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Wie Aktivisten politischen Gefangenen in Russland helfen

Evgeniy Dyuk
31. Oktober 2025

Die Zahl politischer Häftlinge in Russland steigt, während die Hilfe für sie schwindet, sagen Menschenrechtsaktivisten. Die Öffentlichkeit sei des Themas müde geworden - doch manche Schicksale rütteln sie weiterhin auf.

Stacheldraht über einem Zaun einer russischen Haftanstalt
Die Repressionen in Russland treffen sowohl politische Gefangene als auch ihre FamilienBild: DW

"Denkt daran, was man alles täglich zum Zähneputzen, Anziehen und Essen braucht. Im Gefängnis geht das Leben weiter, nur dass man kein Geld bekommt", sagt die Aktivistin Julia (Name geändert). Sie war selbst als politische Gefangene mehrere Jahre in Haft. Mangels Familie erhielt sie dort in den ersten Monaten keinerlei Hilfe. "Anfangs musste ich mir sogar die Fingernägel mit dem Stück einer alten Rasierklinge schneiden. Mit der Zeit wurde man draußen irgendwie auf mich aufmerksam und dann bekam ich Pakete", sagt sie.

Julia lebt nach wie vor in Russland und sammelt heute Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel für politische Gefangene. "Es gibt Gefangene, die überall bekannt sind - und sie erhalten Hilfe. Aber ich schreibe denen, die unbekannt sind", berichtet Julia. In ihren Briefen frage sie immer Punkt für Punkt ab, was die Gefangenen brauchen. "Seife, Toilettenpapier, Handtücher, Unterwäsche. Manchmal antworten sie, dass alles in Ordnung sei und schreiben, ich solle Bedürftigen helfen." Doch es gebe auch Briefe, in denen Dinge stünden wie: "Es ist eine Katastrophe, ich habe nichts. Bitte schickt mir irgendwas."

Julia bedauert, dass die Spendenbereitschaft sinke, während die Zahl der politischen Gefangenen in Russland steige. "Das liegt daran, dass in Russland alles teurer wird", sagt sie. 

Anwaltskosten als größter Kostenpunkt

Angehörige politischer Gefangener organisieren Spendenaktionen meist über soziale Medien. Der größte Kostenpunkt sind die Anwaltskosten.  Denn obwohl, wie die Statistiken zeigen, die Gerichte sehr repressiv vorgehen, kann den Aktivisten zufolge ein guter Anwalt ein Urteil durchaus beeinflussen. Ein anschauliches Beispiel ist der Fall des St. Petersburger Politologen Jewgenij Bestuschew. Ihm wurde vorgeworfen, "Fakes" über die russische Armee verbreitet zu haben. Er erhielt jedoch letztlich eine Bewährungs- statt einer Gefängnisstrafe. Bestuschew ist sich sicher, dass dies der Taktik seines Anwalts zu verdanken ist.

Familien politischer Gefangener fehlt Geld

Die Repressionen in Russland wirken sich nicht nur auf politische Gefangene, sondern auch auf ihre Familien aus. Kinder sind ohne Eltern und Alten fehlt Unterstützung. Solchen Familien helfen Initiativen wie das Projekt "Du bist nicht allein" - ein jährlicher Spendenmarathon für politische Gefangene in Russland. Geleitet wird es von der einstigen politischen Gefangenen Ksenia Fadejewa, die Koordinatorin des Wahlkampfbüros des in Haft umgekommenen Oppositionellen Alexej Nawalnys in Tomsk war. Das Projekt, das von den Behörden als "unerwünschte Organisation" gebrandmarkt wurde, nimmt nur Spenden aus Russland an.

Alexej Nawalny starb im Februar 2024 in einem russischen StraflagerBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Familien politischer Gefangener stehen manchmal vor der Entscheidung, ob sie ein Paket ins Gefängnis, den Sport ihrer Kinder oder Medikamente für ihre betagten Eltern bezahlen", erklärt Fadejewa. Im Jahr 2024 konnte das Projekt 45 Millionen Rubel (rund 488.000 Euro) sammeln. "Etwa 80 Prozent aller unserer Anfragen beziehen sich auf Pakete oder Überweisungen an die Strafvollzugsbehörde. Mit diesen Mitteln können sich die Gefangenen wichtige Dinge des Alltags und Lebensmittel kaufen", so die Aktivistin.

Das Projekt konnte 14,5 Millionen Rubel (rund 157.000 Euro) für Pakete an Gefangene, 7,7 Millionen (83.000 Euro) zur Unterstützung ihrer Familien sowie 5,5 Millionen (59.000 Euro) für andere Zwecke wie die Evakuierung aus Russland, Unterstützung in Hausarrest, Hilfen für entlassene Gefangene und Schuldentilgungen bereitstellen. Im Jahr 2025 ging der zur Verfügung stehende Betrag von den angestrebten 30.000 Rubel (325 Euro) auf 10.000 Rubel (108 Euro) pro Gefangenen zurück. "Mehr ist einfach nicht drin", erklären die Organisatoren des Projekts, die den Spendenrückgang damit erklären, dass die Öffentlichkeit des Themas politischer Gefangener müde geworden sei.

Was ist für einen Spenden-Erfolg entscheidend?

Die meisten Spendenaktionen ziehen sich über Monate hin, sagt Jelena Skworzowa, eine Mitarbeiterin der Organisation "Erste Abteilung", die Spenden sammelt. Sie erklärt, der Erfolg einer Aktion hänge von der Geschichte des Gefangenen ab. Als Beispiel nennt sie Polina Jewtuschenko, für die innerhalb weniger Stunden genug Geld zusammenkommt. Der Frau drohen 22,5 Jahre Gefängnis, weil sie im Internet und in einem Gespräch mit einem Bekannten Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt hat. Der Mann hatte sie deswegen bei den Behörden angezeigt. "Sie ist eine junge Mutter und ihre sechsjährige Tochter kann sie nur bei Besuchen im Gefängnis durch eine Glasscheibe sehen. Eine mögliche lange Haftstrafe und eine Festnahme aufgrund einer Denunziation - das sind Geschichten, die zu Spenden anspornen", so Skworzowa.

Die Aktivistin weist darauf hin, dass männliche politische Gefangene maximal sechs Pakete pro Jahr erhalten dürfen. Für Frauen gebe es solche Einschränkungen nicht. "Gestern habe ich beispielsweise im Online-Shop der Strafvollzugsbehörde ein Paket für eine junge Frau zusammengestellt, die in einem Gefängnis in der Region Wologda sitzt. Als sie dorthin gebracht wurde, hatte sie nicht einmal elementare Hygieneprodukte. Die ersten Pakete kosteten jeweils rund 5000 Rubel (ca. 54 Euro)", berichtet sie.

Überweisungen nur innerhalb Russlands

Das Projekt "Zaodno" rät davon ab, Geldspenden aus dem Ausland zu überweisen, da die Bank daraufhin das Empfängerkonto zur Finanzüberwachung sperren könnte. Dann würden auf dem Konto keine weiteren Spenden mehr eingehen können. Daher sollten Spenden nur innerhalb Russlands getätigt werden. Überweisungen über Kryptowährung-Wallets sind zwar möglich, werden aber nur von wenigen Menschenrechtsprojekten wie "OVD-Info" und "Goldener Schlüssel" akzeptiert.

Das Projekt "OVD-Info" weist darauf hin, dass es Spenden in Kryptowährung sammelt, diese aber für schlechte Zeiten zurücklegt. "Sollte dem Projekt etwas zustoßen - das ist schon einmal passiert - und wir plötzlich keine Spenden mehr annehmen können oder alle unsere regelmäßigen Geber verlieren, werden die Krypto-Spenden uns und diejenigen unterstützen, denen wir helfen, die Krise zu bewältigen", heißt es vom Projekt.

Hilfe in anonymen Fällen meist schwierig

Damit Inhaftierte überhaupt bekannt werden, müssen meist Familien oder Freunde, Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten über sie informieren. Denis Schedow vom Projekt "OVD-Info" bedauert, dass entsprechende Informationen zunehmend verzögert ankommen. "Das Problem ist, dass die Leute oft nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Mundpropaganda, Internetrecherchen, unsere eigene Beobachtung und unser Kontaktnetzwerk sind oft hilfreicher", sagt er und fügt hinzu, dass einige politische Gefangene ihre Probleme selbst lösen und sie nicht öffentlich machen wollen.

Selbst im Kontakt mit Aktivisten wollen Angehörige und Anwälte anonym bleiben. Spenden für politische Gefangene zu sammeln, sei dann sehr schwierig, sagt Skworzowa. "Viele Gefangene fürchten die Öffentlichkeit und wollen kein Aufsehen, aber sie brauchen trotzdem Hilfe. Natürlich versuchen wir, ihnen beizustehen, aber das geht nur langsam. Wir haben über sechs Monate gebraucht, um 100.000 Rubel in solchen Fällen zu sammeln", sagt sie.

Die Zahl der politischen Gefangenen liegt laut Ksenia Fadejewa derzeit bei mindestens 1500. "Ihre Haftbedingungen verschlechtern sich, ständig werden Menschen in Gefängniszellen gesteckt und werden medizinisch nicht versorgt", beklagt sie und betont, dass Hilfen gerade jetzt notwendig sind.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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