Die Futuristen bewunderten es, die Pop Art demontierte es, die Fluxus-Bewegung setzte es in Brand: Das Auto. Von der Geschichte des Automobils in der Kunst erzählt nun das MoMA in New York.
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Museum of Modern Art: Geschichte von Auto und Design
1886 erfand Carl Benz den dreirädrigen Benziner. Die Utopie der Selbstbeweglichkeit beeinflusst bis heute Kunst, Design und unser Leben - positiv wie negativ.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
Verfahren
"Automania 2000" ist ein animierter Kurzfilm des Briten John Halas aus dem Jahr 1963. Darin beschreibt er geradezu visionär, wie Autos immer länger und raumgreifender werden. Eine Schwemme von Autos überflutet Wolkenkratzer, es gibt kein Fortkommen mehr, wie das Filmstill des Animationsfilms zeigt. Er wurde sogar für einen Oscar nominiert.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
Aufgemöbelt
Lilly Reich lehrte am Bauhaus in Weimar und in Dessau - in der "Ausbau-Werkstatt". Dort war sie die einzige Frau neben Ludwig Mies van der Rohe. Auf sie gehen zahlreiche legendäre Entwürfe zurück: In den 1930er-Jahren entstanden diese visionären Zeichnungen des klappbaren Autositzes. Damit möbelte Reich das Auto zum Multifunktionstalent auf, das alles transportieren kann.
Bild: The Museum of Modern Art New York/Lilly Reich Collection/Mies van der Rohe Archive
Verewigt
Je mehr Verkehr, desto voller die Städte. Der Pop-Art-Künstler, der diese Parkuhr 1962 malte, hieß Vern Blosum. Seine Werke zeigten die absurden neuen Produkte seiner Zeit. Allerdings ist bis heute nicht eindeutig geklärt, wer dieser Vern Blosum wirklich war und woher er stammte.
Bild: The Museum of Modern Art, New York/Vern Blosum
Überfahren
Andy Warhols berühmte Car Crash-Serie von 1963: Unfallbilder, in denen Verkehrsopfer leblos vor zerbeulten Autos liegen. Warhol vergrößert Fotos aus der Tagespresse und taucht sie für seine Siebdrucke in Farbe. Seine Autobilder spielen auf die Abgründe der Zivilisation und die Sensationslust der Medien an.
Bild: Andy Warhol Foundation for the Visual Art
Steuermächtig
Henri de Toulouse-Lautrecs Leidenschaft für Autos hielt sich in Grenzen. Als Daimler-Benz 1886 das erste Automobil der Welt auf den Markt gebracht hatte, zeigte er wenig Interesse. Lediglich in dieser Karikatur "L'Automobiliste", einer Lithographie von 1898, thematisiert er die neue Automania und zeichnete diesen Mann am Steuer. Über ihm steigt unheilvoll eine schwarze Rauchwolke auf.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
Warnschilder
Ashley Havinden (1903–1973) war ein einflussreicher britischer Grafikdesigner, der Mitte des 20. Jahrhunderts auch Plakate entwarf, die vor der zerstörerischen Kraft des Autos warnten. Diese Lithographie entstand im Jahr 1947. "Haltet den Tod von der Straße fern" steht darauf. Jeder Fahrer hat sein Schicksal in der Hand.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
Windkanalerprobt
Stilbildende Modelle - hier der Citroën DS 23 Sedan - fehlen natürlich auch im MoMa nicht. Die DS (von frz. "la déesse", dt. "Göttin") des französischen Autoherstellers war ein Meilenstein im Autodesign der Nachkriegsära. Ihre Stromlinienform galt als modern, ihre Geschwindigkeit als revolutionär. Heute ist die DS längst Kult und zur Lifestyle-Ikone avanciert.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
Designverliebt
Auch der "Butzi"-Porsche 911 Coupé ist eine Design-Ikone unter den Sportwagen. Sein Erfinder, Ferdinand Alexander Porsche, trug den Spitznamen Butzi. Er studierte an der berühmten Hochschule für Gestaltung in Ulm, bevor er 1958 das Modell mit dem Namen "Porsche" entwarf.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
Erschwinglich
Der Käfer von Volkswagen war das erste erschwingliche Auto für die Massen und zählt noch immer zu den meistverkauften Autos der Welt. Adolf Hitler trieb die Entwicklung voran, um den Hunger auf Fortbewegung für jedermann zu stillen. Entworfen wurde er von einem jüdischen Ingenieur, wie Historiker herausgefunden haben - und nicht von Ferdinand Porsche.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
"Automania"
Vom 4. Juli 2021 bis zum 2. Januar 2022 zeigt das MoMA, das Museum of Modern Art in New York, die Ausstellung "Automania". Sie erzählt nicht nur die Geschichte des Designs und der Kunst rund um das Automobil, sondern auch von den Folgen dieser Entwicklung für Städte und Menschen.
Bild: The Museum of Modern Art, New York
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"Hinter dem Steuer", schreibt der Medientheoretiker Marshall McLuhan im Jahr 1964, "verwandeln wir uns in Übermenschen." Die Darstellung des Tempos, von technischer Perfektion, Kraft, Gewalt und Geräusch faszinieren schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Künstler. Das Auto wird für sie zum Symbol einer neuen Weltanschauung, eines neuen Menschen.
Im Geschwindigkeitsrausch: Autorennen
Ohne das Autorennen ist der Siegeszug des Automobils in den Künsten aber gar nicht denkbar. Ob die legendären Wettfahrten "Nizza-Salon-Nizza" im Jahr 1901 oder "Paris-Madrid" im Jahr 1903 - die Jagd um die Renntrophäe löst den Jagdsport zu Pferde mehr und mehr ab. Mit den publikumswirksamen Autorennen ist der Kult der Geschwindigkeit geboren.
Im Jahre 1909 schließt sich in Italien eine Gruppe fanatischer Anhänger dieses neuen dynamischen Lebensgefühls zusammen: die Futuristen. Ihr Anführer heißt: Filippo Tommaso Marinetti. Auch für ihn ist das Auto das Symbol der Modernität.
"Das Auto ist schöner als die Nike von Samothrake"
Im vierten Punkt des Gründungsmanifests der Futuristen rühmt er voller Begeisterung die Schönheit der Geschwindigkeit: "Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen, ein aufheulendes Auto, das Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake."
Nieder mit der alten Zeit
Mensch und Maschine gehören für die Avantgarde zu Beginn des Jahrhunderts untrennbar zusammen. Dynamik, Lärm und Gewalt gilt es bildnerisch festzuhalten. Marinetti und seine Freunde streben nach einem großen bewegenden Lebensgefühl des Aufbruchs: Nieder mit der alten Zeit, lautet ihre Devise. Das Auto wird für sie zum Projektionsort, zum Symbol der geballten Kraft, die für den Aufbruch steht.
Auch den Architekten Le Corbusier treibt das Autofieber um. Ihm geht es um Perfektion. Architektur soll zu einer Maschine werden, zu einer Wohnmaschine. In seinem Buch "Vers une Architecture" aus dem Jahr 1923 fasst Le Corbusier alle wesentlichen Momente für die Auto-Begeisterung der Avantgarde zusammen. Er vergleicht das Automobil mit dem klassisch-vollendeten Parthenon in Athen. Parthenon und Auto werden "nebeneinander vorgeführt, damit man versteht, dass es sich um zwei Ausleseprodukte auf zwei verschiedenen Gebieten handelt, das eine vollendet, das andere auf der Bahn des Fortschritts".
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Das Auto als Motiv in der Malerei
In der Malerei avanciert das Auto zu einem der wichtigsten Bildmotive. Man Ray, George Grosz, Max Ernst - sie alle zeigen die Welt der Technik in ihren Gemälden. Zahnräder, Reifen, geometrische Kreise übersetzen bildnerisch die Idee von Fortbewegung. Mit dem Expressionismus wird die Großstadt zu einem wichtigen Sujet - und darin ist das Auto nicht wegzudenken.
Der Kubismus entdeckt die vierte Dimension. Die Bilder bekommen einen eigenen Rhythmus. Was zeitlich nacheinander passiert, wird im Bild simultan gezeigt, Geschwindigkeit in Einzelteile zerlegt.
Die Begeisterung für das Auto ist auch zwischen den beiden Weltkriegen ungebrochen. Ein Maler wie Francis Picabia sammelt Autos wie andere Statussymbole.
Rasende Leidenschaft: Das Auto in der Kunst
Kultobjekt, Abgasschleuder, Gebrauchsgegenstand: Das Auto ist alles zugleich - und hat die Kunst entscheidend geprägt. Die Kunsthalle Emden zeichnet jetzt den Weg des Fahrzeugs durch hundert Jahre Kunstgeschichte nach.
Bild: 2017 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc.
Bunte Reihe
Statussymbole des Wirtschaftswunders: Typisch unscharf zu erahnen sind auf Gerhard Richters Gemälde "Kleiner Parkplatz" (1965) die in den Sechzigerjahren enorm populären VW-Modelle "Käfer" und "Bulli". Das Auto als Massenkonsumartikel war eines der Lieblingsthemen der Künstler der Pop-Art-Ära - allen voran...
Bild: Gerhard Richter
Carl Benz trifft Andy Warhol
Andy Warhol. 1986 hatte Daimler-Benz 80 Bilder bei ihm in Auftrag gegeben. 35 davon wurden fertig, ehe Warhol 1987 verstarb. Der "Patent-Motorwagen" von 1886 bildete den Anfang seiner Typenschau, die er in bekanntem Stil verfremdete. "Ich liebe das Automobil", sagte Warhol. Wohl auch, weil er selbst ein Fan der Fließbandproduktion war. Einen Führerschein hatte er allerdings nicht.
Bild: 2017 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc.
Dem Licht entgegen
Anders als der Berliner Künstler Hans Hemmert: Er sitzt hier in seinem eigenen Auto. "Unterwegs" (1996) ist Teil einer Reihe von Werken, die Hemmert in seiner alltäglichen Umgebung zeigen - verfremdet durch eine gelbe, alles umspannende Latexmembran, die mit Luft gefüllt ist.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2017
Die Welt von unten
Auch Asta Gröting hat für "Die Reisekutsche von Goethe, der Mercedes von Adenauer und mein Smart" (2012) das eigene Auto benutzt: Sie kippte es auf die Seite, um einen Abdruck zu machen. Die Installation zeigt den Wandel von handwerklicher Produktion zur digital geprägten Arbeitsweise anhand der Fahrzeugunterseiten. Das Chassis der Adenauer-Karosse scannte sie und baute es dann vielschichtig nach.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2017
Stinker hinter Glas
Der Auspuff-Topf als bewahrenswertes Kulturgut: Gavin Turks' "Tract" (2010) stellt das corpus delicti des größten Skandals in der Automobilgeschichte in eine Vitrine - und setzt es so einer neuen Betrachtung aus. Funktioniert hat dieser Auspuff übrigens nie: Turks hat die Form aus Bronze nachgegossen und ihr durch sorgfältige Bemalung den Schein der Wirklichkeit zurückgegeben.
Bild: Galerie Krinzinger and the artist, Vienna
Gebrauchtwagen im Museum
Wie auch immer man zum Auto steht: Es ist und bleibt Kult. Wohl keine technische Erfindung hat die Kunst so nachhaltig beeinflusst wie das Auto. Die Ausstellung "Das Auto in der Kunst" zeigt die wesentlichen Wendepunkte der künstlerischen Betrachtung. Die Neon-Installation "Used Car" (2011) von Jonathan Monk und etwa 100 weitere Exponate sind bis zum 5. November in der Kunsthalle Emden zu sehen.
Erst die Pop Art holt die Wunschmaschine Auto von ihrem Sockel. Das Zeitalter der Massenkultur, der Massenproduktion macht es zum Konsumfetisch schlechthin.
Andy Warhols berühmte "Car Crash"-Serie entsteht in den 1960er Jahren: Unfallbilder, in denen Verkehrsopfer leblos vor zerbeulten Autos liegen. Warhol vergrößert Fotos aus der Tagespresse und taucht sie für seine Siebdrucke in Farbe. Seine Autobilder spielen auf die Abgründe der Zivilisation und die Sensationslust der Medien an.
Der Amerikaner Allan Kaprow zündet vor den Augen der Öffentlichkeit einen amerikanischen Straßenkreuzer an. Kilometerlange Staus, Lärm und Abgase. Der Siegeszug des Autos wird zur Realität des rasenden Stillstands.
Die Fluxus-Künstler der 1960er- und 1970er-Jahre deformieren, verbrennen oder zerquetschen das Auto in ihren Happenings und Aktionen.
Fluxus-Künstler Vostell: Beton-Opel als Kunstwerk
Der Leverkusener Wolf Vostell will mit seinen Decollage-Skulpturen die Betrachter zu einer kritischen Haltung gegenüber ihrer Umwelt erziehen. Im Jahre 1963 lässt er einen Zug mit 130 km/h auf einen Mercedes rasen. Die Zuschauer können den Zusammenstoß hautnah miterleben.
1969 gießt er seinen Opel Kapitän bei laufendem Autoradio in Köln in Beton ein. Vostells "Ruhender Verkehr" steht mehrere Monate lang in der Rheinmetropole zwischen Autos auf dem Parkplatz der Galerie Intermedia. Ein Sammler kaufte den Betonklotz für 30.000 Mark und vermachte ihn später der Stadt.
Denkmal der Mobilität
Die Idee, das Automobil als Objekt der Kunst zum Träger von Kunst zu machen, stammt aus Bayern, von den Bayerischen Motorenwerken.
Der amerikanische Bildhauer Alexander Calder ist der erste, der für BMW 1975 ein sogenanntes Art Car gestaltet. Frank Stella, Roy Lichtenstein und Andy Warhol folgen.
Keines der Modelle geht je in Serie, alle bleiben Unikat, von Künstlerhand signiert. Manche der Künstler wie David Hockney lassen sich als Entlohnung einen BMW schenken, andere machen einen ironischen Kommentar. Andy Warhol forderter nur eine dreiwöchige Fahrt mit einem BMW durch Oberbayern.
Heute ist das Auto in der Kunst sowohl Symbol für Individualität, als auch Sinnbild klaustrophobischer Zivilisationsängste.
In dem Video "Ever is over all" der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist läuft eine junge Frau die Straße entlang und schlägt mit einem Blumenstrauß in der Hand die Scheiben parkender Autos ein.
Vandalismus am Auto
Vandalismus ist auch das Thema der britischen Künstlerin Sarah Lucas. Für ihre Installation "Car Park" im Museum Ludwig hat sie 1997 ein Auto mit eingeschlagenen Scheiben und geöffneten Türen in den Museumsraum gestellt. Eine Szenerie wie nach einem Überfall.
Der Österreicher Erwin Wurm stellt deformierte Porsches in Museen und auf Kunstmessen aus und macht sich damit auch über den Kult um das Statusobjekt Auto lustig.
Das Auto in der Kunst hat eine mehr als hundertjährige Geschichte. Angesichts von Klimaerwärmung und Feinstaubbelastung waren die Künstler ihrer Zeit voraus. Ihre Kritik ist aktueller denn je. Das wird auch bei der Ausstellung "Automania" im MoMA (Museum of Modern Art) in New York deutlich, die am 4. Juli 2021 anläuft.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels aus dem Jahr 2017.