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Gesellschaft

Wie bekämpft man Hass im Netz?

Maximiliane Koschyk
19. Januar 2018

Der Journalist Richard Gutjahr wehrt sich gegen Trolle, die seine Familie bedrohen. Das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz nützt dabei kaum, kritisiert er. Aber: Es gibt Lösungen für Betroffene.

#Hass
Bild: picture alliance/dpa/Lukas Schulze

"Es ist eine Geschichte über das Internet und wie es zur Waffe werden kann", sagt Richard Gutjahr. "Meine Geschichte." Sie beginnt am 14. Juli 2016, erzählt der deutsche Journalistin einem Video auf Youtube.

Er ist mit seiner Familie in Südfrankreich im Urlaub, am französischen Nationalfeiertag wollen sie in Nizza das Feuerwerk sehen. Gutjahr fotografiert vom Balkon des Hotels das Treiben an der Strandpromenade, als dort ein weißer LKW auf Passanten zurast. 86 Menschen sterben, Hunderte werden verletzt.

Gutjahr filmt es. "Ich bin Journalist, das ist mein Job", erklärt er in dem Youtube-Video. Er schickt das Material seinem Arbeitgeber, dem Bayerischen Rundfunk, der es veröffentlicht. Gutjahr gibt Interviews, wird Teil der Berichterstattung.

Mutlos mitten im "Sh*t-Tsunami"

Einige Tage später ist er wieder in München. Am 23. Juli ruft ihn seine Tochter an. Sie sei im nahegelegenen Olympia-Einkaufszentrum und höre Schüsse. Gutjahr fährt hin: "Da war ich wieder mittendrin und berichtete."

Für seine Familie beginnt hier "der eigentliche Terror", sagt Gutjahr. Im Internet tauchen Verschwörungstheorien auf: Das sei kein Zufall - zweimal bei einem Anschlag vor Ort, aber unversehrt. Anfangs ignoriert er es, ohne Erfolg: "Je länger wir still blieben, desto wilder wurden die Anschuldigungen." In Videos, die er in dem Vortrag zeigt, werden seine Kinder beschimpft und bedroht. Einen "Sh*t-Tsunami" nennt es Gutjahr.

#ichbinhier: Hetzern nicht das Feld überlassen

Er ist mutlos von all dem Hass, als ihn eine Nachricht erreicht: "Ich weiß, was du durchmachst", schreibt ihm ein Mann namens Lenny Pozner. Er ist der Vater eines Kindes, das beim Amoklauf an der Sandy Hook-Grundschule 2012 in den USA starb. Pozner wird von sogenannten "Hoaxern" getrollt. Sie behaupten, die Schießerei sei inszeniert gewesen, Pozners Sohn Noah habe nie existiert. Pozner ermutigt Gutjahr sich zu wehren. "Es fühlt sich gut an, jemanden zu haben, der sich für einen einsetzt", sagt Gutjahr im Video.

Beistand als erster Schritt: Danach handelt auch die Facebook-Gruppe "#ichbinhier”. Rund 36.000 Mitglieder verteidigen eine hassfreie Diskussionskultur in deutschsprachigen Netzwerken. Wird jemand attackiert, signalisieren sie mit dem Hashtag Zusammenhalt. "Ich überlasse dir nicht das Feld", zeigen sie Hetzern. "Die Opfer erfahren dadurch viel Kraft", sagt Pia Lorenz, Juristin und Mitglied der Gruppe. "Aber das reicht nicht."

Facebook und Google zur Verantwortung ziehen

Lorenz hat als Anwältin Opfer vertreten. Den Betroffenen sei zunächst wichtig, dass die belastenden Inhalte aus dem Internet verschwinden. "Bisher war das am schwierigsten", sagt sie. Ohne einen direkten Draht zu Facebook oder Google hatte man keine Chance.

Mit dem seit dem 1. Januar vollständig in Kraft getretenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sollen die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen. Das Gesetz ist umstritten. Vor allem die Umsetzung ist problematisch, sagt Markus Reuter von der Webseite netzpolitik.org. Twitter etwa verlange absurde juristische Vorkenntnisse von den Nutzern: "Die meisten wissen nicht, was der Unterschied zwischen übler Nachrede, Beleidigung oder Verleumdung ist", sagt Reuter.

Juristische und technische Vorkenntnisse erforderlich: Meldeformular bei TwitterBild: M.Reuter/Netzpolitik.org/Twitter

Gutjahr hatte bereits vor dem NetzDG mit den Meldeformularen bei Youtube zu kämpfen. "Nach 20 Minuten Rumprobieren hatte ich den Lösungspfad raus", schreibt er auf seinem Blog. Zehn Minuten habe er pro Video gebraucht, insgesamt 60 Videos meldete er - ohne Erfolg.

Amtsrichter: "Löschen hat keinen Effekt"

Das NetzDG soll das Melden, Überprüfen und Löschen vorantreiben, nur - was bringt das? "Dieses Löschen hat überhaupt keinen Lerneffekt", sagt Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin. Es hindere Hetzer nicht daran, sofort ein neues Posting oder Video ins Netz zu stellen. "Wir können niemals soviel löschen, dass es Hass-Kriminalität im Netz ernsthaft einschränkt", sagt Buermeyer. Nachhaltiger ist das Strafrecht: "Man kann die meisten Hass-Beiträge im Netz anzeigen", sagt der Richter.

Gutjahr geht mittlerweile mit zwei Anwälten juristisch gegen Hetzer vor. Auch hier helfen Initiativen: Das Demokratiezentrum in Baden-Württemberg betreibt die digitale Meldestelle "respect!". Online können Internetnutzer Verdachtsfälle melden, die zwei Mitarbeiter mithilfe eines Anwalts juristisch einordnen und notfalls rechtliche Schritte einleiten. Seit Beginn des Projekts vor knapp einem halben Jahr bekamen sie rund 600 Meldungen, bei etwa 130 Fällen erstatteten sie Anzeige.

Die Hürden der Strafverfolgung

Die Meldestelle funktioniere aber nicht wie ein Briefkasten, "wo die Leute was reinstecken und nie wieder davon hören", sagt Stephan Ruhmannseder vom Demokratiezentrum. Über das System werde man über den Fortschritt seiner Meldung informiert, auch für Ratschläge und ein aufmunterndes Wort ist Platz.

Denn die Strafverfolgung birgt Risiken. "Wenn man eine Anzeige zum Beispiel wegen Volksverhetzung schreibt, dann heißt das, dass man als Anzeigender in den Prozessakten auftaucht, wenn es zur Anklage kommt", sagt Ruhmannseder. Die Gegenseite bekomme Einsicht in Kontaktdaten. Deshalb zeigt bei ihnen die Meldestelle an: "Wir tauchen als Anzeigende auf, so dass dieses Risiko wegfällt."

Erstattet man anonym Anzeige, ist man zwar geschützt, allerdings nicht mehr kontaktierbar bei Fragen während den Ermittlungen. In jedem Fall rät Gutjahr dazu, Hass-Beiträge im Netz richtig zu dokumentieren, und gibt auf seinem Blog Tipps.

Nach einer Anzeige kann es dauern, bis es zum Verfahren oder Urteil kommt - wenn überhaupt. "Es ist ein Teufelskreis, wenn die Strafverfolgung relativ schlecht funktioniert", sagt Amtsrichter Buermeyer. "Dann ist es natürlich häufig so, dass Menschen sagen: Das brauche ich gar nicht erst anzeigen." Einige Behörden wie in Baden-Württemberg sind schon fit, aber es gibt vielerorts noch Nachholbedarf, so die Experten.

Gutjahrs wichtigste Lektion

Um den Teufelskreis zu durchbrechen, darin sind sie sich einig, müssen Internetnutzer verstehen, was Recht und was nicht rechtens ist - und bei Verstößen Konsequenzen erleben. "Ich glaube, dass es erst langsam in das Bewusstsein der Menschen sackt, dass ein Tweet mehr zerstören kann als ein Zeitungsartikel", sagt Lorenz, selbst Chefredakteurin der Legal Tribune Online.

Auch Gutjahrs Zeiten des Rückzugs sind vorbei: "Zeig keine Gnade", sagt er am Ende des Videos. Das sei für ihn die schwierigste Lektion dieser Erfahrung gewesen: Die Rädelsführer zu identifizieren und gegen sie vorzugehen, "schnell, hart und mit allem, was man hat." Nur so wird klar, dass der Hass im Internet keinen Platz hat.

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