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70 Jahre Bundeswehr: Wie die Gründung Deutschland spaltete

11. November 2025

Am 12. November 1955 wurde die Bundeswehr gegründet - eine umstrittene Entscheidung in der Nachkriegszeit. Heute soll die Bundeswehr eine Führungsrolle in Europa übernehmen.

Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr in grauen Uniformjacken, weißen Handschuhen und Gürteln, mit dunkelgrünen Barretten und Gewehren bei einem öffentlichen Gelöbnis
Vom Kalten Krieg über die Zeit der Auslandseinsätze zurück zur Landes- und Bündnisverteidigung: Hinter der Bundeswehr liegen 70 Jahre wechselvoller GeschichteBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

1945 sprach wenig dafür, dass Deutschland zehn Jahre später wieder eine Armee haben würde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Nazi-Deutschland entfesselt hatte, war das Land besetzt, die Wehrmacht aufgelöst. Die Siegermächte - die Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich - gingen bei der Entmilitarisierung des Landes gründlich vor: Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen.

Doch schon bald nach Kriegsende wuchsen die Spannungen zwischen den Siegermächten. In der Folge wurde Deutschland geteilt. Nach dem Ausbruch des Koreakriegs 1950 bereiteten sich die Westalliierten intensiv auf einen möglichen Angriff der Sowjetunion in Europa vor. Sie befürchteten, dass die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten zum Schauplatz eines solchen Angriffs werden könnte.

Eine deutsche Armee als Bollwerk gegen die Sowjetunion

Diese Sorge trieb auch Konrad Adenauer um, den ersten Kanzler der jungen Bundesrepublik. "Im Fall einer russischen Aggression wären wir das Opfer, das erste Opfer", warnte der Christdemokrat im Oktober 1950. "Der Kalte Krieg wird mit aller Kraft gegen uns geführt."

Angesichts dieser Bedrohung forderte Adenauer von den Westalliierten eine Verstärkung der Besatzungskräfte. Diese verlangten im Gegenzug, dass die Bundesrepublik selbst einen Beitrag zur Verteidigung leisten müsse. Damit war die Debatte über die Wiederbewaffnung eröffnet, die Adenauer zielstrebig vorantrieb.

Mit einer eigenen Armee zurück zur Souveränität - das war das Ziel von Bundeskanzler Konrad Adenauer (Mitte), hier im Atlantikrat kurz nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1955 Bild: UPI/dpa/picture alliance

Für den katholischen Rheinländer, der persönlich keine Affinität zum Militär hatte, standen dabei strategische Ziele im Vordergrund. Der Verteidigungsbeitrag war aus seiner Sicht ein Mittel, um die Bundesrepublik wieder an die westliche Staatengemeinschaft heranzuführen. Adenauer wollte außenpolitische Handlungsfreiheit zurückerlangen.

Proteste gegen die Wiederbewaffnung: "Ohne mich"

Nur wenige Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur empörte der Plan einer Wiederbewaffnung viele Deutsche. Die Sozialdemokraten, damals in der Opposition, übten scharfe Kritik. Ihnen grauste bei der Vorstellung, wieder deutsche Soldaten marschieren zu sehen. Sie warfen Adenauer vor, die "Angst vor dem Osten" zu instrumentalisieren. Außerdem werde eine Wiederbewaffnung die Teilung Deutschlands zementieren.

Auch in der Bevölkerung regte sich Widerstand. Unter dem Schlagwort "Ohne mich!" demonstrierten aufgebrachte Bürger gegen die Wiederbewaffnung, darunter ehemalige Soldaten und Kriegsversehrte mit Holzbeinen oder Krücken.

Nie wieder Krieg: Gegen die Wiederbewaffnung gingen Tausende Menschen auf die Straße so wie hier in Frankfurt am Main (1955)Bild: kpa Keystone/United Archives/picture alliance

Letzten Endes setzte Adenauer sich durch: Mit den Pariser Verträgen und dem NATO-Beitritt Deutschlands am 6. Mai 1955 war der Weg für die Gründung der Bundeswehr geebnet. Am 12. November 1955 überreichte der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik, der CDU-Politiker Theodor Blank, den ersten 101 Freiwilligen - viele von ihnen in Zivil - ihre Ernennungsurkunden in der Bonner Ermekeil-Kaserne.

"Die Deutschen waren nie Pazifisten", resümiert der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam im Interview mit der DW. "Es war eine hohe Minderheit gegen die Wiederbewaffnung, aber eine Mehrheit war dafür. Und Adenauer gewinnt dann 1957 mit absoluter Mehrheit die Bundestagswahl. Wenn die Deutschen die Wiederbewaffnung und die Einführung der Wehrpflicht, die dann am 1. April 1957 erfolgte, so umgetrieben hätte, dann hätten sie Adenauer nicht gewählt."

Soldaten als "Staatsbürger in Uniform"

Damit die Bundeswehr kein "Staat im Staate" werden konnte, wurde sie eng eingebunden in die Kontrollmechanismen der parlamentarischen Demokratie. Der Oberbefehl lag beim Verteidigungsminister, also in ziviler Hand.

Die Soldaten waren und sind bis heute als "Staatsbürger in Uniform" ihrem Gewissen verpflichtet - ein Gegenentwurf zum blinden Gehorsam. "Wir wollen Streitkräfte in der Demokratie, die sich dem Vorrang der Politik fügen", betonte Verteidigungsminister Blank.

Bundeskanzler Konrad Adenauer (2.v.l.) besuchte am 20. Januar 1956 die ersten Freiwilligen zusammen mit Verteidigungsminister Theodor Blank (l.). Ihren Namen erhielt die Bundeswehr erst im März 1956Bild: dpa/picture alliance

War die politisch-gesellschaftliche Ausrichtung neu, so gab es dennoch personelle Kontinuitäten: Ein Teil der Offiziere hatte zuvor in der Wehrmacht gedient. Anderes Personal mit der nötigen militärischen Erfahrung stand nicht zur Verfügung. Es gelang jedoch, sie an die Republik zu binden, so Neitzel. "Diese Wehrmachts-Generation diente der Republik loyal", stellt er fest. "Die Bundeswehr war nie eine Gefahr für die Demokratie."

Kalter Krieg: fast eine halbe Million Soldaten

Im Kalten Krieg war die Bundeswehr eng in die Strukturen der NATO eingebunden. Ihr Auftrag war rein defensiv: die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Fall eines Angriffs. Mitte der 1980er Jahre stand sie mit 495.000 Soldaten auf dem Höhepunkt ihrer Kampfkraft.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts fand sich die Bundeswehr in einer neuen Realität wieder: Nach der Wiedervereinigung wurde die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR aufgelöst und ihre etwa 90.000 Soldaten der Bundeswehr unterstellt. Nur ein kleiner Teil von ihnen wurde dauerhaft in die Bundeswehr übernommen.

Deutsche Soldaten als mobile Eingreiftruppe im Ausland

Da Deutschland inzwischen von Freunden umgegeben war, verlor die Landes- und Bündnisverteidigung an Bedeutung. Die Bundeswehr wurde schrittweise verkleinert, bis die Zahl der Soldaten auf unter 200.000 gesunken war.

Sie konzentrierte sich nun auf sogenannte "Out-of-area-Einsätze" außerhalb des NATO-Gebietes, die das Bundesverfassungsgericht 1994 für zulässig erklärte. In der Folge waren deutsche Soldaten als "Peacekeeper" auf mehreren Kontinenten unterwegs. Der teuerste und verlustreichste Einsatz war der in Afghanistan (2001-2021), bei dem 59 deutsche Soldaten ihr Leben verloren.

Fast 20 Jahre dauerte der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begannBild: Kay Nietfeld/POOL/AFP/Getty Images

Die Folge der neuen Ausrichtung: Die geschrumpfte Freiwilligenarmee Bundeswehr war zur Landes- und Bündnisverteidigung praktisch nicht mehr fähig. "Da hat man sicherlich zu kurz gedacht", sagt Militärhistoriker Neitzel. "Das war vor allen Dingen ein Problem der Politik, weil sie nicht die nötigen Finanzmittel bereitgehalten hat. Es war eine politische Entscheidung, die Armee immer weiter zu reduzieren, bis hin zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Damit konnte die Bundeswehr sich eigentlich immer nur auf einen Kern der Fähigkeiten reduzieren."

Hohes Ansehen der Bundeswehr in der Gesellschaft

Erst seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine 2022 ändert sich das wieder: Seither investiert die Politik hohe Summen in moderne Waffen und eine bessere Ausrüstung der Streitkräfte. Nach den Plänen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) soll die Bundeswehr zur "konventionell stärksten Armee Europas" werden. Dafür braucht sie dringend mehr Personal, weshalb über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht hitzig diskutiert wird.

Trotz aller Herausforderungen: Der Rückhalt der Bundeswehr in der Gesellschaft ist heute groß. 70 Jahre nach ihrer Gründung haben mehr als 80 Prozent der Deutschen eine positive Einstellung zur Bundeswehr, wie eine repräsentative Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr gezeigt hat.

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