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Politik

Wie Anwohner die Manöver erleben

Ales Petrowitsch
15. Februar 2022

Die Zahl der russischen Soldaten, die derzeit an Manövern an der ukrainischen Grenze teilnehmen, ist unbekannt - doch ihre Präsenz ist in vielen belarussischen Städten zu spüren. Eine Ortsbegehung. Von Ales Petrowitisch.

Offizielles Foto eines Fahrzeugkonvois während des Manövers
Offizielles Foto eines Fahrzeugkonvois während des ManöversBild: Verteidigungsministerium Belarus

Noch bis zum 20. Februar sollen die russisch-belarussischen Manöver "Unions-Entschlossenheit 2022" auf Truppenübungsplätzen in Belarus dauern. Die Bezeichnung der zehntägigen Übungen spielt auf den russisch-belarussischen "Unionsstaat" an. Beide ehemaligen Sowjetrepubliken hatten 2021 eine engere, darunter auch militärische Integration vereinbart.

Züge mit militärischer Ausrüstung aus Russland trafen schon lange vor Beginn der Manöver in Belarus ein. Beobachter bezweifeln inzwischen, dass all das Gerät nach den Übungen wieder abtransportiert wird. Im Westen gibt es Befürchtungen, das Manöver könnte als Deckmantel für eine Invasion in die benachbarte Ukraine dienen, was Moskau und Minsk jedoch dementieren.

Was und wo wollen die Militärs üben?

Laut offiziellen Angaben vereinbarten der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko und Russlands Staatschef Wladimir Putin im Herbst 2021, außerplanmäßige Übungen abzuhalten. Ende November kündigte Minsk sie erstmals an.

So sieht das Manöver "Unions-Entschlossenheit 2022" auf einem Foto des belarussischen Verteidigungsministeriums ausBild: Verteidigungsministerium Belarus

Später hieß es seitens der russischen und belarussischen Verteidigungsministerien, mit den Manövern solle unter anderem die belarussische Staatsgrenze an Abschnitten gestärkt werden, wo das "Eindringen von Rebellen-Gruppierungen mit Waffen und Ausrüstung" nicht auszuschließen sei. Darüber hinaus sollen die beteiligten Militäreinheiten die "Suche und Vernichtung von Saboteuren und illegalen bewaffneten Verbänden" üben. Was die Gebiete für die Manöver angeht, wurden ursprünglich Übungsgelände und Militärflugplätze vorwiegend im Westen von Belarus genannt.

Keine Spaziergänge im Wald mehr

Eines dieser Gelände ist der Truppenübungsplatz "Brestskij", der normalerweise von der örtlichen Luftlandebrigade genutzt wird. Hier sollen die Fallschirmjäger, so das Übungsszenario, vergangene Woche einen "illegalen bewaffneten Verband" entdeckt und vernichtet haben, mit Mörsern, Granatwerfern und Schützenpanzern.

Der Truppenübungsplatz "Brestskij" im Westen von BelarusBild: Ales Petrowitsch/DW

Jewgenij, der in der Stadt Brest lebt, hat ganz in der Nähe des Truppenübungsplatzes eine Datscha. Das benachbarte Militär hat die Bewohner der Wochenendhäuser und der umliegenden Dörfer bis vor ein paar Jahren überhaupt nicht gestört. "In der Nähe des Übungsgeländes befindet sich ein großes Waldgebiet, wo es immer viele Pilze gab, was viele Menschen anzog", sagt Jewgenij. Aber in den letzten Jahren sei das Militärgelände deutlich erweitert worden. Es würden immer häufig Manöver durchgeführt und Spaziergänge im Wald seien faktisch verboten.

Dies, so Jewgenij, verärgere die Menschen. Sie hätten wiederholt an die Behörden appelliert und gebeten, Spaziergänge im Wald wieder zu erlauben, jedoch vergeblich. Hinzu komme, dass auf den Straßen in der Nähe des Truppenübungsplatzes der zivile Verkehr oft kontrolliert werde. "Das Militär selbst stoppt die Autos und begründet dies damit, aufgrund der aktuellen Lage für Sicherheit sorgen zu müssen", sagt Jewgenij.

Lebensgefahr nahe der Grenze zur Ukraine

Besonders strenge Maßnahmen werden aufgrund der Manöver in den belarussischen Regionen ergriffen, die an Ukraine grenzen. So warnten die Behörden des Bezirks Stolin in der Region Brest die Bewohner von zwei Dutzend Dörfern, dass der nahe gelegene ehemalige Flugplatz vom 14. bis 16. Februar Sperrgebiet sei. Der Aufenthalt von Unbeteiligten in dessen Nähe sei dann lebensgefährlich. Das Übungsgelände wurde in der Sowjetzeit genutzt, aber nach der Unabhängigkeit von Belarus im Jahr 1991 geschlossen und zum Teil dem Naturschutzgebiet "Olmansky-Sümpfe" angeschlossen.

"Jetzt gehen Polizisten von Tür zu Tür und warnen die Menschen, auf keinen Fall Brennholz suchen zu gehen und auch kein Altmetall aufzusammeln, denn es könnte sich um Blindgänger handeln", sagt ein Bewohner des Dorfes Chotomel.

Russische Militärausrüstung trifft in Belarus einBild: Ales Petrowitsch/DW

Eigentlich steht das ehemalige Übungsgelände im Bezirk Stolin gar nicht auf der offiziellen Liste der Orte, wo die Manöver "Unions-Entschlossenheit 2022" stattfinden. Doch solche Orte gibt es derzeit in Belarus viele. Zum Beispiel wurden Soldaten der russischen Armee samt militärischer Ausrüstung in der Nähe der Stadt Retschiza in der Region Gomel untergebracht, wenige Dutzend Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Nach Angaben von Anwohnern hat das russische Militär dort an Bahnsteigen Waffen abgeladen und mindestens zwei verlassene Fabriken in Beschlag genommen.

Kurz vor Beginn der Manöver wurde kein Hehl mehr daraus gemacht, dass sich russische Truppen in der Nähe von Retschiza befinden. Die lokalen Behörden organisierten sogar eine "patriotische Veranstaltung" mit dem Titel "Zwei Staaten - ein Volk und eine Geschichte". Zu ihr wurden Schulkinder gebracht und Einwohner des Bezirks eingeladen.

Bleiben die russische Truppen?

Die Präsenz des russischen Militärs ist jetzt in vielen belarussischen Städten zu spüren. Wie viele Soldaten es insgesamt sind, ist jedoch unbekannt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schätzt ihre Zahl auf rund 30.000, Estlands Geheimdienst auf 20.000. In einer Mitteilung des russischen Verteidigungsministeriums heißt es, dass "die Anzahl der Teilnehmer an den Manövern sowie die Menge der wichtigsten Waffensysteme, die unter das Wiener Dokument aus dem Jahr 2011 fallen, die darin festgelegten anzeigepflichtigen Parameter nicht überschreiten." Das wären weniger als 9000 Soldaten.

Doch unter den belarussischen Bürgern bestehen Zweifel, dass nach dem Ende der Übungen das gesamte russische Militärkontingent aus ihrem Land wieder abgezogen wird. Angesichts der Lage rund um die Ukraine könnte dies zu einem weiteren Faktor werden, der in der Region für Spannung sorgt.

Ein Major einer belarussischen Militäreinheit, die an bisherigen Manövern beteiligt war, sagt der DW, er sehe derzeit keinen Grund, warum das russische Militär in Belarus bleiben sollte. "Wahrscheinlich werden sie mehr Zeit benötigen, um zu ihren Stützpunkten zurückzukehren. Einige Einheiten aus Russland werden wohl noch bis Ende Februar in unserem Land sein, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie dauerhaft in Belarus bleiben werden", so der Major, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Zuvor wurde berichtet, dass Truppen aus dem Östlichen Militärbezirk Russlands nach Belarus verlegt worden seien, um an den Übungen teilzunehmen. Zum ersten Mal sind auf dem Übungsplatz "Brestskij" russische Langstrecken-Boden-Luft-Raketensysteme vom Typ S-400 Triumf aufgetaucht, die aus dem Fernen Osten der Russischen Föderation herangeschafft wurden.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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