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KonflikteIrak

Wie der Irak versucht, IS-Rückkehrer zu reintegrieren

Cathrin Schaer
14. April 2025

Iraks Regierung holt Bürger aus einem Lager in Syrien zurück, wo sie jahrelang mit Kämpfern der Terrormiliz "Islamischer Staat" zusammengelebt hatten. Doch ihre Wiedereingliederung gestaltet sich schwierig.

Irak | Rückgeführte Frauen aus Al-Hol-Lager in Rehabilitationseinrichtung Al-Jadaa. Zu sehen sind verschleierte Frauen mit langen Gewändern, die warten und sich unterhalten
Ungewisse Zukunft: Rückgeführte Frauen aus dem syrischen Lager al-Hol warten in der Rehabilitationseinrichtung Al-Jadaa bei Mosul im IrakBild: Zaid Al-Obeidi/AFP/Getty Images

Kürzlich bekam die Schwester der irakischen Journalistin Sara al-Mansour, die in der südirakischen Stadt Basra lebt, eine neue Nachbarin. Diese habe erzählt, sie sei von der Terrormiliz IS entführt und gezwungen worden, Kinder mit ihren Kämpfern zu bekommen, sagt al-Mansour. Die Frau habe in einem Lager in Syrien gelebt, aber die irakische Regierung hatte sie inzwischen überprüft, ihr die Ausreise erlaubt und begonnen, ihr Sozialhilfe zu zahlen.

"Aber dann hörte meine Schwester, was die Kinder dieser Frau erzählten", sagt al-Mansour, die gegenüber der DW nur ihren Mädchennamen verwenden will. "Sie sagten, dass sie lieber in Mossul leben würden als in Basra, weil sie dort einfach in ein Haus gehen und es für sich beanspruchen konnten, und weil sie dort viele amerikanische Dollar bekommen hätten.“

Auf dem Höhepunkt seiner Macht zwischen 2014 und 2017 kontrollierte der IS große Teile Iraks und Syriens. In Mossul, der damaligen Hauptstadt des IS im Nordirak, beschlagnahmten dessen Kämpfer zahlreiche Häuser von Einheimischen und zahlten ihren Mitgliedern Gehälter in US-Dollar.

"Was kann man gegen die Denkweise solcher Menschen tun?“, fragt al-Mansour. "Ich glaube nicht, dass sie hier leben sollten“, sagt sie. Und mit dieser Meinung ist die irakische Journalistin nicht allein. 

In Mosul begingen IS-Kämpfer Kriegsverbrechen, versklavten die Einwohner, richteten Menschen hin und zerstörten auch die fast 850 Jahre alte al-Nuri-Moschee der StadtBild: Reuters/E. De Castro

Gefangen im Lager al-Hol

Im Jahr 2019 war der IS sowohl im Irak als auch in Syrien fast vollständig besiegt. Die IS-Kämpfer, die überlebten, wurden verhaftet und in Hochsicherheitsgefängnisse gebracht.

Zurück blieben ihre Ehefrauen, Kinder und andere zivile Unterstützer. Viele von ihnen landeten in al-Hol, einem "geschlossenen Lager" im Nordosten Syriens, nahe der irakischen Grenze.

Im Jahr 2019 schwoll die Bevölkerung des Lagers, in dem zuvor rund 10.000 Vertriebene untergebracht waren, auf mehr als 73.000 Menschen an. Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa die Hälfte der Bewohner Iraker sind.

Bei den Bewohnern al-Hols müsse man unterscheiden, erklärt der Politikwissenschaftler Raed Aldulaimivon der Al-Imam Al-Adham Universität Bagdad. "Es gibt Familien, die an den IS glauben; Familien, in denen sich ein Mitglied dem IS angeschlossen hat - was nicht bedeutet, dass der Rest der Familie damit einverstanden ist - und die dann Angst hatten, dafür bestraft zu werden; und auch Menschen, die keine Verbindung zum IS hatten, aber auf der Suche nach Sicherheit dort gelandet sind.“

Fast alle Bewohner des Lagers al-Hol sind Frauen und Kinder, zwei Drittel von ihnen sind jünger als 18 JahreBild: Cinétévé

Seit Mai 2021 versucht die irakische Regierung, ihre Staatsangehörigen aus al-Hol wieder einzubürgern, in oft langwierigen und schwierigen Verfahren. Seit 2019 wird das Lager von syrisch-kurdischen Kräften überwacht, die von den USA unterstützt werden. 

Doch seit dem Sturz des autoritären syrischen Regimes im Dezember 2024 und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten steht das Lager al-Hol vor einer ungewissen Zukunft. Auch deshalb hat die irakische Regierung die Rückführung ihrer Staatsangehörigen in den letzten vier Monaten beschleunigt.

Zwei Konvois pro Monat holen irakische Staatsangehörige heim

Seit 2021 hat die Regierung in Bagdad rund 10.000 Irakerinnen und Irakern geholfen, al-Hol zu verlassen. In diesem Jahr sind bisher mehr als 1200 weitere Personen ausgereist, und die irakische Regierung plant nach eigenen Angaben von nun an zwei Konvois pro Monat, um bis 2027 alle ihre Staatsangehörigen aus dem Lager zu bringen.

Wie viele sich überhaupt noch dort aufhalten, ist unklar, da viele Menschen das Lager auch inoffiziell verlassen haben oder hinausgeschmuggelt wurden. Schätzungen zufolge sollen es aber noch immer bis zu 20.000 sein. 

Auch Angehörige der Jesiden und anderer Minderheiten, die unter der Terrorherrschaft des IS versklavt wurden, leben im Lager al-HolBild: Delil Souleiman/AFP/Getty Images

"Auch wenn die Zahl der Rückkehrer zunimmt, bedeutet das nicht, dass sie alle an einen Ort zurückkehren", meint Siobhan O'Neil, Projektleiterin der Initiative "Managing Exits from Armed Conflict" der Vereinten Nationen.

"Wenn 15.000 Menschen in eine kleine Stadt gehen würden, wäre das enorm. Aber das ist nicht das, was wir aufgrund der bisher beobachteten Rückkehrmuster erwarten", sagt O'Neil.

Ihr zufolge ziehen viele Zurückgekehrte mehrmals um, bevor sie sich endgültig niederlassen. Problematischer sei die Überlastung der irakischen Regierungseinrichtungen für die Rehabilitation, meint O'Neil.

Rund 10.000 Zurückgekehrte haben ein anderes Lager namens Jadaa in der Nähe von Mossul durchlaufen. Dort werden sie scharfen Sicherheitskontrollen unterzogen, erhalten Beratung und können Kontakt zu ihren Familien oder Dorfgemeinschaften aufnehmen, was ihre Wiedereingliederung erleichtern kann. "Wenn das Lager aber überlaufen ist oder es Verzögerungen bei der Freigabe der Bewohner gibt, könnte dies zu Problemen führen“, erklärt sie. 

Kein Empfang mit offenen Armen

Und dann ist da noch das Misstrauen in der Bevölkerung. Anfangs wurden die Islamisten von der sunnitischen Community willkommen geheißen. Die Angehöriger dieser muslimischen Glaubensrichtung sahen in ihnen einen Widerstand gegen die frühere irakische Regierung.

Als es im Dezember 2013 zu einem Krieg zwischen der IS-Gruppe im Irak und der irakischen Regierung kam, wurden Teile des Staatsgebietes von den Islamisten erobert. Dies spaltete die irakischen Gemeinschaften entlang konfessioneller Grenzen.  

Wegen der Brutalität und des Extremismus der Gruppe währte dieser Zuspruch jedoch nicht lange. Im Dezember 2017 verkündete die Iraks Regierung, dass die irakischen Streitkräfte die vollständige Kontrolle über die syrisch-irakische Grenze übernommen hätten und der Krieg gegen den IS beendet sei. In diesem Herbst sollen erneut Parlamentswahlen stattfinden.

Anwohner des Rehabilitationslagers Jadaa im Irak haben gegen die Anwesenheit angeblicher "IS-Familien" protestiert: Das Lager sei eine Beleidigung für diejenigen, die vom IS ermordet wurden Bild: Zaid Al-Obeidi/AFP/Getty Images

Heute steht nahezu jeder, der auch nur vage mit dem IS in Verbindung gebracht wird, unter Verdacht. Das sind rund 250.000 Irakerinnen und Iraker, wie ein Beamter des irakischen Innenministeriums dem UN-Entwicklungsprogramm mitteilte.

Es gibt zahlreiche Berichte von Nachbarn, die Häuser von "IS-Familien" zerstören, ihre Mitglieder verprügeln oder sie aus fadenscheinigen Gründen bei den Behörden anzeigen. Betroffene Männer fürchten sich vor Verhaftung, Frauen vor Belästigung, zudem berichten UN-Beobachter, dass Lehrer sich weigern, ihre Kinder zu beschulen.

Einige Gemeinden, die Rückkehrer aufnehmen, fürchteten wirtschaftliche Nachteile, berichtet O'Neil. Außerdem bestehe die Sorge, dass weibliche Rückkehrerinnen in die Prostitution abrutschen könnten.

Jesidinnen trauern an einem Massengrab: Ob IS-Rückkehrer reintegriert werden können, hängt auch davon ab, wie sehr die Terrorgruppe einst in dem Gebiet gewütet hatBild: Zaid Al-Obeidi/AFP via Getty Images

Was könnte bei der Integration helfen?

Leider gibt es keine Patentlösung, sagt Politikwissenschaftler Aldulaimi, der erforscht, warum einige irakische Gemeinden eher bereit sind, "IS-Familien" zu integrieren als andere. In den Großstädten, in denen sie niemand kennt, hätten es Zurückgekehrte tendenziell leichter, sagt er im Gespräch mit der DW.

"Aber es hängt wirklich davon ab, was während der Zeit des IS in dem Gebiet passiert ist. Am kompliziertesten ist die Situation in Gemeinschaften, die Gewalt, Versklavung oder sexuelle Übergriffe erlebt haben", sagt er. Es komme auch darauf an, welche Gruppen in dem Gebiet gegen den IS gekämpft hätten und ob diese auch heute noch dort sind. 

Aus den Untersuchungen ihres Teams schließt O'Neil, dass eine "bessere, strategischere Kommunikation" helfen könnte. Sie fand heraus, dass die Iraker den Rückkehrerinnen und Rückkehrern gegenüber aufgeschlossener waren, wenn sie wussten, dass sie von der Regierung rehabilitiert und einer Identitätsprüfung unterzogen wurden. Viele Iraker wüssten jedoch bis heute kaum etwas darüber, was bei diesen Wiedereinbürgerungsmaßnahmen geschehe.

Aus dem Englischen adaptiert von Thomas Latschan.