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PolitikNahost

Wie der "Islamische Staat" Waffen sammelte

10. Dezember 2020

Woher bezog die Terrororganisation ihre Waffen? Eine soeben erschienene Studie gibt Antwort. Sie deckt ein internationales Beschaffungsnetzwerk auf, über das der "Islamische Staat" (IS) jahrelang verfügte.

Syrien Irak IS Waffen
IS-Lager bei Tel Afar im Irak, 2017: Eimer mit Aluminiumpaste sind Bestandteil beim Bau von RaketentriebwerkenBild: Conflict Armamemt Research

Ein kleines Telefongeschäft, das sechs Tonnen Aluminiumpaste kauft; ein Düngehändler, der sich für 78 Tonnen eines Nahrungszusatzmittels interessiert; ein in Großbritannien ansässiges Unternehmen, das aus den USA Bewegungssteuerung ordert, während die Rechnung für die Bestellung von einem türkischen Vermieter von Luxuswagen beglichen wurde.

Es waren Aktionen wie diese, über die die Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" (IS) über Jahre Bestandteile ihres Waffenarsenals organisierte. Die Bewegungen blieben vor allem darum unbemerkt, weil während der frühen Aufstiegsphase des "Islamischen Staats" (IS) die allerwenigsten Beobachter eine Vorstellung von der Dynamik, der Zielstrebigkeit und Raffinesse hatten, mit der die Dschihadistenorganisation zu Werke ging.

Konsequent baute der IS ein Netz von Zulieferern und Technikern auf, das es ihm ermöglichte, auf ein umfangreiches Waffenarsenal zurückzugreifen. Dies geht aus einer soeben veröffentlichtenStudie des Londoner Forschungsinstituts "Conflict Armament Research" hervor. Mit diesem Waffenarsenal weitete der IS insbesondere von 2014 an seine Herrschaftsgebiete im Irak und Syrien kontinuierlich aus, bevor dieses in den folgenden Jahren von einer internationalen Staatenallianz nach und nach wieder zerschlagen wurde.

Explosives Material: IS-Lager für Sprengkörper, Hawija, Irak, 2017Bild: Conflict Armamemt Research

Drehscheibe türkisch-syrisches Grenzgebiet

Zentral für den Nachschub war laut Studie das türkisch-syrische Grenzgebiet. Unter meist falscher Identität kontaktierten IS-Angehörige Unternehmen in der Region und bestellten die benötigten Komponenten für Waffen oder Sprengstoff. Die Unternehmen nahmen die Bestellungen auf - und zwar durchweg, das betonen die Autoren der Studie wiederholt, ohne zu wissen, mit welcher Art von Kunden sie es tatsächlich zu tun hatten.

"Der IS hat sich ganz bewusst eine Region als Rückzugsraum offengehalten, in der sich auch die entsprechenden Geschäfte organisieren ließen", sagt Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King's College London. Diese Strategie entspräche ganz den Lehrbüchern anderer Revolutionäre, etwa Mao Tse Tung oder Che Guevara.

Kriegsbeute: Waffen des irakischen Militärs, die dem IS in die Hände fielen, Mossul 2017Bild: Conflict Armamemt Research

Verschleierte Identitäten

Dass der IS sein Beschaffungsnetz über mehrere Jahre aufrechterhalten konnte, geht vor allem auf die Raffinesse seiner Mittelsmänner zurück. Die versteckten ihre Identität konsequent. Die Kommunikation mit den beauftragten Unternehmen verlief ausschließlich über - gefälschte - Email-accounts, über Webseiten dritter und über Audiosoftware.

Die Zahlungen verliefen im Wesentlichen über den Transfer von Bargeld, ausgeführt von international etablierten Anbietern. Getätigt wurden die Transfers teilweise in anderen Weltregionen als jenen, in denen der Auftrag erteilt wurde. Die Forscher des "Conflict Armament Research" verfolgten entsprechende Spuren bis nach Asien.

Die Studie zeige, dass ein großer Teil der Waffen und Kriegsgeräte aus ganz anderer Quelle stamme, als man vermutet habe, sagt Peter Neumann im DW-Interview. "Zunächst war man davon ausgegangen, die Waffen kämen zu großen Teilen aus der Golfregion. "Doch tatsächlich wurden die Waffen in Teilen selbst gebaut", so Neumann im DW-Interview. Zudem sei inzwischen eine weitere Quelle bekannt, nämlich die "zurückgelassenen Bestände der irakischen und syrischen Armee, die der IS dann in seinen Besitz brachte."

Fabrik des Todes: Waffenschmiede des IS, in der irakischen Stadt Hawija, 2017Bild: Conflict Armamemt Research

"Rote Flaggen"

Die Nachforschungen waren mühsam und aufwendig, ist dem Bericht des "Conflict Armament Research" zu entnehmen. Es galt, einzelnen Indizien für mögliche illegale Waffenbeschaffung nachzugehen und sie dann auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen.

Leiten ließen sich die Forscher von einer ganzen Reihe möglicher Indizien. Häuften diese sich, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um illegale Beschaffung handele.

Zu den wichtigsten Indizien - den so genannten "Red flags" (Rote Flaggen) - zählten etwa: Das Auftreten eines bislang unbekannten Kunden, dessen Unternehmen zudem in einer sensitiven Region - etwa dem türkisch-syrischen Grenzgebiet liegt; Aufträge, die mit dem Kerngeschäft des Unternehmen wenig oder nichts zu tun haben; Begleichung der Rechnung nicht durch den Kunden, sondern eine dritte Instanz; Überweisungsmethoden, die die Identität der überweisenden Person verschleiern, sowie ungewöhnliche Routen für die Anlieferung des Materials.

Dass der IS sein Beschaffungsnetz auf türkischem Boden über mehrere Jahre hinweg unterhielt, sei nicht überraschend, sagt Peter Neumann. "Ankara war zur Entstehungszeit des IS von dessen Dynamik zunächst genauso überrascht wie andere Staaten auch. Da aber der IS keine türkischen Ziele angriff, ließ die Regierung die Dschihadisten gewähren.

Die Türkei sah den IS damals nicht als ihren Feind an. Zudem kämpfte dieser gegen die Kurden, die auch die Regierung in Ankara bekämpft. Auch das war ein Grund, den IS gewähren zu lassen. Diese Haltung änderte sich erst um 2015, als der IS immer aggressiver und mächtiger wurde."

"Kredit wird nicht gegeben": Ein ehemaliges Ladengeschäft in Mossul, das vom IS als Waffenlager genutzt wurdeBild: Conflict Armamemt Research

Zerschlagene Netzwerke

Heute ist das Netz weitgehend zerschlagen. Der IS versuche zwar weiterhin, Waffen zu beschaffen, doch Informationen der irakischen Regierung ließen erkennen, dass die Organisation nur noch über leichte, aber keine mittleren oder schweren Waffen mehr verfüge, sagt der Terrorismusforscher Jassim Mohamad, Betreiber der Webseite "europarabtc.com". "Man geht davon aus, dass der IS sein Netzwerk und seine Finanzquellen in der ganzen Welt verloren hat", so Mohamad im DW-Interview.

Die internationale Koalition zur Bekämpfung des IS wie auch die von vielen Regierungen unternommenen Aktionen zum Kampf gegen Terrorismus hätten dazu geführt, dass die Finanzströme nun streng kontrolliert würden, so Mohamad. Auch die Bewegungsmuster potentieller Dschihadisten verfolge man aufmerksam. "Das hat dazu geführt, dass die IS-Operationen weltweit zurückgegangen sind." 

Zwar gebe es weiterhin einige Netzwerke, so Mohamad. Aber im Irak beschränkten diese sich auf kriminelle Strukturen, die der Staat entschlossen bekämpfe. "Über fortschrittliche Technologie, einschließlich chemischer oder biologischer Waffen, verfüge der IS aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr. "Denn das erfordert eine stabile Infrastruktur und Umgebung. Die aber fehlt ihm."

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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