Mahmud Abbas: Was bringt sein möglicher Nachfolger?
30. April 2025
Bei der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) könnte absehbar ein Generationswechsel anstehen. Der offiziellen palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA zufolge hat das Exekutivkomitee der PLO Hussein al-Scheich zum Stellvertreter von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bestimmt.
Das Komitee ernannte den 64-jährigen al-Scheich zudem zum stellvertretenden Vorsitzenden der PLO. An deren Spitze steht derzeit der 89 Jahre alte Abbas.
Das Amt wurde erst am vergangenen Donnerstag neu geschaffen. Dafür billigte die PLO-Führung eine entsprechende Vorlage. Durch sie könnte al-Scheich in Zukunft, zum Beispiel im Falle des Todes von Abbas, dessen Nachfolger als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) werden.
Garantiert ist die Nachfolge aber nicht: Auch andere Kandidaten können sich um das Amt bewerben. Und für die Nachfolge als PLO-Chef müsste das Exekutivkomitee der PLO einen neuen Vorsitzenden wählen, sagt Simon Engelkes, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Ramallah im israelisch besetzten Westjordanland.
Hussein al-Scheich gilt als enger Vertrauter von Abbas. Als junger Mann verbrachte al-Scheich wegen seiner Aktivitäten für die Fatah, der stärksten Fraktion innerhalb der PLO, elf Jahre in israelischen Gefängnissen. 2007 ernannte Abbas ihn zum Direktor der Zivilverwaltung der Autonomiebehörde. Al-Scheich ist dort für die Vergabe der gefragten Reisegenehmigungen zuständig. Diese ermöglichen es Palästinensern, dass sie zum Arbeiten und zur medizinischen Versorgung nach Israel einreisen können.
In dieser Funktion hat al-Scheich enge Verbindungen zum israelischen Sicherheits-Establishment. Seit 2022 ist al-Scheich zudem Generalsekretär der PLO.
"Wichtiger Reformschritt"
Die Berufung dürfte wesentlich auf auswärtigen Druck anderer arabischer Staaten, allen voran von Seiten von Saudi-Arabien, zustande gekommen sein, heißt es in einer Analyse des katarischen Nachrichtensenders Al-Jazeera. Auch europäische Staaten hätten darauf gedrängt.
Sie alle wollten auf diese Weise dazu beitragen, den seit langem anhaltenden Stillstand in der Palästinensischen Autonomiebehörde zu überwinden und Zukunftsperspektiven für das Westjordanland zu schaffen. Angesichts des Umstandes, dass seit rund 20 Jahren keine Präsidenten- und Parlamentswahlen mehr in den Palästinensergebieten stattfanden, werde auch eine verstärkte demokratische Legitimation angestrebt.
So begrüße Saudi-Arabien al-Scheichs Ernennung als wichtigen "Reformschritt". Mehrere internationale Geldgeber der Palästinenserbehörde hatten die Fortsetzung ihrer Unterstützung zudem von politischen und institutionellen Reformen abhängig gemacht.
Skepsis innerhalb der palästinensischen Gesellschaft
Allerdings steht die palästinensische Gesellschaft selbst der Autonomiebehörde seit langem skeptisch gegenüber. Die PA hat sehr schlechte Zustimmungswerte. Einem Großteil der Palästinenser fehlt das Vertrauen in die Arbeit der Behörde. Daher sei es zweifelhaft, dass die Nachfolgeregelung nun einen nennenswerten Impuls in die palästinensische Gesellschaft sende, sagt Simon Wolfgang Fuchs, Islamwissenschaftler an der Hebräischen Universität Jerusalem.
"Angesichts des engen Verhältnisses zwischen Abbas und al-Scheich kann man davon ausgehen, dass al-Scheich auf dieselbe Agenda setzt wie Abbas", so Fuchs. "Man möchte so gut wie möglich mit den Israelis auskommen und die Sicherheitskooperation weiterführen.
Darum geht es der Autonomiebehörde in erster Linie. "Das ist ihr wichtiger als das Anliegen, auf eine Verbesserung der zunehmend unerträglichen Lebensumstände im Westjordanland zu drängen. Die PA ist in dem Dilemma gefangen, dass ihre Anstrengungen sowohl von der eigenen Bevölkerung als auch von Israel in keiner Weise honoriert werden."
Die Position der Hamas
Die Ernennung al-Scheichs fällt in eine Zeit, in der nach gut anderthalb Jahren Krieg auch im Gazastreifen entscheidende Veränderungen anstehen könnten. Vor einigen Tagen hatte ein palästinensischer Funktionär erklärt, die Hamas könnte bereit sein, die Macht im Gazastreifen an eine neue politische Entität zu übertragen. Als solche käme - theoretisch - auch die PA infrage.
Allerdings reagierte die militante, islamistische, von Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen andere Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas kühl auf die Ernennung al-Scheichs. Der hochrangige Hamas-Vertreter Bassem Naim erklärte, die Palästinenser würden eigenständig über ihre Führung entscheiden. "Das palästinensische Volk ist keine Herde, der sich Führer mit fragwürdiger Vergangenheit aufdrücken lassen, die ihre Gegenwart und Zukunft von der Besatzung abhängig machen", so Naim.
Die Haltung Israels
Auch Israel ist gegen die Aussicht, dass die PA dereinst wieder den Gazastreifen regieren könne. Simon Wolfgang Fuchs verweist in diesem Zusammenhang auf die Ereignisse um das Flüchtlingslager in Dschenin im Westjordanland.
Die Palästinensische Autonomiebehörde war dort Ende vergangenen Jahres zunächst konfrontativ gegen die militanten Dschenin-Brigaden vorgegangen. Dann kam es zu einer Übereinkunft, derzufolge die Milizen ihre Waffen abgeben und die PA wieder die Kontrolle übernehmen sollte. Daraufhin attackierte Israel das Lager Mitte Januar mit Drohnen und zerstörte Häuser. Israel erklärte, man wolle auf diese Weise Terroristen bekämpfen.
"Zugleich gab die israelische Regierung aber zu verstehen, dass sie von dem Vorgehen der PA nichts hält und sie im Grunde nicht ernst nimmt. Damit hat sie auch klar gemacht, dass sie letztlich den Gedanken ablehnt, die PA könnte den Gazastreifen regieren. Insofern ist diese Idee eigentlich hinfällig", so Fuchs weiter.
Israel und PA: neue Verhandlungen zweifelhaft
Letztlich sei auch zweifelhaft, dass die Ernennung al-Scheichs das Verhältnis zwischen Israel und der Autonomiebehörde nennenswert beeinflussen werde, sagt KAS-Experte Simon Engelkes. Zwar sei der Palästinenser in israelischen Sicherheitskreisen bekannt. "Aber noch regiert Mahmud Abbas. Und ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Ernennung eines Stellvertreters zum aktuellen Zeitpunkt dazu führt, dass es zu neuen Verhandlungen zwischen beiden Seiten kommen könnte."