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Spam-Poetry

Susanne Dickel20. März 2014

Spam-Mails sind der Müll des digitalen Zeitalters. Doch manche Menschen entdecken in den Werbemails eine ganz eigene Poesie. Und machen aus der Werbung für Diät- oder Potenzpillen "Spam Poetry".

Spam-Poetry auf Strickpullovern
Schwer tragbar: Spam-Poetry auf StrickpullovernBild: cc-by-nc-2.0/Mar Canet

Für ihre Kunst durchwühlen Varvara Guljajeva und Mar Canet Müll - digitalen Müll, auch Spam genannt. Millionen dieser Mails gehen täglich um die Welt. Potenzmittel sollen die Empfänger kaufen, sie bekommen Jobs angeboten, oder ein Gönner möchte ihnen angeblich ein paar Millionen Euro schenken. Meist landen diese Mails ungesehen im Papierkorb. Wenn es nach der Estin Guljajeva geht, soll Spam aber nicht dort verschwinden: "Wir wollten den digitalen Müll irgendwie recyceln."

Digitalität trifft Materie

Also starteten sie und ihr spanischer Partner Canet das Projekt SPAMpoetry. Gemeinsam verwandelten sie die reißerischen, oft schlecht geschriebenen Werbetexte in Gedichte. Die brachten sie aber nicht zu Papier, sondern entwarfen dafür Strickpullover. "Das betont den Unterschied zwischen der digitalen Welt und der traditionellen Handarbeit beim Stricken", sagt Guljajeva. "Das eine ist überwältigend schnell, sodass man gar nicht mehr hinterher kommt. Beim anderen verfolgst du jeden Stich." Und so zieren Ärmel, Brust und Rücken seltsame Sätze wie dieser:

Nonsens aus Werbemails - für manche pure KunstBild: cc-by-nc-2.0/Mar Canet

"We are really the
Products. I know that will be
Selected as one."

Tragen kann man die Entwürfe des Künstlerduos allerdings nicht. Manche haben überlange Ärmel, bei einem anderen wurden zwei Pullover an den Ärmeln und am Hals zu einem einzigen zusammengenäht. "Die Kleidung ist genauso dysfunktional wie Spam auch", erklärt Guljajeva. "Man kann einen normalen Pullover darin erkennen, aber man kann ihn nicht gebrauchen."

Faszinierende Übersetzungen

Die erste Massenwerbe-Mail wurde 1978 verschickt. Wer aber als erster angefangen hat, daraus Spam Poetry oder auch Spoetry zu machen, weiß niemand. Einer der frühesten Hinweise darauf findet sich auf der Webseite Satirewire. 2000 kürte die Seite gelungene Gedichte, die Autoren aus Spam-Mails kreiert hatten. Seitdem versuchen immer wieder Menschen, den Müll der digitalen Gesellschaft zu Literatur umzuformen.

Viele von ihnen kommen aus englischsprachigen Ländern. Aber auch in andere Sprachen übersetzte Nachrichten haben ihren Reiz. Findet zumindest Thomas Palzer. Ihn fasziniert Spam besonders, wenn die Nachrichten voller Fehler sind, wenn die Grammatik nicht stimmt oder ein Wort nicht passt, sodass der Sinn des Satzes sich verändert. Das passiert bei Spam-Mails häufig, weil Programme die Texte automatisch übersetzen. Zwei von Palzers liebsten Beispiele stammen aus einer Werbung für das Potenzmittel Viagra: "Speichern Sie Ihre Ehe!" und "die Frauen in der Begeisterung". In diesen Fehlern steckt unfreiwillige Komik: "Das sagt doch mehr aus, als wenn die Sätze korrekt wären", findet Palzer.

Schriftsteller und Spam-Poet Thomas Palzer liest SpamBild: privat

Poesie aus der Maschine

Anderthalb Jahre lang hat der Schriftsteller Müll-Mails gesammelt. Die besten Auszüge hat er in einem E-Book veröffentlicht. Aber kann man maschinengenerierte Texte tatsächlich als Poesie bezeichnen und sie damit auf eine Ebene heben mit Gedichten von Goethe oder Rilke? Den Einwand wischt Palzer weg: "Was ist denn Poesie? Poesie ist keine Sprache der Information, sondern sie erzeugt etwas bei uns." Und dies könnten auch Spam-Mails schaffen. Zumindest, wenn man sich auf den Text einlasse und nicht ständig nach dem Sinn dahinter suche. Dann könne das Lesen von Spam-Mails sogar Spaß machen. "Während ich die Texte für das Buch ausgesucht habe, habe ich viel gelacht", erzählt Palzer. Einer der Texte, die es ins Buch geschafft haben, ist dieser hier:

"Sie werden staunen
welche Möglichkeiten Sie für wenig Geld bekommen.
Ob
Steuerfreiheit, Erotikseiten, Waren oder
Scheidung.
Alles
ist mit diesem Konto
möglich."

Kunstform ohne Publikum?

Für viele bleibt Spam allerdings Müll, egal ob er sich in Gedichtform präsentiert oder nicht. "Viele Leser haben wir leider nicht", gibt Nikola Richter von Palzers Verlag Mikrotext zu. Und auch Inés Gutiérrez musste feststellen, dass nicht jedes Publikum mit Spam Poetry etwas anfangen kann. Zusammen mit drei anderen Bloggerinnen präsentierte sie 2012 auf der Web-2.0-Konferenz re:publica ausgewählte Spam-Mails. Denn auch ihnen war aufgefallen, was für eine ungewollt lustige Sprache in Spam oft steckt. Auf der re:publica gelang es ihnen auch, dem Publikum diesen Witz nahezubringen.

"Die Leute haben sich totgelacht, selbst bei Sachen, wo wir das gar nicht verstanden haben", erinnert Gutiérrez sich. "Ich habe nur die Ortsmarke vorgelesen, und die haben schon angefangen zu lachen."

Ganz anders einige Wochen später. Auf der Konferenz wurde den vier Frauen angeboten, bei einem Poetry Slam aufzutreten. Sie arbeiteten ihre Show weiter aus - doch diesmal trat ein, was sie schon vor der re:publica befürchtet hatten: Die Zuhörer blieben still. Eine Neuauflage wollen die vier nicht versuchen. Manchmal ist es eben doch besser, Spam da zu lassen, wo er hingehört: im Mülleimer.

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