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Wetter extrem: Hadsch unter glühender Sonne in Saudi-Arabien

Jennifer Holleis | Anke Rasper
13. Juni 2024

Saudische Beamte warnen vor enormer Hitze bei der islamischen Pilgerfahrt. Experten plädieren für einen grundsätzlichen Wandel in der Klimapolitik.

Pilgerinnen in Mekka
Auch viele Frauen pilgern alljährlich nach MekkaBild: Karim Sahib/AFP/Getty Images

Am 14. Juni beginnt der diesjährige Hadsch, die islamische Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien. Wie immer dürfte sie für bis zu zwei Millionen Musliminnen und Muslime aus rund 180 Ländern zu einem einmaligen Erlebnis werden - aber auch zu einer enormen körperlichen Herausforderung. Denn für die kommenden Tage werden überdurchschnittlich hohe Temperaturen erwartet.

"Das diesjährige Klima während des Hadsch dürfte in Mekka und Medina um rund 1,5 bis 2 Grad Celsius über dem Normalwert liegen", warnte der Leiter des saudischen Meteorologie-Zentrums, Ayman Ghulam, in der vergangenen Woche. Für Mekka bedeutet dies einen Temperaturanstieg auf rund 44 Grad.

Um die Hitze so weit wie möglich zu mildern, wurden alle zentralen Plätze in Mekka und Medina mit Sprühanlagen und Trinkwasserstationen ausgestattet. Auch der Boden der Großen Moschee in Mekka sowie die umliegenden Zelte werden klimatisiert sein, versprachen die saudischen Behörden.

Wallfahrt unter enormer Hitze: Drei Pilger in Mekka (Archivbild von 2023)Bild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

Lange Aufenthalte unter praller Sonne in Saudi-Arabien

Allerdings findet der Hadsch nicht nur in klimatisierter Umgebung statt. Ungeachtet der Hitze dürften die meisten Pilger bis zu 30 Stunden im Freien verbringen. Der Ablauf sieht auch einen von Sonnenaufgang bis -untergang dauernden Aufenthalt auf der Ebene des Berges Arafat vor. Zudem halten sich die Pilger an anderen Tagen mehrere Stunden lang am Stadtrand von Mekka auf. Bereits jetzt bezeichnen die Behörden auf der offiziellen Informationsplattform zum Hadsch die körperliche Überhitzung als eines der größten Risiken.

Bereits im vergangenen Jahr war die Hitze während des Hadsch auf 48 Grad gestiegen. In der Folge litten rund 8400 Hadsch-Pilger unter hitzebedingtem Stress, wie die Zeitung Saudi Gazette damals schrieb.

Kühlung dank Wassersprinklern: Pilger an der Großen Mosche von MekkaBild: Abdel Ghani Bashir/AFP

Die tatsächliche Zahl der Fälle dürfte vermutlich viel höher gewesen sein, denn nicht alle von Hitzschlag, Erschöpfung, Schwindel oder Dehydrierung betroffenen Pilgerinnen und Pilger wurden in Kliniken gebracht.

Einer kürzlich im Journal of Travel Medicine veröffentlichten Studie zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, an einem Hitzschlag zu sterben, bei Hadsch-Pilgern aus weniger heißen Ländern über viermal höher als bei Menschen, die an derart hohe Temperaturen gewohnt sind.

Klimapolitik mit Defiziten

Laut Wissenschaftlern spiegelt dies den  Klimawandel. So stiegen die Temperaturen laut einer Studie der saudi-arabischen King Abdullah University of Science and Technology in den vergangenen 40 Jahren um 0,4 Grad pro Jahrzehnt.

"Unter dem extremsten Szenario könnten die Temperaturen auf der arabischen Halbinsel bis zum Ende des Jahrhunderts um 5,6 Grad steigen", schreiben die Autoren.

"Manche Projektionen gehen davon aus, dass einige Teile der arabischen Halbinsel zum Ende des Jahrhunderts unbewohnbar werden könnten", so Tobias Zumbrägel, Forscher am Lehrstuhl für Humangeographie der Universität Heidelberg, im DW-Interview.

Kurzfristige Maßnahmen wie klimatisierte Zelte und Luftbefeuchter würden die Pilgerinnen und Pilger zwar schützen, so Zumbrägel. Doch zeige dies nur, wie stark das Land bereits unter den Folgen des Klimawandels leide: "Der Klimawandel in Saudi-Arabien äußert sich durch eine enorm gestiegene Hitze, temporäre Hitzewellen sowie ein breites Spektrum weiterer Folgen". Zudem sei vermehrt mit Sand- und Windstürmen, einem Anstieg des Meeresspiegels und noch weniger Wasser in der ohnehin extrem wasserarmen Region zu rechnen.

Die von Saudi-Arabien forcierte Energietransformation - ein wichtiger Bestandteil der als Vision 2030 bekannten, insbesondere von Kronprinz Mohammed bin Salman vorangetriebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umgestaltung des Landes - sieht eine allmähliche Abkehr vom Öl- und Gasverkauf vor. Stattdessen setzt das Königreich zunehmend auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Allerdings sei die Umgestaltung nicht nur unzureichend, sondern in Teilen sogar widersprüchlich, warnt Zumbrägel.

"Der Klimawandel wird zwar ernst genommen, Anpassungen werden aber nur in bestimmten Bereichen vorgenommen, während andere Aspekte kaum beachtet werden", so Zumbrägel. Als Beispiel dafür nennt der Forscher den künftigen King-Salman-Park in Riad, derzeit beworben als größter Freizeitpark der Welt mit einer üppigen Grünfläche.

Zum Schutz der Bevölkerung und der Pilger besser geeignet wäre seiner Einschätzung nach eine auf internationale Zusammenarbeit und Forschung konzentrierte Politik.

Zudem erscheint die saudische Umweltpolitik wenig kohärent: Einerseits ist Saudi-Arabien fest entschlossen, auf grüne Energie umzusteigen. Andererseits ist das Land nach wie vor einer der weltweit führenden Erdölexporteure.

"Ein weiteres Beispiel für widersprüchliche Ziele der saudischen Klimapolitik ist der Einsatz klimafreundlicher Technologien wie Energie aus Wasserstoff. Diese benötigt aber große Mengen Wasser. Das verstärkt natürlich die ohnehin schon zunehmende Wasserarmut", gibt Zumbrägel zu bedenken.  

Erlösender Schatten: Pilger in der Großen Moschee von MekkaBild: Abdel Ghani Bashir/AFP/Getty Images

Plädoyer für regionale Zusammenarbeit

Andrew Gilmour, Autor des Buches "The Burning Question: Climate and Conflict - Why Does it Matter?" und Geschäftsführer der deutschen Berghof-Stiftung, mahnt deshalb mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit an: Diese sei der Schlüssel zur Abschwächung des Klimawandels in Nahost.

Laut Yale Climate Connections, einer gemeinnützigen Organisation, erwärmen sich die Temperaturen in dieser Region doppelt so schnell wie im Rest der Welt.

"Saudi-Arabien hat das große Glück, über einen riesigen Staatsfonds zu verfügen." Daher sei es - im Gegensatz zu anderen Ländern - immerhin in der Lage, seine Wirtschaft zu diversifizieren", so Andrew Gilmour gegenüber der DW: "Natürlich würde man in einer idealen Welt hoffen, dass reiche Ölproduzenten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar oder Bahrain bereit sind, anderen ölproduzierenden Ländern wie Irak und Libyen zu helfen, die viel ärmer sind und nicht die Mittel haben, in andere Bereiche zu investieren."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Anke Rasper Anke ist koordinierende Redakteurin, Autorin und Moderatorin in der DW Umweltredaktion.
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