1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Musik

"Whitewashing" beim Film und in der Opernwelt

Rick Fulker
29. Oktober 2020

"Whitewashing" - wenn nicht-weiße Charaktere mit Weißen besetzt werden - ist in der Filmbranche ein großes Thema. In der Oper ist man da schon etwas weiter. Doch insgesamt ist der Weg bis zur Gleichbehandlung noch weit.

Ein Shooting-Star: die Sopranistin Pretty Yende
Bild: picture alliance/dpa/V.Vyatkin

Wenn in Hollywood beispielsweise asiatische Rollen durch weiße Schauspieler besetzt werden, gilt das als "Whitewashing". Normalerweise bedeutet das Wort "Schönfärberei". In Verbindung mit einer als falsch empfundenen Rollenbesetzung steht der Begriff jedoch für kulturelle Aneignung - und wird scharf kritisiert.

Im Science-Fiction-Film "Ghost in the Shell" übernahm die US-amerikanisch-dänische Schauspielerin Scarlett Johansson die Rolle eines japanischen Cyborgs - und wurde dementsprechend geschminkt. Constance Wu, US-amerikanische Schauspielerin taiwanesischer Abstammung, protestierte: Das sei "modernes Blackfacing".

Geschminkt als japanischer Cyborg: Scarlett Johansson im Film "Ghost in the Shell"Bild: Jasin Boland/Paramount Pictures and DreamWorks Pictures/picture alliance

Bei einer geplanten Filmbiographie des chinesischen Star-Pianisten Lang Lang soll der Hollywood-Veteran Ron Howard Regie führen. Lulu Wang, eine US-amerikanische Filmmacherin chinesischer Abstammung, kritisierte die Entscheidung und stellte infrage, ob der Amerikaner Howard die nötigen "intimen Kenntnisse" von chinesischer Geschichte und Kultur habe, um das Porträt des weltberühmten Pianisten zu realisieren.

Moderner Kampfbegriff: "Whitewashing"

Dem weißen Schauspieler Ed Skrein wurde die Rolle eines japanisch-amerikanischen Majors im Film "Hellboy" im Jahr 2017 angeboten. Nach "Whitewashing"-Vorwürfen zog er sich zurück, damit die Rolle "angemessen" besetzt werden könne. Daniel Dae Kim, ein US-Amerikaner koreanischer Abstammung, bekam schließlich die Rolle.

Der heterosexuelle, malaysisch-britische Schauspieler Henry Golding bekam die neue Sensibilität gleich zweimal zu spüren. Als ihm die Rolle eines schwulen asiatischen Einwanderers im Film "Monsoon" angeboten wurde, zögerte er zunächst: Sie hätte einem schwulen Schauspieler vorbehalten sein müssen, meinten einige. Dann wurde Golding, ein Mann gemischter ethnischer Abstammung, kritisiert, als er eine Rolle im Streifen "Crazy Rich Asians" übernahm: Sie hätte von einem reinen Asiaten verkörpert werden müssen, hieß es. In einem Interview verteidigte er sich: "Ich weiß, dass ich ein Asiate bin. Ich muss da nichts beweisen." 

"Whitewashing" hat eine lange Tradition

"Whitewashing" ist mittlerweile zu einem Kampfbegriff geworden. Dabei ist die Praxis so alt wie die Filmbranche selbst. Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts war es für weiße Schauspieler gang und gäbe, sich zu schminken, um andere Ethnien darzustellen. Ein Beispiel aus Deutschland sind die populären Winnetou-Filme der 1960er Jahre. Den Indianerhäuptling spielte ein weißer Europäer: der Franzose Pierre Brice.

Selbst der renommierte britische Schauspieler Laurence Olivier ließ sich schwarz schminken, als er 1965 die Figur Othello im gleichnamigen Film verkörperte.

Neben dem Blackfacing gab es bis in die 60er Jahre auch das "Yellowfacing", etwa als Mickey Rooney den japanischen Vermieter im Film "Frühstück bei Tiffany" (1961) darstellte.

"Yellowfacing" 1961: Mickey Rooney spielte im Film "Frühstück bei Tiffany" einen JapanerBild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

"Natürlich ist an der rassenblinden Besetzungspraxis nichts Verwerfliches, solange es in beide Richtungen geht", sagt John Tehranian, Jurist und Professor an der Southwestern Law School in Los Angeles. "Aber in der Wirklichkeit hat das nie so funktioniert. Nur selten sieht man zum Beispiel einen afroamerikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Schauspieler in der Rolle eines Weißen."

Die Oper hat ihre eigene Regeln

Bei einem Werk ist die Besetzung schwarzer Rollen durch weiße Schauspieler eigentlich unmöglich. Für "Porgy und Bess" legten der Komponist George Gershwin und sein Textdichter Ira Gershwin testamentarisch fest, dass jede künftige Aufführung dieser ersten "schwarzen Oper" nur durch schwarze Sängerinnen und Sänger erfolgen dürfe. Das macht die Aufführung in einigen Ländern so gut wie unmöglich; die Staatsoper Ungarn etwa umging die Vorgabe, in dem sie von ihren weißen, ungarischen Solisten eine Erklärung unterschreiben ließ, derzufolge sie sich mit schwarzen Amerikanern identifizierten. Die Nachlassverwalter der Gershwins protestierten.

"Porgy und Bess" in Ungarn: Die Sängerinnen und Sänger mussten sich mit schwarzen US-Amerikanern "identifizieren"Bild: Hungarian State Opera/Péter Rákossy

Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts schafften es afroamerikanische Sänger auf die Opernbühnen der Welt - und übernahmen dabei nicht nur "schwarze" Rollen. Die Diva Leontyne Price war dabei eine der ersten, als sie 1960 die Rolle der Aida in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper sang, und zwar an einem der renommiertesten Häuser der Welt: in der Mailänder Scala. Die legendäre Sopranistin profilierte sich in der Rolle bis in die 1970er Jahre hinein.

1961 verkörperte Grace Bumbry die Venus in Richard Wagners Oper "Tannhäuser" bei den Bayreuther Festspielen. Wagnerianer älterer Generationen waren entsetzt, Bumbrys Ausstrahlung und gesangliche Leistung wurde dagegen von der Kritik gepriesen.

Sie ging in die Geschichte der Wagner-Festspiele als "schwarze Venus" ein: Grace BumbryBild: picture-alliance/dpa

Moderne Shooting-Stars wie die Südafrikanerinnen Pretty Yende und Golda Schultz, die US-amerikanische Mezzosopranistin J'Nai Bridges oder der US-amerikanische Tenor Lawrence Brownlee sind auf den Bühnen der Welt präsent: Gefragt wird nach der Stimme, nicht nach ethnischer Zugehörigkeit.

Bei der Oper nehmen sich Regisseure allerdings oft Freiheiten bei der Interpretation der - meist alten - Opernhandlungen, setzen sie dabei in moderne oder andere kulturelle Kontexte. Dadurch entfällt mitunter der Zwang, bestimmte Rollen mit schwarzen oder weißen Sängerinnen und Sängern zu besetzen.

Rassismus hinter den Kulissen

Der in Jamaika geborene britische Sänger Willard White wurde 2004 geadelt. Neben Grace Bumbry sang er in Scott Joplins "schwarzer" Oper "Treemonisha", übernahm jedoch auch weitere Rollen wie Mephistopheles in Hector Berlioz' "La Damnation de Faust" oder Wotan in Wagners Opern "Das Rheingold" und "Die Walküre".

Schwerer hatte es die afroamerikanische Altistin Marian Anderson. 1939 dufte sie in der Washingtoner Constitution Hall nicht singen - aufgrund ihrer Hautfarbe. Die erzürnte First Lady Eleanore Roosevelt protestierte lautstark. Daraufhin durfte Anderson am Lincoln Memorial auftreten - und schaffte es endlich mit 58 Jahren an die ehrwürdige Metropolitan Opera in New York.

Als schwarze Frau war Marian Anderson zunächst nicht im Weißen Haus willkommen - hier steht sie 1962 neben dem US-Präsidenten John F. KennedyBild: picture alliance/Everett Collection

Bei keiner Aufstellung schwarzer Gesangskünstler - oder Gesangskünstler überhaupt - darf ein Name fehlen: Jessye Norman. Viele Institutionen rühmen sich mit der Entdeckung dieser Jahrhundertstimme - darunter der ARD-Musikwettbewerb in München 1968, bei dem die US-Amerikanerin den ersten Preis gewann. Die "Diva assoluta" wurde wegen ihrer dunkel gefärbten Sopranstimme vergöttert, ihre Opern- und Konzertauftritte waren spektakulär.

Jenseits der Bühne erlebte Norman durchaus anderes. In ihrer Autobiographie aus dem Jahr 2014 "Stand Up Straight and Sing!" schrieb sie auch von Diskriminierung, der sie oft ausgesetzt war. Mal die saloppe Bemerkung eines Dirigenten, mal eine dumme Frage eines unsensiblen Kritikers, mal Sicherheitspersonal, das ihr untersagte, sich im Hotel-Swimmingpool zu entspannen: Norman führte darüber Tagebuch, gab jedoch wieder auf, als das Buch zu dick wurde.

"Die Gesellschaft wird begreifen, dass Rassismus hirnlos ist"

Der erfolgreiche Bassist Morris Robinson, Jahrgang 1969, ist zwar mit der derzeitigen Besetzungspraxis zufrieden, weist aber auf die anhaltende Schieflage in der Opernwelt hin, die strukturell bedingt ist: "Nach 20 Jahren wurde ich nie von einem Schwarzen engagiert, habe nie mit einem schwarzen Dirigenten zusammengearbeitet, nie einen schwarzen Vorstandsvorsitzenden eines Opernhauses erlebt", sagt Robinson. "Es gab nicht einmal einen schwarzen Bühnenmanager. Keinen einzigen - nach 20 Jahren." 

Die Frau mit der Jahrhundertstimme: Jessye NormanBild: picture-alliance/AP Photo/J. Decrow

Bis die Hautfarbe nicht nur in der Besetzungspraxis, sondern in der gesamten Kulturbranche keine Rolle mehr spielt, scheint es noch ein weiter Weg zu sein. Dennoch gibt es auch Stimmen, die eine andere Sprache sprechen, wie etwa die 2019 verstorbene, nach eigener Beschreibung ewige Optimistin, Jessye Norman: "Die Gesellschaft wird eines Tages endlich begreifen, dass der Rassismus hirnlos ist, dass ihm das Licht fehlt, das in uns allen brennt."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen