Bleiben Doping-Sünder im Schatten der Corona-Pandemie unentdeckt? Die Nationale Anti-Doping-Agentur Deutschlands räumt ein, dass aufgrund von COVID-19 kaum getestet wird. Doper sollen aber nachträglich überführt werden.
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"Jetzt gehen wir in eine sehr wichtige Phase", sagt Andrea Gotzmann, die Vorsitzende der Nationalen Anti Doping Agentur Deutschland (NADA). Eben hat sie die den Jahresbericht für 2019 vorgestellt, aber wichtiger als der Weg zurück war auf der erstmals digital durchgeführten Jahrespressekonferenz die Gegenwart, das Jahr 2020. Hat die Corona-Pandemie Dopern Tür und Tor geöffnet?
Die Zahlen sind ernüchternd: Auf 90 bis 95 Prozent beziffert Mario Thevis vom Kölner Doping-Labor den Rückgang der Proben seit beginn der Corona-Maßnahmen und damit Aussetzung der regulären Tests. Radprofi Maximilian Schachmann hatte jüngst in einem Interview mit dem Online-Portal Sportbuzzer berichtet, dass er seit bei seinem Sieg beim Rennen Paris-Nizza Mitte März nicht mehr getestet worden sei. Rodel-Olympiasieger Felix Loch geht es ähnlich. Er kann sich auf DW-Anfrage gar nicht mehr genau erinnern, ob es im letzten Weltcuprennen am 29. Februar/1. März am Königsseeoder bei der WM Mitte Februar in Sotschi war - "auf jeden Fall vor den Corona-Kontaktbeschränkungen". Er ist schon wieder voll im Training, seine Sportart sei von den Auswirkungen der Pandemie kaum betroffen, schildert es die Situation der Rodler. "Zweimal täglich trainieren wir in Kleingruppen mit maximal vier Sportlern und einem Trainer."
Wettkampfkontrollen nur im Fußball
Auch wenn manche Sportler die Vorbereitung auf ihre Wettkämpfe - wann immer sie auch kommen mögen - wieder aufgenommen haben, kocht die NADA ihre Kontrollen noch auf Sparflamme. "Die Wettkampfkontrollen, die sonst 40 Prozent des Aufkommens ausmachen, sind so gut wie ganz weggefallen, außer im Profifußball, wo wir seit zwei Wochen wieder testen, genau wie im Hochrisikobereich und im obersten Testpool."
Doch gerade im Fußball, wo die Kontrollen streng nach dem Hygienekonzept der Deutschen Fußballliga ablaufen, offenbaren sich die Probleme der neuen Test-Realität: Die Kontrolleure müssen bei der Abgabe der Urinproben 1,5 Meter Abstand von den Athleten halten und können so schwerer mögliche Manipulationen erkennen. Bluttests werden nur sehr vereinzelt durchgeführt und die Trainingskontrollen sind selten. Die Ärzte, die wie in der DFL üblich, die Proben nehmen, seien derzeit vornehmlich durch ihre Hauptjobs in den Kliniken gebunden, so Gotzmann.
Mit langsamen Schritten zur Normalität
Immerhin wird seit dem 18. Mai wieder getestet nach zwei Monaten, in denen lediglich freiwillige selbstständige Blutabgaben von zumeist Juniorsportlern überprüft wurden. Mit "langsamen Schritten" taste man sich nach NADA-Aussage wieder an das normale Niveau heran, bis Mitte Juni soll das erreicht sein. Das würde insgesamt drei Monate kontrollfreien Raum für skrupellose Athletinnen und Athleten bedeuten. Was für Andrea Gotzmann kein großes Problem darstellt: "Punktgenaues Dopen ist doch gar nicht möglich", wenn Wettkampftermine noch nicht feststehen. "Einfach zuhause sitzen und dopen ist nicht der Weg, wie wir Doping kennengelernt haben."
Außerdem verweist sie auf den Biologischen Athletenpass, in dem die individuellen Blut- und Steroidwerte der Sportler über einen längeren Zeitraum gesammelt werden. Gibt es größere Abweichungen, kann das auch im Nachhinein Manipulationen aufdecken.
Mehr testen, besser testen
Damit eben auch dieser Pass gepflegt wird, sollen jetzt Qualität und Quantität der Maßnahmen gesteigert werden - durch "Intensivieren, Nachholen von Tests, durch zusätzliche EPO-Tests, Tests auf Wachstumshormon", so Gotzmann. Sie ist deshalb auch zuversichtlich, dass die jetzt ausgebliebenen Tests keine negativen Auswirkungen auf die Olympischen Spiele von Tokio haben, die Corona-bedingt auf kommenden Sommer verlegt worden sind: "Die Phase bis Tokio ist noch sehr lang. Wenn alle Kontrollsysteme wieder anlaufen, wenn wir weltweit bald wieder einen hohen Standard erreichen, dann würde ich nicht so schwarz sehen." Genau das dürfte ein Knackpunkt sein: Ist wirklich davon auszugehen, dass die Kontrollen überall auf der Welt schnell wieder funktionieren?
Einige des Dopings überführte Sportler werden nun, durch die Verschiebung der Spiele, daran teilnehmen dürfen - dann nämlich, wenn ihre Sperre vorher abläuft. Das stößt bei vielen Konkurrenten auf Kritik. Aber Lars Mortsiefer, Jurist und Aufsichtsratsvorsitzender der NADA, bestätigte die Einschätzungen des Internationalen Sportgerichtshofs CAS: "Jeder hat das Recht zurückzukehren, wenn seine Sperre abgelaufen ist. Da wäre eine Änderung juristisch schwierig."
Rodler Felix Loch ist davon ohnehin nicht betroffen. Seine nächsten Olympischen Spiele finden erst 2022 statt. Und im Rodeln, so sagt er, "habe ich auch keine große Angst, dass sich jemand über Doping einen Vorteil verschaffen könnten. Das könnte eher in anderen Sportarten passieren, da kann ich mir schon vorstellen, dass so mancher Betrüger auch noch belohnt wird."
Die zehn Sportarten mit den meisten Dopingfällen
In diesem Ranking führt niemand gerne: Die Top Ten der Sportarten mit den meisten Dopingfällen 2019 wird von einer olympischen Kernsportart angeführt. Und Gewichtheben und Radsport vermelden deutlich mehr Fälle als 2018.
Bild: picture-alliance/Rolf Kosecki
Leichtathletik: 81 Fälle
Vor den Olympischen Spielen von Tokio sorgt die olympische Kernsportart für Negativ-Schlagzeilen: Mit insgesamt 81 Dopingfällen im Jahr 2019 steht die Leichtathletik an der traurigen Spitze. Quer durch die Unterdisziplinen Laufen, Werfen und Springen zieht sich das Problem, mit Fällen von Kenia bis Russland. 2019 waren es im Vergleich zum Vorjahr 18 Dopingfälle mehr.
Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Camus
Gewichtheben: 78 Fälle
Seit langer Zeit hat das Gewichtheben ein massives Doping-Problem. Der deutsche Fernsehsender ARD berichtete kürzlich, dass es weit mehr Dopingfälle wie Oleksiy Torokhtiy (Foto) hätte geben können, wenn konsequent getestet worden wäre. Verbandspräsident Tamás Aján soll ein korruptes System zur Vertuschung von Doping mit aufgebaut haben. 2018 hatte es nur 40 Dopingfälle im Gewichtheben gegeben.
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Baseball: 61 Fälle
Auch den Baseball holen die Doping-Schlagzeilen immer wieder ein: Anfang des Jahres unterschrieb Steven Wright (Foto) einen Millionen-Vertrag bei den Boston Red Sox, kurz darauf wurde er positiv getestet: Man fand das verbotene Wachstumshormon GHRP-2 in seinem Körper. Neben ihm wurden 60 weitere Dopingfälle im Baseball aufgedeckt. 2018 waren es 69 Fälle.
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American Football: 42 Fälle
Der Super Bowl - das Traumziel jedes Footballspielers. Das Megaevent ist für die Beteiligten eine Goldgrube - und die führt manchen Profi auch zur illegalen Leistungssteigerung. 42 Fälle wurden 2019 bekannt, 2018 waren es nur neun Fälle. Dazu zählten zum Beispiel die NFL-Profis Josh Gordon von den Seattle Seahawks oder David Irving von den Dallas Cowboys.
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Radsport: 32 Fälle
Der Radsport schien auf dem Weg der Besserung (2018 wurden nur sechs Dopingfälle im Profisport gezählt), dann kam die Operation "Aderlass". Die Enthüllungen österreichischer und deutscher Ermittler brachten ein Netzwerk von dopenden Sportlern wie Radprofi Georg Preidler (Mitte) ans Licht - betreut vom deutschen Arzt Mark Schmidt. Weitere Kunden des Dopingarztes sollen demnächst enttarnt werden.
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Reiten: 29 Fälle
Reiten ist wohl der einzige Sport, in dem sowohl Tiere als auch Menschen positiv getestet werden. Zu den 29 Fällen im Jahr 2019 gehörte auch die Kanadierin Nicole Walker. Sie wurde bei den Pan-Amerikanischen Spielen in Peru mit einem Abbauprodukt von Kokain erwischt, wodurch Kanada den Startplatz bei Olympia in Tokio verlor. 2018 waren es noch 24 Dopingfälle im Reitsport gewesen.
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Mixed Martial Arts: 19 Fälle
Kaum ein Sport ist härter als Mixed Martial Arts. Voller Kontakt, kein Schutz. Die Disziplin verlangt absolute Fitness und viel Kraft. Und die Topkämpfe sind lukrativ geworden. Das alles ist offenbar ein Nährboden für Betrüger: Die Zahl der Dopingfälle in den MMA stieg von zehn in 2018 auf 19 in 2019.
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Tennis: 17 Fälle
Auch der "weiße Sport" hat keine weiße Weste: Zu den 17 Dopingfällen im Tennis zählte auch Robert Farah, der gemeinsam mit Juan Sebastian Cabal das dominierende Männer-Doppel bildete (Foto): Sieg in Wimbledon und bei den US-Open, Platz 1 in der Weltrangliste. Kurz vor dem Beginn der Australian Open kam die Nachricht: Eine Dopingprobe von Farah aus dem Oktober war positiv - ihm droht eine Sperre.
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Kraftdreikampf: 15 Fälle
Kraftdreikampf, international Powerlifting genannt, ist dem Gewichtheben ähnlich, wird als Mix der Disziplinen Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben aber in dieser Statistik getrennt erfasst. Auch hier geht es neben der Technik vor allem um Maximalkraft - weshalb immer noch kraftsteigernde Steroide zu den beliebtesten Mitteln zählen. Von drei Fällen 2018 auf 15 Fälle 2019 - ein rasanter Anstieg.
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Rugby: 14 Fälle
Noch ein Sport, der viel Muskelmasse fordert: Rugby sorgte 2019 für 14 Dopingfälle. Ein prominentes Beispiel: Aphiwe Dyantyi sollte als große Hoffnung Südafrika bei der WM in Japan zum Titel führen. Den holten die "Springboks" tatsächlich - aber ohne Dyantyi, der bei einer Trainingskontrolle positiv auf Steroide getestet worden war und zusehen musste.
Bild: Imago Images/Kyodo News
Die meisten Dopingfälle kommen aus den USA
Die USA sind eine Sport-Großmacht, dominieren oft die Olympischen Spiele. Auch in der Dopingstatistik liegen die Amerikaner allerdings in Führung - mit 106 Dopingfällen im Jahr 2019. In dieses Jahr fiel auch die Sperre des skandalumwitterten Leichtathletik-Trainers Alberto Salazar. Russland kommt auf 65, die Dominikanische Republik auf 24, Italien auf 20 und Kenia auf 18 Dopingfälle.
Bild: picture-alliance/dpa/AP/K. Cheung
Recherchen aus dem Radsport
Alle Zahlen stehen für aufgedeckte Dopingfälle von Profisportlern im Jahr 2019. Zusammengezählt aus den Veröffentlichungen der WADA und nationalen Anti-Doping-Agenturen hat dies das "Mouvement Pour un Cyclisme Crédible" (kurz MPCC; dt. Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport), ein Zusammenschluss von Radsportteams, die für einen sauberen Sport stehen wollen und auf Missstände im Sport hinweisen.