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LiteraturDeutschland

Wie der Krieg ins Bilderbuch kommt

28. Oktober 2023

Der eskalierende Konflikt in Nahost, der russische Überfall auf die Ukraine - die Schrecken des Krieges sind allgegenwärtig. Aber was erzählen Bilderbücher über den Krieg? Und mit welchen Botschaften für die Kinder?

Buchseiten aus  "Warum?“ von Nikolai Popov | Thema Krieg im Bilderbuch
Wenn die Mäusearmee gegen die Frösche vorrückt - Szene aus "Warum?" von Nikolai PopovBild: Verlag minedition

Der Krieg ist überall, sogar auf der Frankfurter Buchmesse, die am Sonntag (22.10.2023) zu Ende ging und an deren Ständen auch zahllose Bilderbücher zu Krieg, Flucht und Vertreibung präsentiert wurden, vorzugsweise Neuerscheinungen. Doch selbst die Klassiker - einige längst mit Preisen ausgezeichnet - machten erneut von sich reden. "Denn", so sagt Anne Bender im DW-Gespräch, Programmleiterin beim führenden Hamburger Carlsen-Verlag, "Krieg ist unser Thema der Stunde."

"Was ist Krieg?", das Kindersachbuch von Eduard Altarriba erklärt den Krieg und seine FolgenBild: Verlag Beltz & Gelberg

"Warum?", hat etwa der russische Illustrator und Autor Nikolai Popov (1938-2021) sein wunderbares Bilderbuch genannt, das bereits 1995 erschien, nur wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. In eindringlichen Bildern erzählt es vom eskalierenden Streit zwischen Frosch und Maus um eine schöne Blume. Von der Blumenwiese bleibt - viele verlustreiche Feldzüge später - nur ein rauchendes Schlachtfeld. Die Zerstörung ist total, Schmerz und Leid grenzenlos. Frosch und Maus sitzen da, über ihnen steht ein Wort: "Warum?"

Im Krieg gibt es nur Verlierer

Die Botschaft Popovs ist eindeutig: Im Krieg gibt es nur Verlierer. Seit 2015 erscheint "Warum?" in zwei Versionen - mal mit, mal ohne Text - bei minedition in Zürich, Paris und New York. Seit Beginn des Ukraine-Krieges sei die weltweite Nachfrage nach dem Buch, oder besser: Antikriegs-Buch, sprunghaft gestiegen, sagt Verleger Didier Teyras im DW-Interview. "Kein Wunder, in 15 Bildern ist alles gezeigt", so Teyras, "und Kinder verstehen sehr, sehr wohl…!"

Auszug aus dem Kindersachbuch: "Was ist Krieg?" von Eduard AltarribaBild: Verlag Beltz & Gelberg

Das ist harter Stoff, besonders für die Jüngeren, aber eben auch eine Aufforderung, mit Kindern über das schwierige Thema "Krieg" zu reden. Nicht weniger anrührend ist Claude K. Dubois' Buch "Akim rennt". Es erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, dessen Zuhause im feindlichen Bombenhagel untergeht. Akim kann fliehen, verliert alle Menschen, die er liebt. Am Ende, in einem fernen Flüchtlingslager, geschieht das Wunder: Akim findet seine Mutter. Die Belgierin Dubois erhielt für "Akim rennt" 2014 viele Preise, darunter den Deutschen Jugendliteraturpreis. Es ist berührend geschrieben und illustriert.

Kriterien für ein gutes Bilderbuch 

Doch was macht ein gutes Bilderbuch aus, zumal beim Thema Krieg, das per se bei uns allen große Ängste weckt? "Wichtig sind eine Identifikationsfigur und eine gute Geschichte", sagt die Kölner Bilderbuchexpertin Maria Linsmann. "Ein Bilderbuch zum Thema Krieg muss verständlich erklären, ohne zu banalisieren. Es sollte zugleich der Trauer und Schwere des Themas entsprechen." Und idealerweise gebe es, wie bei "Akim rennt", ein Hoffnung stiftendes "Happy End".

Didier Teyras, Verleger von mineditionBild: Stefan Dege/DW

Damit konnten deutsche Bilderbücher während der Nazizeit zwischen 1933 und Kriegsende 1945 nicht dienen. Die Macher von Kinder- und Jugendliteratur wollten ihre Werke gezielt dafür benutzen, um die Jüngsten ideologisch zu beeinflussen, wie die Bielefelder Literaturwissenschaftlerin Petra Josting in einem 2008 erschienenen Aufsatz schrieb. "Schon Kleinkinder", so Josting, "sollten in 'völkischem' Sinn indoktriniert und politisch erzogen werden, um so bereits im Vorschulalter rassisches Denken, 'Volksverbundenheit', Führerkult sowie Begeisterung für Militär und Technik, aber auch Natur- und Heimatliebe zu wecken."

Die Propaganda der Nazis

Tatsächlich aber überwogen damals idyllische Kindheitsdarstellungen und Geschichten von vermenschlichten Tieren oder beseelten Pflanzen. Eine gefährliche Ausnahme bildeten jedoch die im Stürmer-Verlag erschienenen Bilderbücher "Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid" (1936) von Elvira Bauer und "Der Giftpilz" (1938) von Ernst Hiemer. Beide Bücher stellten Juden als Verbrecher, Diebe und Lügner dar.

Die Instrumentalisierung von Literatur, vor allem aber von Kinder- und Jugendliteratur für politische Zwecke war keine Erfindung der Nazis. Schon vor und während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) fanden Kriegs-Bilderbücher ihr Publikum. Gefragt waren Pathos und Siegeszuversicht: Blumenbekränzte Freiwillige etwa, die fröhlich winkend in den Krieg ziehen, bevölkerten die Titelseite von Rudolf Presbers "Vater ist im Kriege" (1915). Emma Müllers "Der große Teich oder Die eifersüchtigen Knaben. Eine Kriegskindergeschichte" (1914) schildert den Weltkrieg allegorisch als belustigenden Kinderstreit am Teich. Für die Allerkleinsten erschien "Hansemann macht mobil. Feldgraue Kindergeschichten" (1915) von Luise Glass oder "Sonnenstrahlen fürs Kinderherz". Allerlei aus Krieg und Frieden" (1916-1918).

Frieden kann Großes bewirken

Genau 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs organisierten das Troisdorfer Bilderbuchmuseum und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2014 gemeinsam die Ausstellung "Das Kinderbuch erklärt den Krieg", eine seltene Schau zu einem Jahrhundertthema. 

Auszug aus "Als der Krieg nach Rondo kam", erschienen im Gerstenberg-VerlagBild: Gerstenberg-Verlag

Seither hat sich die Welt des Bilderbuches weitergedreht. Für Erstleser erschien ganz aktuell "Zari & Nivaan", eine Fluchtgeschichte von Kilian Leypold und Nour Altouba. Anja Reumschüssels frisch erschienener Jugendroman "Über den Dächern von Jerusalem" spielt vor dem Hintergrund des jahrzehntealten Nahost-Konflikts (beide Carlsen-Verlag). "Was ist Krieg?" fragt der katalanische Autor und Illustrator Eduard Altarriba. Sein Kindersachbuch, das 2022 bei Beltz in Hildesheim erschien, gibt Antworten. Mit starken Illustrationen und klaren Texten klärt Altarriba darüber auf, woher Kriege kommen und welche Folgen sie haben. Seinem Buch stellt er das Zitat aus Bill Wattersons Comic "Calvin und Hobbes" voran: "Vati, wie lösen Soldaten, die sich gegenseitig umbringen, die Probleme der Welt?"

Der NordSüd-Verlag in Zürich schließlich hat "Frieden" herausgebracht, ein Gemeinschaftswerk von Baptiste und Miranda Paul mit der Illustratorin Estelí Meza. Ihre Botschaft: Frieden beginnt im Kleinen, aber er kann Großes bewirken.

Aus dem Antikriegs-Bilderbuch "Als der Krieg nach Rondo kam"Bild: Gerstenberg-Verlag

Liste der erwähnten Bücher:

 Romana Romanyschyn, Als der Krieg nach Rondo kam, Übersetzung: Claudia Dathe, Illustration: Andrij Lessiw, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2022, ISBN 9783836962032, 40 Seiten, 16 Euro

Nikolai Popov, WARUM?, 32 Seiten, ISBN : 978-3-03934-016-3, Verlag Minedition, 15 Euro

Claude K. Dubois, Akim rennt, aus dem Französischen von Tobias Scheffel, Moritz Verlag, ISBN 9783895652684, 96 Seiten, € 14,00

Eduard Altarriba, Was ist Krieg?, übersetzt aus dem Katalanischen von Ursula Bachhausen, 48 Seiten, ISBN:978-3-407-75871-2, Verlag Beltz & Gelberg, 2022, 15 Euro

Baptiste Paul & Miranda Paul, Frieden, Illustration von Esteli Meza, aus dem Englischen von Thomas Bodmer, 40 Seiten, ISBN 978-3-314- 10565-4, NordSüd Verlag Zürich 2021, 16 Euro 

 

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