens einlöse. Zwar würden die anstehenden Wahlen zunächst verschoben, aber bei einer späteren Wiederwahl von Zoran Zaev zum Ministerpräsidenten würde das Land jedenfalls auf seinem demokratischen Reformkurs bleiben.

Die Chancen für einen kontinuierlichen Beitrittsprozess mit beiden Ländern, meint Ruge, hänge auch davon ab, was jetzt im Zusammenhang mit Corona passiert. Niemand könne derzeit sagen, wie die EU danach politisch und wirtschaftlich dastehen werde. Entscheidend sei, ob die Europäer wirklich auf dem westlichen Balkan engagiert bleiben oder sich nur noch um eigene Probleme kümmern.

"Es wird auch eine Rolle spielen, wie die USA handeln und wie sich die Region generell orientiert", so Ruge. Die Signale aus Belgrad aber deuteten darauf, dass es hier einen Kampf der "politischen Narrative" gebe, einen Streit darum also, wer die Region dominiert und ihre Zukunft gestaltet. "In jeder Krise liegt eine Chance", sagt sie, und das gelte auch für Corona. Man dürfe daher nicht unterschätzen, wie wichtig gerade jetzt das politische Signal zum Beginn des Beitrittsprozesses für die beiden Westbalkanländer sei.