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Wie Afrodeutsche sich gegen das Nazi-Regime behaupteten

7. Mai 2025

Durch Zwangssterilisation und Verweigerung der Staatsbürgerschaft verdrängten die Nazis in Deutschland lebende Schwarze aus der Gesellschaft. Aktivisten und Historiker bemühen sich um die Anerkennung dieses Unrechts.

Eine Frau zeigt auf einen Artikel über Afrodeutsche während des Nazi-Regimes in Deutschland
In Berlin gibt es Stadtführungen, die die koloniale Perspektive beleuchtenBild: deSta/ Dekoloniale Stadtführung

"Ich glaube, die Leute haben nicht verstanden, dass das nationalsozialstische Regime in Deutschland nur zwölf Jahre dauerte. Was zwölf Jahre in einer Gesellschaft anrichten können, muss nicht 50 Jahre oder 100 Jahre dauern", sagt die in Berlin lebende deutsche Historikerin Katharina Oguntoye.

Die Verbrechen, die Unterwerfung, der Rassismus, die Versklavung und der Völkermord, die an Juden, Sinti und RomaLGBTQ+ und anderen Gemeinschaften begangen wurden, sind gut dokumentiert worden - doch für die Schwarze Gemeinschaft in Deutschland war es nicht leicht, die Anerkennung für die Verbrechen und Misshandlungen zu bekommen, die sie erleiden musste. 

Der Historiker Robbie Aitken von der Sheffield Hallam University in Großbritannien beschäftigt sich seit 20 Jahren mit den Schwarzen Gemeinschaften in Deutschland. Er stellt fest, dass die deutsche Gesellschaft nur zögerlich anerkennt und akzeptiert, dass Schwarze bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Teil Deutschlands sind. "Wir sprechen über Menschen, die Grenzen überschritten haben, die viel unterwegs waren, und wir sprechen über eine Zeit, in der die Nazis Dokumente vernichtet haben, so dass es schwierig war, Informationen herauszubekommen", so Aitken gegenüber der DW. "Ich glaube, das wird von vielen Historikern verschlafen. Und es gibt einen Mangel an allgemeinem öffentlichen und akademischen Wissen über diese Zeit." 

Rassismus in Deutschland

12:36

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In den 1880er-Jahren kam das Deutsche Reich in Afrika in Kontakt mit Afrikanern, ihrer Arbeitskraft und den Ressourcen ihrer Territorien: Zu den Kolonien gehörten Gebiete in den heutigen Staaten Namibia, Kamerun, Togo, Tansania, Burundi, Ruanda und Mosambik. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 gingen die Kolonien an die Siegermächte. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, doch man geht davon aus, dass zuvor mehrere tausend Menschen afrikanischer Abstammung nach Deutschland kamen - aus verschiedenen Regionen Afrikas, der Karibik, Südamerikas und den Vereinigten Staaten.

Nazi-Misshandlungen werden zum Alltag

Die Schwarze Minderheit in Deutschland war bereits durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 an den Rand gedrängt worden. Der rassistische Charakter der Nazi-Herrschaft, die 1933 einsetzte, verschlimmerte diese Situation dann noch: "Als die Nazis an die Macht kamen, konnte jeder, der ein Rassist sein wollte und mit ihren Ansichten übereinstimmte, mit Begeisterung diese Dinge auf der Straße sagen und Menschen körperlich und verbal misshandeln", blickt Robbie Aitken zurück. "Sie hatten freie Hand." Schwarzen Einwohnern wurde so massiv erschwert, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen - insbesondere, wenn sie weiße Frauen und Kinder hatten.

Mit Hilfe von Rassegesetzen schränkten die Nazis die wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten der mehreren tausend Schwarzen in Deutschland ein - sie wurden als "rassisch minderwertig" angesehen. "Auf lokaler Ebene wurde eine Reihe von Familien aus ihren Wohnungen vertrieben, um Platz für Nazi-Anhänger oder Parteimitglieder zu schaffen", erklärt Aitken. "Explizit wurden Schwarze Deutsche, die Geschäfte hatten, ins Visier genommen." Ein Beispiel dafür ist Mandenga Diek, ein erfolgreicher kamerunischer Händler in Deutschland - als die Nazis 1933 an die Macht kamen, nahmen sie ihm sein Geschäft und der ganzen Familie die deutsche Staatsbürgerschaft.

Mandenga Diek (neben seiner Frau Emilie und den Töchtern Erika und Dorothea) verlor alles, als die Nazis an die Macht kamenBild: Privatbesitz Reiprich

Von Zwangssterilisationen bis zu Propagandafilmen

Schwarze Menschen wurden schikaniert, inhaftiert, sterilisiert oder es wurden Experimente an ihnen durchgeführt. Adolf Hitler, der Nazi-Deutschland als Diktator von 1933 bis 1945 regierte, hatte es unter anderem auf gemischtrassige Kinder im Rheinland abgesehen. Er ließ sie von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aufspüren und auf geheimen Befehl hin sterilisieren. Für Aitken beweisen solche Aktionen die "völkermörderische Absicht" der Nationalsozialisten. "Das bedeutet nicht, dass alle Schwarzen sterilisiert wurden - aber wenn man es auf hoher politischer Ebene betrachtet und wenn man sich die Arbeitsweise der örtlichen Polizeikräfte ansieht, dann haben sie diese Absicht verstanden", sagt er.

Die Einführung der Nürnberger Gesetze 1935 war einer der Eckpfeiler der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Sie basierten auf Vorbildern, die während der deutschen Kolonialzeit in Afrika entwickelt wurden, um Weiße von Schwarzen zu trennen, und verboten neben anderen Beschränkungen auch Ehen und sexuelle Beziehungen zwischen deutschen Juden und sogenannten "Ariern". Der Begriff "Arier" wurde verwendet, um eine vermeintlich überlegene "weiße" Ethnie zu beschreiben, im Gegensatz zu Juden und anderen Gruppen, die als "minderwertig" galten. Der damalige Innenminister Wilhelm Frick dehnte diese Definition auch auf Personen aus, die als Schwarze galten.

Die "Deutsche Afrika-Schau", die von dem in Togo lebenden Deutschen Kassi Bruce ins Leben gerufen wurde, bot Schwarzen die Möglichkeit, finanziell zu überleben. Das NS-Regime schränkte jedoch ein, wer an den Wanderausstellungen teilnehmen durfte. Koloniale Propagandafilme, in denen Schwarze stereotyp in die Rolle von Dienern gesteckt wurden, dienten dem Regime zum Befeuern einer Hoffnung, die verlorenen Kolonialgebiete wiederzuerlangen.

Katharina Oguntonya hat mehrere Bücher geschrieben, die sich mit den Erfahrungen von Afrodeutschen auseinandersetzenBild: Privat

Mit Literatur afrodeutsche Geschichte erzählen

Anhand ausgewählter Lebensgeschichten konnte Katharina Oguntoye die Erfahrungen Schwarzer Deutscher während der NS-Zeit nachzeichnen. Der von der verstorbenen Dichterin May Ayim verfasste Sammelband "Farbe bekennen", der später unter dem Titel "Showing Our Colors. Afro-German Women Speak Out" auch auf Englisch veröffentlicht wurde, markierte einen Schlüsselmoment für die afrodeutsche Gemeinschaft: Um den Rassismus in Deutschland zu untersuchen, kombiniert das Buch historische Analysen mit Interviews, persönlichen Zeugnissen und Gedichten.

Bei ihren Recherchen stieß die Historikerin auch auf die politische Sängerin Fasia Jansen, den Schauspieler Theodor Wonja Michael und den Journalisten Hans Massaquoi. Ihre Geschichten handeln vom Widerstand und vom Mut, während des Naziregimes zu existieren. Oguntoye wurde 14 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als Tochter einer weißen deutschen Mutter und eines schwarzen nigerianischen Vaters geboren - ihre Identität schuf sozusagen die Plattform, um diese Geschichten zu erzählen. "Es gibt nur sehr wenige Menschen, die diese Forschung betreiben - es gibt noch zwei oder drei weitere Wissenschaftler, die über Schwarze in der Nazizeit forschen", sagte sie der DW.

Wie schwarze Menschen ihre deutsche Heimat erleben

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Oguntoye ist der Meinung, dass die Präsenz und der Beitrag der Schwarzen Gemeinschaft in Deutschland unterschätzt wird. Anton Wilhelm Amo, der als erster afrikanischstämmiger Wissenschaftler an einer europäischen Universität promoviert wurde, sei zum Beispiel vielen Menschen überhaupt erst bekannt geworden, als 2021 eine Berliner Straße nach ihm benannt wurde.

Mehr afrodeutsche Geschichte in den Lehrplänen

Oguntoye ist der Meinung, dass die afrodeutsche Geschichte mehr Beachtung in den Lehrplänen deutscher Schulen finden sollte. "Es ist gut, sie durch Biografien, durch Lebensgeschichten zu vermitteln - denn das ist der einfachste Weg, sich an Menschen zu erinnern", erklärt sie. Weitere Möglichkeiten, Afrodeutsche in Deutschland sichtbar einzubeziehen, seien zudem etwa Gedenktafeln.

Um den Geschichten Schwarzer Menschen ein Zuhause zu geben und die Forschung über Identität, Ethnie und Kultur zu fördern, wurde in der westdeutschen Millionenstadt Köln 2022 die Theodor Wonja Michael Bibliothek eröffnet. Benannt ist sie nach einem Afrodeutschen, der die NS-Zeit überlebte. Ihre Gründung wurde unter anderem durch die Veröffentlichung von Theodor Wonja Michaels Buch "Mein Vater war ein Deutscher" inspiriert, einem offenen Bericht über sein Leben als Schwarzer Mann im Deutschland des 20. Jahrhunderts. 

Die Opferrolle hinter sich lassen

Doch der Kampf um Anerkennung und Akzeptanz ist noch lange nicht vorbei - und eine neue Generation muss sich mit einer deutschen Gesellschaft auseinandersetzen, die sich politisch nach rechts bewegt. Es sei sehr wichtig herauszufinden, wo man Einfluss nehmen kann, um strukturelle Veränderungen voranzutreiben, betont Sophie Osen Akhibi, Mitglied des Afro-Diasporic Academics Network (ADAN). "Es ist nicht hilfreich, in der Opferrolle zu verharren und sich zu beschweren, anstatt sich darum zu bemühen, an den Entscheidungstischen zu sitzen oder, falls das nicht möglich ist, eigene zu schaffen", sagte sie der DW. Mit ihrer Organisation bemühen sich Akhibi und ihre Kollegen darum, dass Entscheidungsträger die Realitäten, mit denen Migranten und Minderheiten konfrontiert sind, verstehen und darauf eingehen.

Justice Mvemba gründete deSta, um Touristen über die deutsche Kolonialgeschichte aufzuklärenBild: deSta/ Dekoloniale Stadtführung

Eine andere Möglichkeit, mit der jüngere Menschen versuchen, über die deutsche Geschichte aufzuklären, sind Stadtführungen - so wie die von Justice Mvemba mit ihrem Berliner Reiseveranstalter deSta (Dekoloniale Stadtführung). "Ich möchte den kritischen Umgang mit Kolonialismus normalisieren, und ich weiß, dass viele Menschen damit Schwierigkeiten haben. Aber ich bin auch positiv überrascht, dass es viele weiße Menschen gibt, auch viele weiße Deutsche, die bereit sind, diese kritische Perspektive zu übernehmen", so Mvemba gegenüber der DW. Sie hofft, dass die deutsche Kolonialgeschichte damit stärker ins Bewusstsein gerückt wird.

Adaption aus dem Englischen: Nikolas Fischer

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