Widerstand gab es immer
12. September 2012Als Doris Liebermann geboren wird, ist die Deutsche Demokratische Republik (DDR) vier Jahre alt und steht kurz vor dem Kollaps. Höhepunkt der Krise ist der 17. Juni 1953, als sich die Proteste gegen das kommunistische Regime zu einem Volksaufstand ausweiten. Das Regime kann ihn nur mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht niederschlagen. Fortan gelten kritische und freiheitsliebende Menschen den Machthabern mehr denn je als "feindliche Elemente". Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), kurz Stasi genannt, platziert überall seine Spitzel.
Im November 1976 macht die inzwischen 23-jährige Theologiestudentin Liebermann persönlich Bekanntschaft mit der Stasi. Stundenlang wird sie verhört, weil ihr Name unter einer Petition gegen die Ausbürgerung des kommunistischen Liedermachers Wolf Biermann steht. Der Protest richtet sich an die DDR-Führung, aber die reagiert verständnis- und rücksichtslos auf das mutige Engagement der jungen Frau und 55 weiterer Unterzeichner aus der Universitätsstadt Jena in Thüringen.
Einprägsame Schicksale
Kurz vor Weihnachten 1977 folgt Doris Liebermann ihrem Freund, der direkt aus der Stasi-Haft nach West-Berlin abgeschoben wird (siehe Audio links). So oder ähnlich entledigt sich die DDR bis zur friedlichen Revolution 1989 ihrer kritischen Geister; doch es tauchen stets neue auf. Gerade auch junge Menschen leisten beständig Widerstand gegen die ostdeutsche Diktatur. Diese beeindruckende Kontinuität ist Thema der Ausstellung "Jugendopposition in der DDR", die bis zum 28. September im Bundesfamilienministerium in Berlin zu sehen ist. Auf schlichten Stellwänden werden 18 Einzelschicksale erzählt, in kurzen, prägnanten Texten, ergänzt mit überwiegend schwarz-weißen Fotos.Familienministerin Kristina Schröder, mit 35 Jahren das Nesthäkchen im Bundeskabinett und im westdeutschen Wiesbaden aufgewachsen, erzählt bei der Ausstellungseröffnung den geladenen Gästen, wie sie den Fall der Berliner Mauer erlebt hat: zusammen mit der Familie "gebannt vor dem Fernseher".
Familienministerin Schröders historische VideosObwohl sie erst zwölf Jahre alt war, habe sie "kapiert, dass das was Besonderes ist, was da passiert", erinnert sich die Ministerin. Sie habe dann begonnen, die Ereignisse des 9. November 1989 und der Tage danach auf Videokassetten aufzuzeichnen. "Und die habe ich immer noch zu Hause", freut sich die Politikerin. Das seien "bewegende Momente" gewesen, bei deren Anblick man noch heute das "Bahnbrechende, die Welt Verändernde" spüre. Die Ausstellung sei auch ein Zeichen der Dankbarkeit gegenüber denjenigen, "die im Kampf für die Freiheit ihre eigene Zukunft und vielleicht sogar ihr eigenes Leben riskiert haben", sagte Schröder.
Konzipiert wurde die Ausstellung unter Federführung von Tom Sello und Stefanie Wahl von der in Berlin ansässigen Robert-Havemann-Gesellschaft. Sie ist nach dem 1982 gestorbenen Naturwissenschaftler benannt, der zu den führenden DDR-Oppositionellen gehörte. Havemann wurde bereits in den 1960er Jahren mit Berufsverbot belegt und stand bis zu seinem Tod unter Hausarrest. Sein letzter Wohnort war Grünheide in Brandenburg - die Schüler des dortigen Philipp-Melanchthon-Gymnasiums wissen das natürlich. Sie kamen zur Ausstellungseröffnung nach Berlin und hatten Gelegenheit, sich mit Zeitzeugen zu unterhalten.
Lebendiger Geschichtsunterricht
Die Teenager Kim Heimberg und Stuart Meya sind froh, im Schulunterricht einiges über die DDR im Allgemeinen und die Opposition im Besonderen zu erfahren (siehe Audio links). Viele ihrer Altersgenossen wissen wenig bis gar nichts über dieses Kapitel der jüngeren deutschen Vergangenheit. Das will die Ausstellung ändern helfen. Die Texttafeln sind in einer Auflage von 1500 Exemplaren hergestellt worden und können für einen geringen Betrag bei der Robert-Havemann-Gesellschaft bestellt werden.Zielgruppe sind neben Schulen öffentliche Orte wie Rathäuser, Bibliotheken und Heimatmuseen. Dabei hofft die Robert-Havemann-Gesellschaft, unterstützt von der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, vor allem auf rege Nachfrage aus ländlichen Regionen. Dort gebe es im Unterschied zu größeren Städten meistens kaum Möglichkeiten, sich an authentischen Orten oder in Gedenkstätten kritisch mit der DDR auseinanderzusetzen, bedauern die Initiatoren der Ausstellung. Umso mehr freuen sie sich darüber, dass sogar schon eine deutsche Schule aus Südafrika Interesse an den Tafeln signalisiert hat.