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KonflikteNiger

Wie der Putsch im Niger deutsche Pläne durchkreuzt

4. August 2023

Nach den letzten Umstürzen im Sahel war der Niger unter Mohamed Bazoum Deutschlands auserkorener Partner in der Region. Doch die Kalkulation ist nicht aufgegangen. Jetzt heißt es erst einmal: Abwarten.

Tillia, Niger | Kanzler Scholz besucht den Niger (Foto: Michael Kappeler/dpa/picture alliance)
Archivbild: 2022 bot die Partnerschaft mit Niger für Deutschland noch gute AussichtenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Es hätte so schön sein können: Der Niger schien ein perfekter Partner für Deutschland in der unsteten Sahel-Region. Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 dort vorbeischaute, kümmerte sich Präsident Mahamadou Issoufou zuverlässig um die Abriegelung einer der Haupt-Migrationsrouten durch die Sahara. Nigers strategische Lage bot Chancen, gegen die wachsende Gefahr durch Islamisten, damals vor allem im Nachbarland Mali, vorzugehen und auch die Ausweitung des Terrors von Boko Haram zu verhindern. Als Issoufou im Jahr 2021 auch noch verfassungsgemäß an seinen gewählten Nachfolger Mohamed Bazoum übergab, war die Kontinuität gesichert.

Da war Mali bereits unter einer Putschistenregierung auf Distanz zu den westlichen Partnern gegangen, in Burkina Faso ließ der Umsturz nicht lange auf sich warten. Europäische Partner, darunter Deutschland und die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, wandten sich nun erst recht dem Niger zu und begannen, Militärkontingente und Ausbildungsmissionen dorthin zu verschieben. Erneut spielte Niger mit, es war eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts - auch spürbar, als Bazoum im Mai 2022 Bundeskanzler Olaf Scholz empfing, der wiederum betonte, dass Niger "für uns sehr zählt".

In besseren Zeiten: Nigers Präsident Mohamed Bazoum 2021 zu Besuch bei Kanzlerin MerkelBild: Presse- und Kommunikationsdienst der Präsidentschaft von Niger

"Über mehrere Themenkomplexe hinweg war der Niger eine sehr gute Wahl", sagt der nigerianische Friedens- und Konfliktforscher Ovigwe Eguegu, der für die Beratungs- und Analysefirma Development Reimagined arbeitet. "Dummerweise hat es sich nun ergeben, dass ein paar enttäuschte und begierige Militärs die Schwäche des nigrischen Staats ausnutzten und nach der Macht griffen." Der Putsch am 26. Juli hat die klare Navigation nun gestört. Die neuen Machthaber wollen auf Distanz zu Frankreich gehen - und Vermittler der Staatengemeinschaft ECOWAS wurden erst gar nicht zum selbsternannten Übergangschef Abdourahamane Tiani durchgelassen. Beobachter befürchten eine regionale Eskalation, denn die ECOWAS will wohl nicht klein beigeben und den Umsturz einfach so zur Kenntnis nehmen. Mehrere Länder haben vorsorglich ihre Staatsbürger evakuiert.

Die verhasste Kolonialmacht Frankreich

Die erste Reaktion des Westens wie auch des westafrikanischen Staatenbundes ECOWAS, zu dem Niger gehört, war die erwartbare Verurteilung des Putsches. Deutschland, Frankreich und die Europäische Union setzten zudem Entwicklungshilfszahlungen aus. In Nigers Hauptstadt Niamey hingegen bekundeten Demonstranten ihren Rückhalt für die Putschisten und zeigten vor der französischen Botschaft ihren Unmut gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht, die einige tausend Soldaten im Land hat und mit dem nigrischen Uran auch weiter strategische Wirtschaftsinteressen im Land hat. Laut Medienberichten konnten sie dort nur mit Tränengas vertrieben werden.

Fortan unerwünscht? Frankreich hat seine Staatsbürger weitgehend ausgeflogenBild: Sam Mednick/AP Photo/picture alliance

"Natürlich sind die antifranzösischen Ressentiments ein großes Problem für das Ansehen des gesamten Westens im Sahel", sagt Matthias Basedau, der in Hamburg das GIGA-Institut für Afrikastudien leitet. Diese teilweise gerechtfertigten Ressentiments würden zusätzlich befeuert - etwa von Russland, das schon in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso seinen Einfluss ausgebaut habe. Die Rolle der Bundesrepublik sei eine andere: "Deutschland hat diese Einflusssphären und Interessen in Afrika nicht und ist deswegen eigentlich auch immer relativ gut angesehen gewesen." Intensive Entwicklungszusammenarbeit und Geld bei relativ wenigen politischen Bedingungen, laute hier die Formel.

Der Westen hat ein "Imageproblem"

Auch die Putschisten im Sahel profitieren von der antifranzösischen Stimmung in der Bevölkerung und vom Frust über ausbleibende Erfolge der internationalen Militärmissionen. Das ist zwar keine hinreichende Erklärung für den Umsturz in Niamey, wie Basedau betont. Doch allemal Grund genug, das eigene Auftreten zu überdenken: "Man sollte jede Aktion vermeiden, die den Eindruck erweckt, dass es um geopolitische Interessen oder um neokolonialistische Einmischung geht", so der Politikwissenschaftler. Da habe der Westen tatsächlich ein "Imageproblem".

Friedens- und Konfliktforscher Eguegu formuliert es ähnlich: "Europäische Länder, die ein Interesse an guten Beziehungen zum Sahel haben, müssen sich nicht zwangsläufig von Frankreich distanzieren, sollten aber Wert darauf legen, den Menschen ihre unterschiedlichen Politikansätze zu vermitteln." So könne vermieden werden, dass Partner wie Deutschland ihren verbleibenden Einfluss verlieren. Eguegu betont: "In Bamako, Niamey oder Ouagadougou werden keine EU-Flaggen verbrannt, sondern französische Flaggen. Antifranzösische Stimmung darf also nicht als anti-europäische Stimmung verstanden werden."

Wie geht es für Deutschland im Sahel weiter?

Noch harren Bundeswehrsoldaten im Stützpunkt in Tillia aus. Im Nachbarland Mali steht der Abzug unmittelbar bevor - für das Drehkreuz Tillia müssten bei einer weiteren Verschlechterung in diesen Planungen erst einmal Alternativen gefunden werden, so wie für Deutschlands Einsatz in der Region insgesamt. Der Hotspot islamistischer Angriffe liegt nach wie vor im Dreiländereck zwischen Niger, Mali und Burkina Faso. Die nächsten Sahelländer wären im Westen Mauretanien, im Osten Tschad - beide keine Mitglieder der ECOWAS und ihrerseits demokratisch fragwürdig. Und auch die Kontrolle über die Migrationsroute durch den Niger steht auf dem Spiel.

Noch ist offen, wie sich die Putschregierung positioniert. Jedenfalls weiß sie viele Nigrer hinter sich.Bild: Stringer/Reuters

Ein Weiterziehen, gewissermaßen von Putsch zu Putsch, sei kostspielig und werde langfristig nicht helfen, mahnt Experte Basedau. Und auch für Eguegu steht fest: "Das Beste, was die Länder des Westens tun können, ist, sich zu fragen: Warum wurden wir rausgeworfen? Können wir vor Ort bleiben, um unsere Ziele zu erreichen, wenn wir unsere Strategien an die politischen Realitäten anpassen?"

Russische Waffen alleine lösen nicht die Probleme im Sahel

Hier sieht Eguegu Chancen für eine Einigung. Denn die Abhängigkeiten bestünden auf beiden Seiten. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass sich die Sicherheitslage trotz westlicher Interventionen verschlechtert habe. "Die Frage ist vielmehr: Warum hat sie sich verschlechtert? Und werden sich die Zustände ohne den Westen verbessern?" Das bezweifelt der Friedens- und Konfliktforscher. Zwar könnte es sein, dass durch Partnerschaften mit Russland Waffen leichter zur Verfügung stünden und der militärische Spielraum größer werde. Doch: "Die Lösung für den Konflikt im Sahel ist nicht nur militärisch. Es gibt ökonomische und administrative Komponenten. Das kann Russland nicht finanzieren."

Inwiefern dieser Spagat gelingt, werden auch die nächsten Tage zeigen. Rote Linien gibt es für beide Seiten. Wenn etwa Niger dem Beispiel seiner Nachbarn folge und auf die russische Karte setze, werde es schwierig, prognostiziert Basedau. Lasse sich die Putschregierung hingegen zügig auf eine Übergangsphase hin zu demokratischen Wahlen ein, könnte sich der Westen womöglich damit arrangieren.

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