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Lebensqualität aus Innovation

Richard A. Fuchs, Berlin 20. Januar 2015

Wie geht innovatives Denken? Beim Internationalen Deutschlandforum in Berlin grübelten mehr als hundert Fachleute mit der Bundeskanzlerin über diese Frage. Kaum verwunderlich: Es gab viele Antworten.

Internationales Deutschlandforum Foto: DPA
200 Fachleute im Kanzleramt, eine Frage: Wird die Digitalisierung die Menschen zusammenbringen?Bild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Das musste Angela Merkel dann doch mal selbst in die Hand nehmen. "Haben Sie so eine Maschine mal da?", fragte die deutsche Kanzlerin den indisch-kanadischen Unternehmer Sunseet Singh Tuli, als er ihr von seinem Tablet-Computer zum Preis von nur 35 US-Dollar erzählte. Neugierig bohrte die studierte Physikerin nach, wie ein Hightech-Produkt zu einem solchen Preis zu haben sein kann: "Worauf haben Sie verzichtet, was uns vielleicht sonst beim iPad oder iPhone lieb und teuer ist?", fragte die Kanzlerin. Tuli war einer von 120 Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, mit denen Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Internationalen Deutschlandforum über neue Wege zu mehr Lebensqualität diskutierte.

Wie bekommen die Ärmsten Zugang zum Netz?

Tulis Firma DataWind hat sich dabei auf Produkte spezialisiert, die technisch "gut genug" sind, um den drei Milliarden Ärmsten der Welt einen ersten Zugang zum Internet zu ermöglichen. Also Computer, deren Kauf nicht zwei oder drei Monatslöhne eines indischen Arbeiters verschlingen, sondern schon mit dem Lohn einer Arbeitswoche zu haben sind. Sein Innovationsrezept: "Der technologische Fortschritt hat jetzt dazu geführt, dass ein Prozessor eines zwei Jahre alten iPad-Notebooks heute statt 35 US-Dollar nur noch 3,5 US-Dollar kostet", erklärte der Unternehmer, der deshalb seine Computer mit Hardware ausstattet, die in Industrieländern als veraltet gilt.

Sein Billig-Computer löste einen Internet-Boom in Indien aus: Sunseet Singh TuliBild: AFP/Getty Images/S. Honda

In Indien hat dieser innovative "Gut-genug-Ansatz" aber einen wahren Computer-Boom ausgelöst, gerade bei jenen, die sie sich vorher nicht leisten konnten. Wurden im Jahr 2011 gerade einmal 250.000 Tablet-Computer verkauft, waren es zwei Jahre später bereits fünf Millionen Stück. Nicht zuletzt deshalb wurde Tulis "Tablet für die Ärmsten" im Jahr 2012 von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon als wichtige Innovation zur globalen Armutsbekämpfung bezeichnet. "Der Zugang zum Internet ist damit auch für die Ärmsten erschwinglich", so Tuli.

Gesucht: produktive Vernetzung

Merkel betonte, dass von solchen Ansätzen aus Schwellenländern wie Indien auch Industrienationen profitieren könnten. "Für entwickelte Industriegesellschaften ist das Thema der Innovationsfähigkeit nochmal von besonderer Brisanz, weil man ja schon auf eine so lange Erfahrung gut gelöster Probleme zurückblickt", so Merkel. Und deshalb sei die Neigung beispielsweise in Deutschland groß, immer so weiterzumachen, wie man es schon immer gemacht habe. Dabei habe die Digitalisierung der Welt die Landkarte der Innovation verschoben, was zuletzt auch die Europäer begreifen müssten, so die Kanzlerin. "Wir Europäer müssen lernen, dass wir nicht mehr alleine das Zentrum der Welt sind."

Dass erfolgreiche digitale Innovationen mehr und mehr auch aus Afrika ihren Weg nach Europa finden, das bewies Juliana Rotich bei der Vorstellung ihres Unternehmens "Ushahidi". Rotich ist die Geschäftsführerin des 2008 in Kenia gegründeten Start-ups mit dem deutschen Nahmen "Augenzeuge". Das gemeinnützige Technologieunternehmen "Ushahidi" betreibt eine Internetplattform, auf der Kunden lokal untereinander Informationen austauschen oder Dinge auf interaktiven Karten finden können. Eine Innovation made in Africa, die weltweit immer mehr Nutzer findet. Darunter Japan, Syrien oder Ägypten, so Juliana Rotich. Von Anfang an habe dabei der Gedanke im Mittelpunkt gestanden, wie die Innovation "Ushahidi" auch für andere zur Inspiration werden kann. Auch deshalb wird die Software als kostenloses Open-source-Produkt vertrieben, was andere einlädt, sie an ihre Bedürfnisse anzupassen.

'Ushahidi" ist für Juliana Rotich ein Beispiel, dass auch ein schwieriges Umfeld innovationsfördernd wirken kann. "Was wir beim Machen des Ganzen in Kenia gelernt haben, war, dass die vielen Hindernisse wie beispielsweise ständige Stromausfälle auch eine Inspiration sein können", sagt Rotich. Sie stellte daraufhin ein von ihrem Start-up entwickeltes Internetmodem vor, dass mittels einer Batterie auch während eines Stromausfalls den Zugang zum Internet sicherstellt. "Ich denke, unser Ansatz zu Innovation war, dass wir uns fest vorgenommen haben, die Probleme um uns herum lösen zu wollen."

Unter Fachleuten fühlt die Kanzlerin sich sichtlich wohl: Angela Merkel beim 2. Internationalen Deutschlandforum, einem Expertdialog zu mehr Innovationen für bessere LebensqualitätBild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Jeder schreibt sein eigenes Lehrbuch für Innovation

Je mehr unterschiedliche Ansätze für Innovationen vorgestellt wurden, desto klarer wurde allerdings auch, was John Kao, Vorsitzender des amerikanischen 'Institute for Large-Scale Innovation" so zusammenfasste: Es werde schon heute viel über Innovation gesprochen und auch viel Geld darin investiert. "Es besteht aber wenig Konsens darüber, wie man eine Innovation wirklich definiert, wie man sie misst und wie man Menschen beibringen kann, innovativ vorzugehen". Er riet Ländern wie Deutschland, die Suche nach technischen wie sozialen Innovationen zu einer Geschichte zu formulieren, die Menschen begeistert. "Die Menschen ändern sich nur dann, wenn sie durch eine gute Geschichte erfahren, warum sie sich verändern sollen und warum es jetzt höchste Zeit ist, sich zu ändern."

Geoff Mulgan, Geschäftsführer der britischen Innovationsagentur NESTA (National Endowment for Science, Technology and the Arts), riet der deutschen Bundesregierung, vor allem im sozialen Bereich mehr Innovationen anzustoßen. Es gebe hier viele offene Fragen: Wie kann Integration besser gelingen? Wie kann Arbeit in einer alternden Gesellschaft besser verteilt werden? Oder wie können neue Formen der Pflege erfunden werden? "Die Zivilgesellschaft hat dafür Abertausende von Antworten, aber die sind bislang nicht systematisch erfasst, und deshalb setzen sich auch nicht die besten Ideen durch und werden dann auch nicht zur Regierungspolitik", so Mulgan, der die britische Regierung berät, wenn sie Risikokapital in Sozialprojekte mit innovativen Ansätzen steckt. Angela Merkel sagte zu, die beim Internationalen Deutschlandforum vorgestellten Ideen auch ins Regierungshandeln einfließen zu lassen - insbesondere im Bereich sozialer Innovation. "Das ist jetzt keine Kampfansage an die Sozialverbände in Deutschland", so Merkel. Aber es sei ein Aufruf, auch in Bereichen wie Kinder- oder Altenbetreuung neue Wege zu gehen.

Er berät die britische Regierung bei sozialer Innovation: Geoff MulganBild: picture alliance/Photoshot
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