Das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 ging im Mai ans Netz und für den Braunkohletagebau noch fünf Dörfer weichen – trotz beschlossenem Kohleausstieg in Deutschland. Die DW mit einem Überblick.
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Wogegen wird protestiert?
Protestiert wird derzeit zum einen gegen das fertiggestellte Steinkohlekraftwerk "Datteln 4", das in Ende Mai in Nordrhein-Westfalen (NRW) in Betrieb genommen wurde. "Wer im Jahr 2020 ein weiteres Kohlekraftwerk ans Netz bringt, handelt verantwortungslos und ignoriert die Klimawissenschaft", sagte Lisa Göldner, Klima- und Energie-Expertin der Umweltorganisation Greenpeace. "Mit Datteln 4 steigt der Ausstoß an Treibhausgasen", so Göldner. "Statt eines weiteren Kohlekraftwerkes brauchen wir einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien."
Zunehmender Widerstand formiert sich auch gegen RWE. Der größte Kohlekonzern und CO2-Emittent in Europa plantBraunkohle in seinen Tagebauen noch 945 Millionen Tonnen Braunkohle bis 2038 zu fördern - dafür sollen noch fünf Dörfer weichen.
Durch diese Kohleförderung und Verstromung werden noch rund 945 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre freigesetzt.
Diese Pläne seien nicht mit den Klimazielen von Paris vereinbar, den Anstieg der Erderwärmung auf rund 1.75 Grad zu begrenzen, lautet das Fazit eines aktuellen Gutachtens vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag von Greenpeace. Die Menge von Braunkohle für die Verstromung in den Kraftwerken dürfe nicht mal halb so groß sein und bei maximal 350 Millionen Tonnen (= 350 Millionen Tonnen CO2) liegen. Die Gesamtmenge, die Deutschland zur Einhaltung des Pariser Klimaziels noch ausstoßen dürfte liegt laut Sachverständigenrat der Bundesregierung bei maximal 6700 Millionen Tonnen CO2.
Wie reagieren RWE und die Politik?
RWE zeigt sich gegenüber den Protesten unbeirrt und hält an den Plänen fest. Unterstützt wird RWE vom NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Bei den Verhandlungen mit der Bundesregierung zum Kohleausstieg im Januar spielte NRW eine entscheidende Rolle, dass der Tagebau Garzweiler als energiewirtschaftlich notwendig eingestuft wurde.
Laut Gesetzentwurf soll RWE vertraglich zugesichert werden, dass weiterhin große Mengen Braunkohle gefördert werden darf und dies auch unter den fünf Dörfern.
Bei der Einstufung stützt sich NRW jedoch auf alte Zahlen und Studien, die zwischen 2012 und 2015 erstellt worden sind. Nachfragen der DW an die Staatskanzlei und an das Wirtschaftsministerium von NRW zur Klärung des Sachverhaltes wurden nicht beantwortet.
Die DIW-Studie kommt hingegen zu dem Schluss, dass die geplante Ausweitung des großen Tagebau Garzweiler energiewirtschaftlich nicht notwendig sei. Die Versorgung von NRW, Deutschland und Europa könne ohne Probleme mit Strom und Wärme aus erneuerbaren Energiequellen gewährleistet werden. Auch ließe sich die geplante Zerstörung von fünf Dörfern vermeiden.
Wie läuft der Kohleausstieg in anderen Ländern?
Vorreiter beim Kohleausstieg in Europa sind Schweden und Österreich. Sie nahmen ihre letzten Kohlekraftwerke laut Beyond Coal im April vom Netz. Frankreich will 2022 folgen, die Slowakei und Portugal 2023, Großbritannien 2024, Irland und Italien 2025. Bis 2030 wollen dann Griechenland, Finnland, die Niederlande, Ungarn und Dänemark folgen.
Deutschland ist in Westeuropa beim Kohleausstieg Schlusslicht. In den Nachfolgestaaten von Jugoslawien sowie in Rumänien, Bulgarien und Polen gibt es noch keine Diskussion über den Kohleausstieg.
Deutschlands Klimabewegung
In Deutschland gibt es inzwischen eine große Klimabewegung. Vor allem junge Menschen wehren sich gegen Umweltzerstörung und untätige Politik. Sie fordern umfassende Maßnahmen zur Einhaltung des Pariser 1,5-Grad-Ziels.
Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/P. Graf
Schulstreik für die Zukunft
Wozu noch Lernen wenn ihr unsere Zukunft zerstört? Das sagen immer mehr Schüler in Deutschland und demonstrieren jeden Freitag für den Klimaschutz. Inspiriert wurde die Bewegung von der schwedischen Schülerin Greta Thunberg. Weltweit gehen derzeit vor allem Schüler auf die Straße.
Bild: DW/G. Rueter
Fürs Zögern bleibt keine Zeit
Mit dem internationalen Klimaschutzabkommen von Paris verpflichten sich die Staaten zur Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad. So soll die Zahl und Zerstörungskraft von Klimakatastrophen eingedämmt werden. Immer mehr Menschen fordern jetzt entschlossenes Handeln. Der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas müsse schnell gelingen.
Bild: DW/G. Rueter
Jugend macht Druck
Klimawissenschaftler warnen schon sehr lange. Doch Politiker zögerten bisher beim Klimaschutz. Deutschland wird seine Klimaziele für 2020 deutlich verfehlen. Bei der Europawahl im Mai 2019 war Klimaschutz im Wahlkampf ein wichtiges Thema. Die Grünen bekamen über 20 Prozent der Stimmen, mehr als doppelt so viel wie bisher. Unter den 18-24 jährigen stimmten sogar 34 Prozent für die Umwelt-Partei.
Bild: DW/G. Rueter
Widerstand im Wald gegen Kohle
Die deutsche Klimabewegung ist inzwischen breit aufgestellt. Grosse Aufmerksamkeit bekamen in den letzten Jahren immer wieder junge Aktivisten im Hambacher Wald. Sie bauten dort Baumhäuser, um zu verhindern, dass der alten Wald für den Braunkohle-Abbau gerodet wird. Der Energiekonzern RWE geht juristisch gegen die Besetzer vor, die Polizei hat das Lager der Aktivisten bereits mehrfach geräumt.
Bild: DW/G. Rueter
Ende Gelände
Proteste von Gruppen wie "Ende Gelände" sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Tausende junge Aktivisten demonstrieren an Aktionstagen, blockieren etwa die Gleise der Kohlebahn zu den Kraftwerken bei Köln, oder versuchen die riesigen Kohlebagger zu besetzen, wie hier im ostdeutschen Tagebau Welzow, 2016.
Bild: picture-alliance/Zumapress/J. Grosse
50.000 feiern Etappensieg
Wenige Tage nach einer Räumung des Aktivistenlagers im September 2018 setzte das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodung des Hambacher Walds aus. Die Umweltorganisation BUND hatte aus Naturschutzgründen geklagt. RWE argumentiert, dass die Rodung des Waldes am Rande des Braunkohlereivers für Deutschlands Stromversorgung notwendig ist. 50.000 Umweltschützer feierten am Waldrand den Etappensieg.
Bild: picture-alliance/dpa/T.Hase
Kohleausstieg bis spätestens 2038
Januar 2019: Mit großer Spannung wurde der Bericht der Kohlekommission erwartet: Sieben Monate hatten Experten im Auftrag der Bundesregierung um Deutschlands Kohleausstieg gerungen. Das Ergebnis: Bis spätestens 2038 soll der Kohleabbau in Deutschland enden. Zur Einhaltung des Pariser Klimaziels von deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad reicht der Ausstiegspfad nicht.
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen
Kein Vertrauen in Deutschlands Klimapolitik
Eine wachsende Zahl junger Menschen in Deutschland fordert die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Die jungen Fridays for Future Aktivisten bekommen auch Unterstützung von älteren Umweltschützern, Lehrern, Eltern und der Wissenschaft. Sie fordern bis 2030 alle deutschen Kohlekraftwerke abzuschalten und erneuerbare Energien schneller auszubauen.