Wie Pistorius mehr Freiwillige zur Bundeswehr locken will
8. Juli 2025
Freiwillig zur Bundeswehr gehen, marschieren lernen und in einem Etagenbett in der Kaserne schlafen? Viele junge Deutsche können sich das überhaupt nicht vorstellen. Tom schon. Der 23-jährige Erfurter spielt mit dem Gedanken, zur Bundeswehr zu gehen. "Die Kombination aus Kameradschaft und Teamgeist fasziniert mich", erzählt er der DW. "Und ich möchte mich selbst weiterentwickeln."
Deswegen sitzt Tom - schwarzes T-Shirt, sportliche Figur - jetzt im Karriereberatungsbüro der Bundeswehr in Erfurt. Dies liegt zentral in einem Einkaufszentrum zwischen Supermarkt und Fitnessstudio. Interessenten wie er sind hier höchst willkommen, denn die Bundeswehr sucht händeringend Personal. Da heißt es: Bloß niemanden verschrecken! Auch wer ohne Termin hereinschlendert, bekommt mit etwas Glück schnell eine Beratung. Oder zumindest ein olivgrünes Infoblatt mit der etwas pathetischen Aufschrift: "Hier sicherst du Deutschland und deine Zukunft."
Ein erstes Gespräch mit dem Bundeswehr-Karriereberater
Vor dem Wechsel braucht Tom erstmal Informationen. Tony Baumann, der Karriereberater in Uniform, nimmt sich Zeit für ihn, erkundigt sich freundlich nach seinen beruflichen Erfahrungen und Zielen. Tom ist seit sieben Jahren im Gesundheitswesen in der Verwaltung tätig.
Die Bundeswehr kennt er von einem Praktikum, das er als Schüler gemacht hat. Auch ein Freund, der Soldat ist, hat ihm schon einiges erzählt. Der Dienst an der Waffe oder Auslandseinsätze wären für Tom kein Problem. "Ich will auch meinem Land etwas zurückgeben. Ich habe ja schon viel mitgenommen, kostenlose Bildung zum Beispiel."
Mit rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten und 80.000 Zivilbeschäftigten ist die Bundeswehr einer der größten Arbeitgeber Deutschlands. Sie lockt Interessenten mit einer Vielzahl von Ausbildungen und Studiengängen. "Es gibt Möglichkeiten, die es vielleicht in der freien Wirtschaft nicht gibt", findet Tom. Er überlegt, ob er zunächst freiwillig Wehrdienst leistet oder sich gleich für mehrere Jahre verpflichtet.
Assessment-Center in der Kaserne
Gut drei Kilometer vom Karriereberatungsbüro entfernt liegt die Löberfeld-Kaserne. An der Wache werden die Ausweise kontrolliert. Dann geht es ins Karrierecenter der Bundeswehr - eines von 15 in ganz Deutschland. Hier müssen alle Bewerberinnen und Bewerber aus Thüringen und Sachsen eine Reihe von Tests durchlaufen. Die Ergebnisse entscheiden darüber, ob die Bundeswehr sie aufnimmt oder nicht.
Im Gymnastikraum absolvieren gerade zwei junge Männer den Sporttest. Es ist warm, die Sonne scheint durch die Fenster. Auf Ergometern treten die beiden energisch in die Pedale, um das vorgegebene Pensum zu schaffen. Zuvor sind sie bereits durch den Raum gesprintet und haben im "Klimmhang" an einer Reckstange gehangen, bis ihnen die Schweißperlen auf die Stirn traten.
Auch wenn der Personalbedarf hoch ist: Die Bundeswehr nimmt längst nicht jeden. Gesundheit und körperliche Fitness müssen stimmen. Die persönliche Einstellung auch. Steht ein Bewerber nicht zur demokratischen Grundordnung mit allen dazugehörigen Prinzipien, dann endet das Verfahren hier.
Etwa jeder fünfte Bewerber falle durch, resümiert Oberst Kim Frerichs, der das Karrierecenter Erfurt leitet. Mit den aktuellen Zahlen ist er dennoch sehr zufrieden: Um rund 20 Prozent sei die Zahl der Bewerbungen und Einstellungen in diesem Jahr angestiegen. Das sei "auch ein Effekt des Ukraine-Kriegs", sagt Frerichs, der sei für viele eine Motivation. Der Trend von 2024 setzt sich damit fort: Bereits im vergangenen Jahr hatte die Bundeswehr fast ein Fünftel mehr Bewerbungen erhalten als im Vorjahr.
Können Freiwillige den hohen Bedarf an Soldaten decken?
Die Bundeswehr wächst also wieder, nachdem sie von 2020 bis 2024 insgesamt um etwa 3.000 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft war. Doch nicht jeder Neuzugang bleibt bei der Armee. Zudem scheiden viele Soldaten aus Altersgründen aus. Kann es dennoch gelingen, in den kommenden Jahren bis zu 60.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren? Das sehen die Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor. Er begründet das mit der Bedrohung durch Russland und den gestiegenen Anforderungen der NATO.
Trotz dieses ambitionierten Ziels hält der Verteidigungsminister vorerst an der Freiwilligkeit fest. Er will den Wehrdienst attraktiver machen, in erster Linie mit einer besseren Bezahlung.
Auch sollen künftig alle 18-Jährigen Post von der Bundeswehr erhalten. Männer müssen, Frauen können den darin enthaltenen Fragebogen ausfüllen und zurückschicken. Er enthält Fragen zum Gesundheitszustand und zur Bereitschaft, Wehrdienst zu leisten. Die Musterung, also eine gesundheitliche Untersuchung, soll ebenfalls schrittweise für alle jungen Männer wieder eingeführt werden. Ganz ohne solche "verpflichtenden Elemente" werde es nicht gehen, glaubt auch Kim Frerichs, der Mann aus der Praxis.
Für den Fall, dass der "milde Zwang" nicht ausreicht, trifft Pistorius allerdings schon Vorkehrungen: Die Option, die Wehrpflicht kurzfristig reaktivieren zu können, lässt er in das geplante neue Wehrdienstgesetz hineinschreiben. Diese Möglichkeit soll greifen, falls sich nicht genügend Freiwillige finden oder die Bedrohungslage sich zuspitzt. Der Gesetzentwurf wird voraussichtlich Ende August vom Kabinett beraten.
Besseres Image der Bundeswehr, mehr Bewerber
Zurück im Karriereberatungsbüro in der Erfurter Innenstadt. Was interessiert die jungen Leute, die hier vorbeischauen, an der Bundeswehr? Ob man bei der Truppe Sport oder den Führerschein machen könne, werde er oft gefragt, erzählt Karriereberater Tony Baumann, der auch das Gespräch mit Tom geführt hat.
Geld ist ebenfalls ein Thema bei den Interessenten, von denen einige zusammen mit ihren Eltern aufkreuzen. "Da müssen wir uns nicht verstecken", sagt Baumann. "Wenn einer den freiwilligen Wehrdienst direkt nach der Schule machen will, mit 1.800 Euro netto hier versorgt wird und dazu noch kostenlose Unterkunft, kostenloses Bahnfahren und kostenlose ärztliche Versorgung zur Verfügung gestellt wird, ist das sehr attraktiv."
Die Ausstattung der Bundeswehr spielt ebenfalls eine Rolle. Die hat sich stark verbessert, seit die Bundesregierung viel Geld in die Hand nimmt, um die Truppe mit modernen Waffen auszurüsten. Zu wissen, dass die Bundeswehr sehr gut ausgestattet und technologisch auf dem neuesten Stand sei, sagt Baumann, sei für die Bewerber definitiv eine zusätzliche Motivation.