Klimawandel begünstigt den Wintereinbruch
11. Februar 2021Zweistellige Minusgrade mittags in Dresden, über 80 Zentimeter Schnee im mitteldeutschen Flachland - "von wegen Klimawandel" ist derzeit immer wieder zu hören und zu lesen. "Wo ist der Klimawandel, wenn man ihn mal braucht?" - nur ein Beispiel von vielen auf Twitter. Die damit angedeutete Schlussfolgerung: Es ist ja derzeit sehr kalt hier - eine menschengemachte Erderhitzung könne es also gar nicht geben.
Doch diese Annahme ist gleich in mehrfacher Hinsicht falsch. Die Auswirkungen der globalen Erderwärmung können den Wintereinbruch in Deutschland sogar begünstigt haben.
1. Die Ursachen für die aktuelle Kälte
Die derzeitigen Minusgrade und heftigen Schneefälle sind weit mehr als einfach mal wieder ein "richtiger Winter". Sie sind entstanden durch Zusammenbrüche des sogenannten Polarwirbels am Nordpol. Er bildet sich dort im Winter aus besonders kalter Luft in den hohen Luftschichten, der Stratosphäre.
Der Polarwirbel ist eng mit dem Jetstream verbunden, einem Starkwindband in rund zehn Kilometern Höhe. Im Bereich der Polarfront strömt es zwischen warmen Luftmassen aus den Tropen und Subtropen sowie kalter Polarluft entlang. In tieferen Luftschichten bilden sich in diesem Übergangsbereich Hoch- und Tiefdruckgebiete aus, wie das aus dem Wetterbericht bekannte Islandtief oder das Azorenhoch.
Der Jetstream bestimmt üblicherweise das Winterwetter in Europa: Strömt er stark und von West nach Ost, bringt er mildes, windiges und regnerisches Wetter vom Atlantik und hält die Kaltluft der Arktis fest.
Ist der Jetstream aber schwach und wellig, wird auch der Polarwirbel schwach oder bricht ganz zusammen. Und dann kann die kalte Luft aus der Arktis sehr weit nach Süden vordringen. Das aktuelle Winterwetter ist die Auswirkung eines schwachen Jetstreams, genauer gesagt: einer Delle im Jetstream. Die Folge: ein besonders starker und lang anhaltender Zusammenbruch des Polarwirbels, und eisige Temperaturen bis weit in den Süden.
2. Was der Klimawandel mit dem Winterwetter zu tun hat
Hier komme die überproportionale Erwärmung der Arktis ins Spiel, erläutert Stefan Rahmstorf, Leiter der Forschungsabteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Die Temperaturen in der Arktis sind laut Rahmstorf in den vergangenen 40 Jahren fast dreimal so stark gestiegen wie der globale Durchschnitt. "Und diese Veränderungen in der Arktis beeinflussen das Wetter in Europa."
Besonders stark sei die arktische Erwärmung im Winter, sagt Dörthe Handorf. Sie forscht am Alfred-Wegener-Institut vom Helmholtz Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) über die Physik der Atmosphäre. "Die arktische Erwärmung, das zeigen viele Studien, lässt den Jetstream schwächer werden", so Handorf. Der Windstrom beginne, "auszufransen" - zu mäandern, wie es in der Wissenschaft heißt. Das könne in der Folge immer häufiger zu den beschriebenen Dellen führen, deren Auswirkungen wir derzeit in Deutschland spüren.
3. Wird der Winter in Europa kälter?
Nicht unbedingt. Zum einen können die Kaltluftausbrüche unterschiedlich stark ausfallen. Zum anderen erwärmt sich nicht nur die Arktis. Auch über den Subtropen gebe es eine starke Erwärmung, die ebenfalls Auswirkungen auf den Jetstream habe, erläutert Handorf. Während die arktische Erwärmung den Jetstream eher nach Süden leite und für Kälteeinbrüche in Europa sorgen könne, leite die subtropische Erwärmung das Strömungsband eher Richtung Norden. Ist das der Fall, werde das Winterwetter in Europa milder.
Welche Erwärmungstendenz künftig überwiegen, also den Jetstream beeinflussen wird, und mit ihm das Winterwetter in Europa, das lässt sich laut Handorf mit den Modellrechnungen für die Klimaentwicklung derzeit noch nicht eindeutig vorhersagen.
4. Warum sich Klimawandel und Schnee nicht ausschließen
Vorab: Dass es derzeit so viel Schnee im Flachland gibt, ist ein sehr seltener Zustand. Damit er eintritt, muss warme, feuchte Luft auf sehr kalte Luft treffen. Über dem Flachland in Westeuropa ist die Luft aber nur sehr selten sehr kalt.
Genau das war nun aber in Nord- und Mitteldeutschland der Fall. Das Hochdruckgebiet Gisela brachte grosse Mengen arktische Kaltluft mit. In der Mitte Deutschlands traf Gisela dann auf die beiden Tiefdruckgebiete Tristan und Reinhard, die warme Meeresluft im Gepäck hatten. Die Folge: Sehr viel Schnee.
Denn: Je wärmer die Luft ist, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen und transportieren. Und nun kommt wieder die globale Erderhitzung ins Spiel: Werden die Luftmassen im Durchschnitt wärmer, können sie mehr Feuchtigkeit transportieren. Und diese Feuchtigkeit kann im Winter dann überall dort, wo es kalt ist - üblicherweise in höheren Lagen - zu Schnee werden.
So wurden auch die massiven Schneefälle in den Alpen im Winter 2019 durch ungewöhnlich feuchte und warme Luftmassen ausgelöst. Damals, so berichtet Peter Hoffmann, Meteorologe am PIK, waren die Ozeane aufgrund des langen heißen Sommers auch im Winter noch recht warm, entsprechend verdunstete viel Wasser. Von der Luftströmung an die Alpen transportiert, fiel dort in den Höhen enorm viel nasser Schnee und sorgte für Chaos auf den Straßen und erhöhte Lawinengefahr.
5. Regionales Wetter ungleich globales Klima
Immer wieder scheinen regionale Wetterdaten mit der wissenschaftlich nachgewiesenen globalen Erderhitzung nicht übereinzustimmen. Das sorgt regelmäßig für Verwirrung und falsche Annahmen.
Tatsächlich wirkt sich die Erderhitzung nicht überall und nicht immer in mehr lokaler Wärme aus. So waren etwa in den vergangenen 20 Jahren die Winter in vielen Gebieten der gemäßigten Breiten durchschnittlich nicht sehr viel wärmer als im langjährigen Mittel, sagt Meteorologin Handorf vom AWI.
Auch die derzeitigen Minusgrade werden sich auf die Temperatur-Statistik für den deutschen Winter 2020/2021 auswirken. Aber, zum einen ist der aktuelle Frost, wie beschrieben, auf eine ungewöhnlich große Delle des Jetstreams, also auf ein sehr spezielles Klimaereignis zurückzuführen, das durch den Klimawandel begünstigt wird. Und auch wenn der Februar etwas dieses Jahre besonders kalt ist, kann der Januar davor - im Vergleich zum langjährigen Mittel - deutlich zu warm gewesen sein.
"Obwohl wir regional oder lokal nicht immer eine Erwärmung sehen, haben wir keinerlei Anzeichen dafür, dass sich die globale Erwärmung abschwächt, im Gegenteil", resümiert Handorf.
Und der Sommer? Auch hier wirke sich der veränderte Jetstream aus, sagt die Physikerin. "Es gibt Untersuchungen, die zeigen dass wir auch im Sommer einen stärker mäandrierenden Jetstream haben. Und diese Mäander, also diese Ausbuchtungen, haben die Tendenz, ortsfester zu bleiben." Sprich: Ebenso wie eine Kälteperiode im Winter kann im Sommer die Hitze ungewöhnlich lange anhalten.
Gelangt durch den Jetstream dann, wie etwa im Juni 2019, heiße Saharaluft nach Europa, kann eine lange Hitzewelle hier die Folge sein. In solchen Hitze-Perioden scheint für viele offensichtlich, dass die Klimakrise vor der eigenen Haustür angekommen ist - tatsächlich aber findet sie aber auch dann statt, wenn es schneit.