Erdbeobachtungssatelliten: Dem Wetter voraus
27. Mai 2022Der März war in Indien der heißeste seit Beginn der Aufzeichnung vor 122 Jahren, auch in Pakistan wurden Rekordtemperaturen gemessen. Trockenheit verschärfte die Lage - in beiden Ländern fiel rund 60 Prozent weniger Regen als üblich. Doch: Der Starkregen kam, mit voller Wucht, Überschwemmungen waren die Folge.
Ortswechsel. Auch in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal kam es kürzlich zu heftigen Regenfällen. Das Unwetter habe "unsägliche Verwüstungen und massive Schäden" angerichtet, teilte die Provinzregierung mit. Mehr als 2000 Häuser und 4000 Hütten seien beschädigt worden, so der Regierungschef der Provinz, Sihle Zikalala. Mehrere Brücken stürzten ein, Autos wurden von den Fluten mitgerissen.
Und Europa? Hier erlebten Spanien und Frankreich gerade historische Hitzewellen. "Das ist nicht normal," sagt auch Simonetta Cheli, Direktorin für Erdbeobachtungsprogramme und Leiterin des ESA-Zentrums für Erdbeobachtung am Living Planet Symposium (LPS).
Gipfeltreffen der Fachleute
Das LPS ist die größte Konferenz zum Thema "Erdbeobachtung", die Europäische Weltraumorganisation (ESA) richtet sie alle drei Jahre in einem anderen Land aus, zuletzt im italienischen Mailand. 2022 wurde das Symposium zusammen mit dem Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erstmals in Deutschland abgehalten, im World Conference Center (WCCB) in Bonn.
Diesmal sind über 4000 Teilnehmende aus Wissenschaft, Technologie, Politik und Wirtschaft mit dabei. Es gibt hunderte Sessions und Panels, in denen sich über Ergebnisse aus Satellitendaten ausgetauscht und über deren Nutzen beraten wird. Neben der Vermessung der Erde, Navigation, Umwelt- und Naturschutz, die Präzision der Landwirtschaft oder Ernährungssicherung, steht auch das Potenzial von Satelliten hinsichtlich Wetter- und vor allem Extremwetter-Prognosen im Fokus.
"Satelliten sind bei der Wettervorhersage im Allgemeinen sehr hilfreich", sagt Cheli. 1977 wurde der erste Wettersatellit in die Umlaufbahn gebracht, "Meteosat 1". "Seitdem hat sich die Wettervorhersage stetig verbessert", so Cheli. Die Vorhersage von Extremwetterereignissen sei jedoch noch mal ein anderes Thema. Hier sollen zukünftige Satelliten noch mehr Infos liefern und die Vorhersage erleichtern.
Häufigkeit von Extremwettern nimmt zu
Ein Blick zurück auf die letzten Jahre macht deutlich, dass extreme Wetterphänomene wie Stürme, Starkniederschläge, Fluten, Hitzewellen und Dürren immer häufiger auftreten. Diese Entwicklung bestätigen auch die letzten Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC: Wetterextreme werden weiter zunehmen.
So zum Beispiel das Hochwasser in West- und Mitteleuropa im Sommer 2021. Zwischen dem 12. und dem 15. Juli 2021 kam es zu extremen Regenfällen. In der Region um die Flüsse Ahr und Erft in Deutschland fielen pro Tag durchschnittlich mehr als 90 Liter Regen pro Quadratmeter - zweifellos ein Extremwetter, denn dies war dort mehr Niederschlag als jemals zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
"Soweit ich weiß, waren die Starkregenfälle vorhersehbar und sie wurden auch vorhergesagt", sagt Philip Evans der DW. Evans ist ebenfalls Teilnehmer des LPS und er ist Generaldirektor von EUMETSAT, kurz für: European Organisation for the Exploitation of Meteorological Satellites, eine europäische Agentur für meteorologische Satelliten (Meteosat- und MetOp-Wettersatelliten), die Wetter und Klima vom Weltraum aus überwachen.
Tatsächlich hatte das Europäische Hochwasserwarnsystem einige Tage vor der Flut eine hohe Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen vorausgesagt. Am 12. Juli 2021 informiert der Deutsche Wetterdienst (DWD) zahlreiche Kontakte in Rheinland-Pfalz, darunter Kreisverwaltungen und Feuerwehren. Am nächsten Tag verstärkt der DWD seine Warnung: "Die nächsten Tage haben es in sich."
Vorhersagen allein sind nicht genug
"Aber es gibt Herausforderungen", fährt Evans fort. "Bei Wettervorhersagen geht es nicht nur darum, Prognosen zu machen. Es geht darum, eine Vorhersage zu machen und sie diejenigen zukommen zu lassen, die sie wirklich brauchen, also den Notfalleinsatzkräften, und diese müssen wiederum entscheiden, was zu tun ist."
Genau das ist es, was nach der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 lange diskutiert wurde: Was ist schiefgelaufen beim Risikomanagement? Der Tenor beim Blick zurück: Ausmaß, Zuständigkeiten und Handlungsanweisungen waren nicht klar genug. Es braucht "eine konzertierte Aktion in der Risikokommunikation", heißt es in einem Expertenpanel, das das Science Media Center im Nachgang einberufen hatte.
Wettervorhersage: Ein 'chaotisches' System
Die tägliche Wettervorhersage ist für uns mittlerweile eine Art Selbstverständlichkeit, die uns emotional beschäftigt. Wird das Wetter schlechter als vorhergesagt oder anders als wir es uns wünschen, sinkt die Stimmung. Dabei haben nur die Wenigsten eine Vorstellung davon, welcher Aufwand hinter der richtigen - wenn auch schlechten - Prognose steckt.
"Die Wettervorhersage ist eine riesige unterschätzte wissenschaftliche Leistung", sagt Phil Evans. Er bezeichnet es als ein "chaotisches System", da die kleinste Veränderung im System eine große Auswirkung auf das haben kann, was in den nächsten drei, vier oder fünf Tagen passiert. So fließen etwa Parameter wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Meeresoberflächentemperatur und Wind in die Berechnungen ein. Neben Satelliten stammen die Daten von Wetterballons, Flugzeugen und Schiffen, Messbojen, Wetterradarstationen, Wetterwarten und automatischen Bodenstationen.
Doch Satelliten füllen hier eine besondere Lücke: Sie liefern Daten von besonders schwer zugänglichen Gebieten wie Wüsten, Urwäldern oder Ozeanoberflächen. Dies ermöglicht eine fast lückenlose Überwachung. Seit 1977 verfügt Europa über eigene geostationäre Wettersatelliten namens Meteosat. Sie haben die Erde aus rund 36.000 Kilometern Höhe im Blick.
"Doch bei der Wetterprognose ist es eine besondere Herausforderung zu verstehen, was die Erdatmosphäre gerade in diesem Moment tut", so Evans. Das bedeutet: Rund um den Globus, in all ihren Atmosphärenschichten. Diese Momentaufnahme der Atmosphäre dient dann als Grundlage für Wettervorhersagen. "Deshalb spielt die Erdbeobachtung eine so wichtige Rolle", sagt Evans.
Ab wann ist auf die Vorhersage Verlass?
Doch wie verlässlich ist sie denn nun, unsere Wettervorhersage fürs Wochenende oder die kommende Woche? "Die gängigen Wettermodelle rechnen bis zu 14 Tage voraus, das ist das Maximum", so Evans. "Realistischer sind zehn Tage." Mit jedem weiteren Tag steigt dann die Genauigkeit.
Es heißt, dass die Prognose für die kommende Woche heute in etwa so zuverlässig ist, wie sie es vor 30 Jahren für den nächsten Tag war. Die 24-Stunden-Vorhersage erreicht eine Treffergenauigkeit von gut 90 Prozent, bei der 3-Tages-Prognose beträgt die Treffsicherheit etwas mehr als 75 Prozent.
Wenn es zu Extremwetterereignissen kommt, hängt die Vorhersage von der Art des Wetterereignisses ab.
"Ein Extremwetterereignis, das zum Beispiel durch einen tropischen Hurrikan verursacht wird, wie wir es oft in den USA sehen, ist ein sehr, sehr großes Ereignis", erklärt Evans. "Der Verlauf eines Hurrikans lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Tage im Voraus vorhersagen."
Bei flächenmäßig kleineren Extremwetterereignissen jedoch, wie Tornados in den USA oder heftige Gewitter in Europa, ist die Vorhersage eigentlich unmöglich. "Diese lassen sich oft nur sechs bis zwölf Stunden im Voraus vorhersagen", so Evans. Dabei komme dann oft das sogenannte Nowcasting ("Ist-Vorhersage") zum Einsatz, wobei Satellitendaten eine wichtige Rolle spielen.
Eine neue Satellitengeneration
Es steht allerdings schon eine neue Satellitengeneration in den Startlöchern, die Daten zu den lokaleren Extremwetterereignissen sammeln kann. Ab November 2022 starten die drei Meteosat-Satelliten der dritten Generation (MTG 3rd Generation).
Mit den neuen MTGs sollen Veränderungen in der Atmosphäre, an Landoberflächen und Ozeanen noch genauer verfolgt werden. Erstmals soll es möglich sein, den gesamten Lebenszyklus eines Sturms verfolgen zu können. Dies ist auch der Schwerpunkt der MTG-Mission: die Vorhersage schwerer Stürme verbessern.
"Damit werden wir die Entwicklung und den Verlauf dieser Wetterereignisse viel besser verfolgen zu können", sagt Evans. Dies werde einen großen Effekt auf die Möglichkeiten haben, mit Extremwetterereignissen umzugehen. Philip Evans ist sichtlich begeistert: "Das klingt vielleicht wie eine Übertreibung, aber der MTG 3rd Generation-Satellit wird helfen, Menschenleben zu retten."