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Musik

Neue Wege: Musik nach dem Ersten Weltkrieg

Gaby Reucher
14. September 2018

Pomp und Gloria des Kaiserreiches hatten nach dem Ersten Weltkrieg ausgedient. Auf der Suche nach einer neuen Musik gingen Komponisten verschiedene Wege. Nicht allen fiel der Schritt in die Moderne leicht.

Russischer Komponist Igor Strawinsky
Igor Strawinsky schwankte zwischen Tradition und Moderne, seine Musik war unverkennbarBild: picture alliance/akg

Als der russische Komponist Igor Strawinsky (Artikelbild) 1918 seine "Geschichte vom Soldaten" in Lausanne uraufführte, steckte die Welt in den letzten Zügen eines Krieges von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß. 40 Staaten waren beteiligt, die insgesamt 70 Millionen Menschen in den Kampf geschickt hatten. Etwa 17 Millionen Menschen verloren im Ersten Weltkrieg ihr Leben.

Musik mit sparsamen Mitteln

Opulente Werke konnte man in dieser Zeit kaum aufführen. Es fehlten gute Musiker und das nötige Geld. Die großen Theater und Opernhäuser waren noch geschlossen. So komponierte Strawinsky, der als junger Mann nach Paris gegangen war und damals für einige Jahre in der Schweiz lebte, seine Geschichte vom Soldaten, dem der Teufel die Seele raubt, mit einfachen Mitteln für ein kleines Wanderorchester.

Klassische Klänge aus Belgien: das Oxalys EnsembleBild: Oxalys Ensemble

Die Besetzung mit Bläsern und Streichern passt genau für das achtköpfige Oxalys Ensemble aus Belgien, das die Geschichte vom Soldaten beim Beethovenfest in Bonn aufgeführt hat. Die Mitglieder wählen für ihre Konzerte Musikstücke, die zeitgeschichtlich in Beziehung zueinander stehen. "Wir sehen Musik in einem historischen Kontext und auch in Beziehung zu anderen Künsten", erklärt die Geigerin Shirly Laub von Oxalys. "Wir stellen zum Beispiel französische Musik deutscher Musik gegenüber und versuchen die Einflüsse von Impressionismus und Expressionismus herauszufinden."

Wie der Krieg den Menschen die Seele raubt

Bei seinem Wandertheaterstück in kleiner Besetzung mit Prinzessin, Teufel und dem Soldaten, dienten Igor Strawinsky russische Märchen als Vorlage: Ein Soldat tauscht beim Teufel seine Geige gegen ein Buch, das ihm Reichtum verspricht. Drei Jahre bleibt er unwissend im Dienste des Teufels. Als er in die Heimat zurückkehren will, gibt es für ihn kein Zuhause mehr. Seine Verlobte hat längst einen anderen geheiratet. Zwar kann der Soldat mit einer List seine Geige zurückholen und sein Liebesglück mit einer Prinzessin finden, doch in die alte Heimat, wo der Teufel auf ihn wartet, darf er nicht mehr zurückkehren. Als er gegen diese Auflage verstößt, ist seine Seele verloren.

Soldaten lieferten sich erbitterte Grabenkämpfe an der West- und wie hier an der Ostfront Bild: picture-alliance/AP Photo

"Wir wissen, dass die Leute nach dem Krieg wirklich verloren waren. Europa hatte sich sehr verändert," erzählt Shirly Laub. "Während des Krieges waren viele Komponisten alleine und bekamen nichts mit vom Zeitgeist." Einige waren nach London emigriert, andere lebten über Jahre zurückgezogen auf dem Lande in ihrer eigenen Welt. Oder sie waren - vom Patriotismus beseelt - selbst an der Front.

Die Geige als Seele des Soldaten, der Teufel als personifizierter Krieg: So wird die "Geschichte vom Soldaten" vielfach gedeutet. Der Bariton Dietrich Henschel der oft mit Oxalys zusammenarbeitet und als Sprecher hervorragend in die verschiedenen Rollen geschlüpft ist, sieht noch eine andere Deutung: "Es gibt bei Strawinskys Soldaten Ragtime und Tänze, die nach vorne weisen". Das lege nahe, dass man der Tradition nicht zu verhaftet bleiben solle, meint Henschel. Strawinsky selbst schrieb dazu: "Man knüpft an eine Tradition an, um etwas Neues zu machen."

Musik im Krieg vom Nationalismus geprägt

Das Neue waren seine gebrochenen Rhythmen und Harmonien. Außerdem ließ er Musik vom amerikanischen Kontinent wie Jazz und Tango in sein Stück einfließen.

Andere, noch nationalistisch gesinnte französische Kollegen, griffen gerade in dieser Zeit auf klassische Musikformen zurück. So wie Maurice Ravel in seiner Suite "Le tombeau de Couperin". Ravel schrieb diese Trauermusik für seine im Krieg gefallenen Freunde und zitierte barocke Tänze. An einen Schüler schrieb er, dass er zwar auf die Marseillaise verzichte, aber erst recht keinen Tango zitieren werde. Der Papst hatte diesen aus Sicht der Kirche höchst anstößigen Tanz bereits vor dem Krieg auf den Index gesetzt.

Plakat zu "Petruschka", eins der weltberühmten Ballettwerke von Igor Strawinsky aus der VorkriegszeitBild: picture-alliance/POP-EYE/sinissey

Auch Ravels Landsmann, der Patriot Claude Debussy, greift in seiner Suite "En blanc et noir" für zwei Klaviere von 1915 auf Barockmusiken zurück. Der ungarische Pianist Dénes Várjon wird das Stück mit seiner Frau Izabella Simon anlässlich von Debussys 100. Todesjahr am 16.9. beim Bonner Beethovenfest aufführen. "Der zweite Satz ist ein richtiges Kriegsstück", sagt Várjon. "Es gibt viele musikalische Zitate, unter anderem von Luthers Choral 'Ein Feste Burg'." Die feste Burg als Symbol für die Deutschen Feinde. Später dann Anklänge an die Marseillaise für den erhofften Sieg Frankreichs. Debussy starb noch vor Ende des Ersten Weltkrieges. Die Zeiten, in denen man versuchte, den Nationalismus zu überwinden, hat er nicht mehr erlebt.

Neue Klänge einer jungen Generation

Titelblatt der Zeitschrift "Der dada" von 1919Bild: picture-alliance/akg-images

Für die nachwachsende Generation passten die romantischen, tonmalerischen Klänge der Vorkriegszeit nicht mehr zu den Schrecken des Krieges. Satire, Karikatur und die Überzeichnung ins Groteske waren ein beliebtes Stilmittel der Zeit. So machte sich der 18-jährige Francis Poulenc in seiner "Rapsodie Negre" über die grassierende Afrikamode der oberen Schichten lustig.

Das Stück basiert auf einem Nonsens-Text eines imaginären afrikanischen Dichters. "Das ganze Werk hat eine surreale Komponente und ist dadurch eine groteske Karikatur", sagt Dietrich Henschel, der beim Konzert die Bariton-Stimme sang. "Der Text ist vollkommen dadaistisch abstrakt." Bereits 1916 hatte der Autor Hugo Ball mit seinen sinnentleerten Lautgedichten die künstlerische Bewegung "Dada" ins Leben gerufen - als Protest gegen den Ersten Weltkrieg und als Provokation gegenüber dem obrigkeitshörigen Bürger- und Künstlertum.

Musik im Wirtschaftsboom der 20er Jahre

Als der Erste Weltkrieg vorbei war, erlebte die Wirtschaft durch die fortschreitende Industrialisierung einen Boom. Passagierflugzeuge verkürzten die Distanzen zwischen den Ländern, Jazz aus den USA kam auch nach Europa. Künstler propagierten die abstrakte Kunst, Musiker hatten mit atonaler Musik experimentiert. Auf der anderen Seite untersuchte die Psychoanalyse das Unterbewusstsein und viele Künstler beschäftigen sich mit Metaphysik. Es war eine schnelllebige Zeit. Eine Zeit, in der man den Nationalismus des Ersten Weltkrieges überwunden glaubte. Weltoffen und modern wollte man sein, auch in der Musik.

Schneller Kommunikationsweg in den Zwanzigern: Telefonieren über die TelefonistinBild: picture-alliance/imageBROKER

"Die Musiker begannen mit Hunger zu hören, was andere in der gleichen Zeit komponiert hatten", erzählt Geigerin Shirly Laub vom Ensemble Oxalys. "Es gab Abende mit Strawinsky, mit Ravel und all den anderen um zu sehen, was die Musik der Zeit war." So wollte etwa Gustav Mahler, dass seine Musikfreunde erfuhren, was Schönberg und Busoni schrieben. Igor Strawinsky unterstützte Francis Poulenc und empfahl den jungen Kollegen seinem Verleger.

Musik wird politisch

"In der gesellschaftlichen Situation vor und um den Ersten Weltkrieg herum veränderte sich die Funktion von Musik", erläutert Dietrich Henschel. "Man sah Musik und Theater immer mehr als gesellschaftliches und politisches Statement." Kurt Weill schrieb 1928 mit Bertolt Brecht die Dreigroschenoper, eine "Bettler"-Oper mit populären Melodien, bis 1933 eine der erfolgreichsten Musiktheateraufführungen in Deutschland.

Ebenso beliebt war Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf", die ein Jahr zuvor, 1927, uraufgeführt wurde, allerdings schon gestört durch Anhänger der Nationalsozialisten. Die Jazz-Oper der "neuen Zeit" wurde weltweit zum Erfolg.

Doch der Aufschwung war nur von kurzer Dauer. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 20-er Jahre spielte den Nationalsozialisten in die Hände. Sie versprachen Arbeit und wollten die "Ordnung" wieder herstellen. Viele Künstler und Musiker gingen noch vor dem Zweiten Weltkrieg in die USA ins Exil, darunter auch Ernst Krenek und Kurt Weill. Ihre Musik hatten die Nationalsozialisten verboten. Francis Poulenc vertonte in Frankreich heimlich Texte von Widerständlern gegen die Nazis. Strawinsky blieb noch eine Zeit lang in Frankreich. 1940 emigrierte auch er in die USA.

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