Wie das Virus die Weltwirtschaft infiziert
4. Februar 2020Die Epidemie durch das Coronavirus breitet sich in China weiter aus und könnte ihren Höhepunkt nach Einschätzung chinesischer Experten in zehn bis 14 Tagen erreichen. In der chinesischen Provinz Wuhan sind rund 45 Millionen Einwohner von der Außenwelt abgeschnitten. Um die Ausbreitung einzudämmen, hat Peking unter anderem die Ferien zum chinesischen Neujahrsfest verlängert, auch der Börsenstart wurde verschoben.
Vorsorglich hatte Peking dem Finanzsystem eine ungewöhnlich hohe Geldspritze in Höhe von 1,2 Billionen Yuan (rund 156 Milliarden Euro) verabreicht, damit der heimische Geldmarkt und das Bankensystem weiter funktionieren. Außerdem wurden Importzölle auf Güter, die für den Kampf gegen die Krankheit wichtig sind, gelockert.
Weniger Konsum, weniger Reisen, geschlossene Büros und Fabriken
Nicht nur an der Börse herrscht Flaute. Auch der chinesische Konsum ist durch den Virus-Ausbruch eingebrochen. Große Veranstaltungen zum Jahreswechsel wurden abgesagt, Touristenattraktionen und Kinos bleiben geschlossen.
In rund 2000 Starbucks-Filialen bleiben die Türen zu, ebenso in Hunderten McDonald's-Restaurants, in 130 Shops der Modekette Uniqlo und in allen 30 Ikea -Möbelhäusern. Der schwäbische Modekonzern Hugo Boss hat einige seiner Geschäfte in China vorläufig geschlossen, in den anderen die Öffnungszeiten eingeschränkt.
Stark in Mitleidenschaft gezogen wird auch die Reisebranche. Mehrere Länder verhängten Reisewarnungen zu China, Airlines setzten Flüge nach China aus. So haben etwa die Lufthansa sowie die Töchter Swiss und Austrian Airlines ihre Verbindungen von und nach Peking zunächst bis zum 29. Februar gestrichen. Auch Air France KLM wird das chinesische Festland bis zum 15. März nicht anfliegen.
Außerdem bleiben die meisten Fabriken und Büros vorerst auch diese Woche dunkel. Volkswagen, BMW, Volvo, Toyota oder Tesla - diverse Autobauer verlängerten die durch das Neujahrsfest bedingte Produktionspause in ihren China-Werken. Der japanische Autobauer Honda erwägt, wie am Donnerstag bekannt wurde, einen längeren Produktionsstopp in Wuhan - bislang war geplant, die Arbeit dort am 14. Februar wieder aufzunehmen.
Wegen der schrumpfenden Kraftstoffnachfrage senkte die größte Raffinerie Chinas die Produktion um rund 600.000 Barrel pro Tag. Das entspricht ungefähr 12 Prozent des durchschnittlichen täglichen Durchsatzes. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, diese Kürzung würde wohl bis „in den März hinein verlängert werden“.
Rückschlüsse aus der Sars-Epidemie
Als die Lungenkrankheit Sars vor 17 Jahren in China wütete, litt der Binnenhandel deutlich und an den Aktienmärkten kam es zu Verlusten. Allerdings ist die globale Wirtschaft inzwischen viel vernetzter und die chinesische Wirtschaft hat ein viel größeres Gewicht. Während damals der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft bei nur etwa fünf Prozent lag, beträgt er heute mehr als 16 Prozent.
Die mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist ein wichtiger Exportmarkt für deutsche Produkte, ein bedeutender Produktionsstandort für deutsche Industriefirmen und der Anfang vieler globaler Lieferketten.
Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser glaubt, dass "die wirtschaftlichen Folgen stärker ausfallen als bei der Sars-Epidemie". Die sechs Monate dauernde Krise habe China damals etwa ein Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts gekostet. In den deutschen Zahlen habe sich das praktisch nicht niedergeschlagen. "Seitdem ist die wirtschaftliche Bedeutung des Landes gewachsen, die Infektionszahlen sind höher und die chinesische Regierung reagiert härter", so Wollmershäuser.
Daher werde, so das Ifo-Institut in einer Mitteilung vom Donnerstag, ein mögliches Ein-Prozent-Minus beim chinesischen Wachstum sich auch in Deutschland rechnerisch niederschlagen. Die Forscher: "Das Coronavirus würde das Wachstum in Deutschland um 0,06 Prozent reduzieren".
Zu früh für Analyse
Viele Experten meinen, es sei noch zu früh, um über das Ausmaß der wirtschaftliche Folgen zu reden. Der Geschäftsführer der deutschen Handelskammer in Peking, Jens Hildebrandt, sagt gegenüber der DW: "China hat Glück im Unglück, denn während der chinesischen Feiertage zum Frühlingsfest befindet sich das gesamte Land sowieso im Stillstand. Da schließen alle Fabriken für drei bis vier Wochen." Somit käme auch in normalen Zeiten das gesamte Wirtschaftsleben - bis auf den wichtigen Tourismusbereich - zum Ruhen.
Wie sich der Coronavirus-Ausbruch auf die Beschäftigung und die laufende Produktion auswirke, könne man erst ab nächster oder übernächster Woche sagen, so Hildebrandt, da die chinesische Regierung in diesem Jahr die Feiertage bis zum zweiten, in manchen Städten bis zum neunten Februar verlängert habe.
Hintergrund ist, das aus der Region um Wuhan, die quasi komplett unter Quarantäne liegt, ein Großteil der Fabrikarbeiter käme, sagt Hildebrandt. Erst in der kommenden Woche werde sich also zeigen, wie viele Arbeiter in die Haupt-Produktionsorte in den Großräumen Shanghai und Peking sowie in Südchina zurückkommen und in welchem Ausmaß die Produktion und damit auch die internationalen Lieferketten vom Coronavirus betroffen sind.
Lieferketten betroffen, aber nicht unbedingt unterbrochen
"Wir sehen jetzt keine Anzeichen, dass Lieferketten komplett ausfallen, auch wenn es derzeit möglicherweise zu Verzögerungen kommt", sagt Gerhard Wolf. Er ist Außenwirtschaftschef beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Sein Credo: Kein Grund zur Panik.
Von Panikstimmung sei bislang bei den deutschen Unternehmen noch keine Spur, berichtet Hildebrandt von der deutschen Handelskammer in Peking. "Im Moment wird eher ruhig gehandelt, es werden Pläne aufgestellt, wie man mit der Situation umgeht."
Auch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) heißt es, "es ist noch deutlich zu früh, um eine seriöse Analyse über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus erstellen zu können". DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagt: "Wenn die Ausbreitung des Coronavirus in China und weltweit erfolgreich eingedämmt werden kann, dann sollten sich die wirtschaftlichen Kosten in Grenzen halten und sich auf einen kurzfristigen Produktionsausfall in China beschränken."
Sollten die Produktionsstopps in der chinesischen Industrie allerdings länger anhalten, wären auch die internationalen Lieferketten bedroht, warnt Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "Die Bedeutung Chinas als Lieferant für die übrige Welt ist erheblich". Ein längerer Stillstand könnte vor allem Lieferketten in der Chemie, im Fahrzeugbau, in der Textilbranche und der Elektronik unterbrechen, warnen Ökonomen der Allianz. Internationale Unternehmen bekämen benötigte Teile nicht mehr und müssten andere Lieferanten finden oder ihre Produktion herunterfahren.
Einen, den es schon jetzt getroffen hat, ist der südkoreanische Hersteller Hyundai Motor. Er kündigte am Dienstag an, seine gesamte Produktion in Südkorea noch in dieser Woche auszusetzen. Grund für den Stopp der Bänder ist, dass für die Produktion benötigte Kabelbäume, die sich Hyundai üblicherweise aus China zuliefern lässt, derzeit fehlen.
Dies ist die aktualisierte Fassung des Beitrages “Infiziert das Coronavirus die Weltwirtschaft?“ vom 04.02.2020